Hans Magnus Enzensbergers Gedicht „Einführung in die Handelskorrespondenz“

HANS MAGNUS ENZENSBERGER

Einführung in die Handelskorrespondenz

Mit freundlichen Grüßen
Mit grämlichem Hüsteln
Mit christlichem Frösteln
Mit fiesen Grimassen
Mit geilen Finessen
Mit feistem Gewinsel
Mit schwülem Gefasel
Mit schweißigen Nüstern
Mit heiserem Schmatzen
Mit schleimigem Kitzeln
Mit lüsternen Fratzen
Mit fleischigen Küssen
Mit schäumenden Fisteln
Mit freudigem Geifern
Mit scheußlichen Fotzen
Mit fröhlichem Knirschen
Mit kreischenden Flüchen
Mit freundlichen Grüßen

1965/66

aus: Hans Magnus Enzensberger: Gedichte 1955–1970. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1971

 

Konnotation

Im Schriftverkehr mit Behörden und Institutionen greift man heute überall auf eine bewährte Formel zurück: „Mit freundlichen Grüßen“. Mit diesen Worten verabschiedet sich mit Ausnahme des Finanzamts, das sich Höflichkeit grundsätzlich erspart, jedermann, vom Online-Händler bis zum Leichenbestatter. In einem Gedicht, das mit den Verfahren der Konkreten Poesie arbeitet, hat Hans Magnus Enzensberger (geb. 1929) diese Grußformel auf wunderbare Weise ad absurdum geführt.
Dass sich hinter der Freundlichkeit auch Grämlichkeit, Missgunst oder Aggression verbergen können, demonstriert das Gedicht, das im Modus der sogenannten Permutation immer drastischere Formen der Adjektiv-Substantiv-Kombination durchspielt. Wenn das Gedicht nach insgesamt sechzehn boshaften Variationen wieder „mit freundlichen Grüßen“ schließt, ist diese Höflichkeits-Floskel beim Leser gründlich diskreditiert.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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