Helga M. Novaks Gedicht „MIR STEHT KEIN GOTT ZUR SEITE kein Glaube…“

HELGA M. NOVAK

MIR STEHT KEIN GOTT ZUR SEITE kein Glaube
mich tröstet keine Kreuzigung im Gegenteil
noch täglich reißen Menschen andre Menschen
entzwei keine Religion macht mich still
unehelich bin ich selber und ohne Rituale
gerate ich in jede Abschmelzfuge in jedes
Talgefälle wehrlos gerüstet im Rinnensee
untergehend mit der Fracht meines Landes
Gesteinsschutt reißt die schwarze Eibe nieder
gottlos und ohne Zeremonien für immer verrottet

1980er Jahre

aus: Helga M. Novak: solange noch Liebesbriefe eintreffen. Gesammelte Gedichte. Hrsg. v. R. Jorek, m. einem Nachwort v. E. Demski. Schöffling & Co., Frankfurt a.M. 1999

 

Konnotation

Ein Gedicht als negative Theologie: Die aus Berlin-Köpenick stammende Dichterin Helga M. Novak (geb. 1935), die als Neugeborene von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben wurde und danach bei Adoptiveltern aufwuchs, spricht hier von ihrer lebensgeschichtlichen und religiösen Weltverlorenheit. Aber das in den 1980er Jahren entstandene Gedicht ist weit mehr als nur ein atheistisches Bekenntnis, verstrickt sich das lyrische Ich hier doch in die geologischen Beschaffenheiten des eigenen Lebensraums.
Die späten Gedichte des Bandes Märkische Feemorgana von 1989 umkreisen die Auseinandersetzung des lyrischen Ich mit den geschichtlichen, mythologischen und geologischen Gegebenheiten der von Novak bewohnten märkischen und polnischen Landschaften. Diese Phantasie verbindet die Autorin meistens mit den Figurationen eines wilden, undomestizierten Daseins jenseits zivilisatorischer und bürgerlicher Normen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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