Heinrich Heines Gedicht „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“

HEINRICH HEINE

Ein Jüngling liebt ein Mädchen

Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen Andern erwählt;
Der Andre liebt eine Andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.

Das Mädchen heirathet aus Aerger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passiret,
Dem bricht das Herz entzwei.

1822

 

Konnotation

In kühler Sachlichkeit und auf engsten Raum rekapituliert hier Heinrich Heine (1797–1856) das Drama einer Liebes-Affäre, in die offenbar fünf Personen verstrickt sind. Um 1822 schrieb der junge Harry Heine – „sehr schmächtig, blond und bleich, der Blick matt“, wie ihn Ludwig Marcuse porträtiert – dieses vollkommene Gedicht über das Unglück des Liebens und die unvermeidlichen Irrungen und Wirrungen, die aus fehlgeleitetem Begehren entstehen.
Für diese „alte Geschichte“ gibt es einen biografischen Hintergrund: Heine liebte seine Hamburger Cousine Amalie, die jedoch von seiner Leidenschaft nichts wissen wollte und ihre Aufmerksamkeit einem anderen zuwandte. Der von Amalie Begehrte wiederum war für ein anderes Mädchen entflammt, so dass die brüskierte Amalie kurzerhand einen Herrn Friedländer aus Ostpreußen heiratete. So war am Ende der „Jüngling“ Harry „übel dran“. Nüchterner und lakonischer kann man das Trauma des Liebesverrats kaum beschreiben.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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