Friedrich Hebbels Gedicht „An die Exakten“

FRIEDRICH HEBBEL

An die Exakten

Rasselt nur nicht zu viel mit Kette und Messer und Wage,
Machte der Himmel euch stolz, den ihr berechnet und meßt,
Nun, so schaut auf die Frau und werdet wieder bescheiden,
Denn ihr fragt euch umsonst, was euch gefesselt an sie,
Und die Linie, so, nicht anders, gezogen im Antlitz,
Trägt, ihr erkennt es, das Haus, trägt gar den Staat und die Welt

vor 1857

 

Konnotation

Die Hybris der exakten Wissenschaften, die alles positivistisch erfassen wollen, wird hier konfrontiert mit der Evidenz einer nicht messbaren Schönheit: Statistik und Zahlenlogik, so demonstriert das Gedicht von Friedrich Hebbel (1813–1863), sind der Vollkommenheit eines Frauen-Antlitzes unterlegen. Eine Selbstbescheidung der Wissenschaft ist vonnöten.
Als „nachklassischer“ Lyriker glaubte Hebbel an die unveränderbar kanonische Geltung der antiken Gedichtformen. Die lyrische Naivität, so führte er in einer Reflexion über „moderne Lyrik“ aus, sei zwar in eine Krise geraten. Aber primär blieb für ihn die Beherrschung der antiken Formen – wie im vorliegenden Fall der locker gehandhabte Hexameter. „Ich bin der unerschütterlichen Überzeugung“, schrieb er 1841, „daß die wahren Kunstformen ebenso notwendig, ebenso heilig und unveränderlich sind, wie die Naturformen.“ Seltsam mutet an, dass Hebbel die schöne Mahnung „an die Exakten“ 1857 nicht mehr in die Gesamtausgabe seiner Gedichte aufgenommen hat.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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