Kurt Schwitters’ Gedicht „Doppelmoppel“

KURT SCHWITTERS

Doppelmoppel

Der Herr von Doppelmoppel
Hat alle Dinge doppel.
Er hat ein Doppelkinn
Mit Doppelgrübchen drin.
Er führt ein Doppelleben,
Das zweite stets daneben.
Er hat ein Doppelweib
Zum Doppelzeitvertreib.
Der Herr von Doppelmoppel
Hat eben alles doppel.

1928

aus: Kurt Schwitters: Das literarische Werk. Bd. I: Lyrik. Hrsg. v. Friedhelm Lach. DuMont Verlag, Köln 1973

 

Konnotation

Im Jahr 1918 hatte der spätere Konstruktivist, Aktionskünstler und Dichter Kurt Schwitters (1887– 1948) sein künstlerisches Erweckungserlebnis. Zunächst dichtete er nach der Manier des Expressionisten August Stramm und imitierte dessen hart skandierte Rhythmen und Sprachdeformationen. Kurz darauf folgte völlig abrupt der Übergang zu Schwitters’ originärer „Merzdichtung“ und der radikalen Dekomposition der Wörter und Sätze: „Mir tut der Unsinn leid“, so der Dichter, „dass er bislang so selten künstlerisch geformt worden ist, deshalb liebe ich den Unsinn“.
In einem seiner schönsten sprachspielerischen Gedichte übersetzt Schwitters das Prinzip der Verdoppelung aller Dinge in ein Poem. Es existiert sinnigerweise in zwei Varianten. Veröffentlicht wurde es erstmals in der 1928 publizierten Festzeitung der doppelnippel. Mars-Mitternachts-Post-Posaune. Hier trägt das Gedicht noch den Titel „Damenwahl“ und amüsiert sich mit der doppeldeutigen Unterzeile „Wir aber haben alle einen Doppelnippel!“. Bei modernen Lyrikern läuft eben fast alles auf ein „Doppelleben“ hinaus.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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