Peter Hacks Gedicht „Mein Dörfchen“

PETER HACKS

Mein Dörfchen

Mein Dörfchen, das heißt DDR,
Hier kennt jeder jeden.
Wenn Sie in Rostock flüstern, Herr,
Hört Leipzig, was Sie reden.

Das Mädchen, das zu lieben lohnt,
Kennt auch Ihr Freund genauer.
Es gibt nichts Neues unterm Mond,
Nicht dieserseits der Mauer.

1974

aus: Peter Hacks: Die Gedichte, Edition Nautilus, Hamburg 2000

 

Konnotation

Kein deutschsprachiger Autor der Gegenwart hat so sehr mit der Pose eines absoluten Nonkonformismus kokettiert wie Peter Hacks (1928–2003), der sicherlich eleganteste Komödiendichter der DDR. Von Beginn seiner Theaterkarriere an übte er sich zielsicher in der Brüskierung des literarischen Konsensus.
Als in der DDR schon die erste Massenflucht einsetzte, entschloss sich der damals in München lebende Hacks 1955 zur Übersiedlung in seinen sozialistischen Wunschstaat. Später verschrieb er sich demonstrativ der Klassik, um die allseits verkündeten Imperative der literarischen Moderne zu kontern. Das Ende der DDR kommentierte er mit frechen Sinnsprüchen: „Wer war der, der vom meisten Blute troff? / Wars Churchill, Hitler oder Gorbatschow?“ was Hacks in boshaften Knittelversen nach 1989 vortrug, war ein linksaristokratischer Fundamentalismus in Reinform. Sein Spott auf die trügerische ländliche Idylle des SED-Staats, das „Dörfchen DDR“, erschien bereits 1974.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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