Klabunds Gedicht „Man soll in keiner Stadt“

KLABUND

Man soll in keiner Stadt

Man soll in keiner Stadt länger bleiben als ein halbes Jahr.
Wenn man weiß, wie sie wurde und war,
Wenn man die Männer hat weinen sehen,
Und die Frauen lachen,
Soll man von dannen gehen,
Neue Städte zu bewachen.

Läßt man Freunde und Geliebte zurück,
Wandert die Stadt mit einem als ein ewiges Glück.
Meine Lippen singen zuweilen
Lieder, die ich in ihr gelernt,
Meine Sohlen eilen
Unter einem Himmel, der auch sie besternt.

1913

 

Konnotation

Alfred Henschke, der Apothekersohn aus Crossen an der Oder, legte sich nach ersten frechen Gedichtveröffentlichungen das Pseudonym Klabund (1890–1928) zu, eine Ableitung aus „Klabautermann“ und „Vagabund“. Vom Dasein als vagabundierender Bänkelsänger, der von unbändigem Lebenswillen ebenso wie von der Ahnung eines frühen Todes getrieben wird, handeln denn auch viele seiner mit unterschiedlichsten Formen experimentierenden Gedichte.
Bereits in seinem lyrischen Erstling Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern! von 1913 entwirft Klabund das Bild des rastlosen Wanderpoeten, der es nicht länger als ein paar Monate in einer Stadt aushält. Diese Vaganten-Phantasie hat auch mit der Unrast des Lungenkranken zu tun: Bereits im Alter von 16 Jahren an Tuberkulose erkrankt, musste Klabund sein Leben lang in immer neuen Sanatorien und neuen Städten Linderung suchen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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