Kurt Bartsch’ Gedicht „Lenz“

KURT BARTSCH

Lenz

Der Engel ist gestorben
Was soll ich machen jetzt
Ich hab sein Fleisch verdorben
Mit Messern, scharf gewetzt.

Ich will den Engel graben
Weg in die schwarze Erd
Verscharrn mit Blut und Narben
Daß Gott ihn nicht begehrt.

Und will beim Engel liegen
Wenn ich gestorben bin
Und aufstehn nicht und fliegen
Zu hellren Orten hin.

1982/83

aus: Jahrbuch der Lyrik: Im Weltriß häuslich. Hrsg. von C. Buchwald und G. Laschen. Luchterhand Verlag, Darmstadt 1984

 

Konnotation

Wer spricht hier überhaupt, in dieser bedrückenden Phantasie von einer Grabes-Fahrt mit einem toten Engel? Das lyrische Subjekt ist so düster-verzweifelt, dass er dem Engel als Boten aus dem Himmelreich keine Schutzfunktion mehr zuerkennen will, sondern ihn gewaltsam als Begleiter auf dem Weg ins Reich des Todes rekrutiert. Der Titel des 1982/83 entstandenen Rollengedichts von Kurt Bartsch (geb. 1937) gibt einen Hinweis. Er ist wohl als Name eines unglücklichen Autors zu lesen: Jakob Michael Reinhold Lenz.
Wenn hier ein innerer Monolog des unglücklichen Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) vorgeführt wird, dann kann man auf die furchtbare Vision verweisen, von der Lenz in Georg Büchners gleichnamiger Erzählung heimgesucht wird. Gegenüber dem schlimmen Phantasmagorien: „O der Engel! Verfluchte Eifersucht, ich habe sie aufgeopfert – sie liebte noch einen andern – ich liebte sie, sie wars würdig – o gute Mutter, auch die liebte mich – ich bin euer Mörder!“ Die Nachtmahre des Dichters Lenz hat Kurt Bartsch in ein beklemmendes Gedicht verwandelt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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