Richard Wagners Gedicht „Erinnerung an ein Hotel in Krefeld“

RICHARD WAGNER

Erinnerung an ein Hotel in Krefeld

Der Blick der Dame am Empfang.
Der Vertreter, der den Knopf
im Aufzug drückt und sagt:
Derlei Kleinigkeiten machen wir umsonst.
Das Zimmermädchen.
Die schwarzen Strümpfe des Zimmermädchens.
Das Lächeln des Zimmermädchens.
Der Tee der Fernsehbilder.
Wie beim Frühstück ein Mann
die Orange auspreßt.

1988/89

aus: Richard Wagner: Schwarze Kreide. Gedichte. Luchterhand Literaturverlag, Frankfurt a.M. 1991

 

Konnotation

Ein kleiner, unspektakulärer Lebensaugenblick, herausgeschnitten aus dem lärmenden Getriebe des Alltags. Nichts scheint den routinierten Ablauf der fast mechanisch vollzogenen Handlungsabläufe zu stören. Jemand absolviert den Check-In ins Hotel, registriert flüchtig weitere Hotelbesucher und das übliche Personal. Doch jenseits der automatisch vollzogenen „Kleinigkeiten“ blitzt etwas auf –  eine erotische Verlockung, das Lächeln des Zimmermädchens. Kaum ist der Sehnsuchtsmoment fixiert, ist er auch schon wieder vorbei.
Der 1952 im rumänischen Banat geborene Richard Wagner hat ein Faible für solche lakonisch protokollierten Lebensaugenblicke, die ihre Evidenz in sich tragen und keiner poetisch-symbolischen Überhöhung bedürfen. Die karg-lakonische Inventarisierung der Lebenswelt charakterisiert die Dichtung Wagners, der als Aktivist der Aktionsgruppe Banat (von 1972–75) die Kulturpolitiker im eisernen Kommunismus Nikolae Ceauşescus provozierte. Das Gedicht entstand 1988/89, kurz nach seiner Übersiedlung nach Berlin.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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