Sabine Küchlers Gedicht „Seetiere“

SABINE KÜCHLER

Seetiere

Die Maskeraden zuerst dann die Hotels
unsere Lügenpaläste für eine Nacht
nahm unser Unglück sich plötzlich ganz heiter aus
hinter jeder Tapete
kauerte ein schlimmerer Fall murmelte
sich an den Anfang seiner Geschichte zurück:
wieviele Sorten Kummer
hatten einmal zur Auswahl gestanden Seetiere
aus Korallengehölzen trieben draußen vorbei
mit triefenden Leibern es regnete immer
wenn wir dort lagen in einer Kammer
am Grunde des Meeres am Morgen ein Paar
das sein Publikum spaltet
in Komplizen und Zweifler.

nach 2000

aus: Sabine Küchler: Unter Wolken. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2005

 

Konnotation

Wir lesen die Bilanz einer Lebensniederlage. Ein Liebesverhältnis ist zerbrochen, und das lyrische Ich schickt sich an, die Formen der Trauer und diverse „Sorten Kummer“ durchzubuchstabieren. Aber die Empfindung des Unglücks verändert sich, die poetische Phantasie findet ihre Bündnispartner in den Tiefen des Meeres. Die „Seetiere“ der Lyrikerin Sabine Küchler (geb. 1965) sind verlässliche imaginäre Begleiter des Ich bei seinen Fluchtphantasien.
Sabine Küchlers Gedichte arbeiten häufig mit solchen nautischen Phantasien. So kommt es zu einer magischen Art des Denkens, die aus Kinderperspektiven und über märchenhafte Begebenheiten die Welt erkundet. „Das melancholische Schweben von Küchlers Sprache scheint aus dem Verlust eines anderen Ich herzurühren, aus dem Verlust dieses Kinder-Ichs, das über die Erinnerung nicht mehr hergestellt werden kann.“ (A.R. Strubel)

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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