Rahel Varnhagens Gedicht „Spanisch“

RAHEL VARNHAGEN

Spanisch

Wollte klüger sein, als Träume;
Ach wie dumm war Rahlchen da.
Nur die Träume waren klug!
Außen ist man nur verwirret,
Innen ist man klar und deutlich,
O wie hatten Träume Recht!
Könnten wir nur recht erwachen,
Uns besinnen, Trug verscheuchen;
Zu dem wahren Traum hinab!
Alle Geister sind nur Träume,
Träume Eines Geistes nur.
Uns zurück in diesen finden,
Ist Erwachen nur zu nennen;
Oder auch: der schönste Traum.

nach 1790

 

Konnotation

Der legendäre literarische Salon der Rahel Varnhagen (1771–1833), geborene Levin, der Tochter eines reichen jüdischen Kaufmanns aus Berlin, war an der Schwelle zum 19. Jahrhundert die lebendigste „Republik des freien Geistes“ in Deutschland. Varnhagen exponierte sich dort nicht nur als Stichwortgeberin für liberale Politik, die Emanzipation der Frau und romantische Freiheitsideen, sondern versuchte sich selbst als Dichterin. Ihre lyrischen Arbeiten und vor allem ihre zehntausend Briefe sind bis heute nur in wenigen Auszügen veröffentlicht.
Das lyrische Bekenntnis zum Traum ist ein zentrales romantisches Motiv. Rahel Varnhagens Gedicht erhebt hier die nächtlichen Phantasmagorien über alle analytische Vernunft. Von den „Hymnen an die Nacht“ ihres Zeitgenossen Friedrich von Hardenberg alias Novalis (1772–1801) hat sie das Vertrauen in die Offenbarungen der nächtlichen Phantasien geerbt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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