Unbekannter Autor Gedicht „Unbeschreibliche Freude“

UNBEKANNTER DICHTER

Unbeschreibliche Freude

Wer ist denn draußen und klopfet an,
Der mich so leise wecken kann?
Das ist der Herzallerliebste dein,
Steh auf und laß mich zu dir ein.

Das Mädchen stand auf und ließ ihn ein
Mit seinem schneeweißen Hemdelein;
Mit seinen schneeweißen Beinen,
Das Mädchen fing an zu weinen.

Ach weine nicht, du Liebste mein,
Aufs Jahr sollst du mein eigen sein;
Mein eigen sollst du werden,
O Liebe auf grüner Erden.

Ich wollt, daß alle Felder wären Papier,
Und alle Studenten schrieben hier,
Sie schrieben ja hier die liebe lange Nacht,
Sie schrieben uns beiden die Liebe doch nicht ab.

1805/06

 

Konnotation

Dass es sich bei den „Alten deutschen Liedern“, die Clemens Brentano und Achim von Arnim in ihrer folgenreichen Anthologie Des Knaben Wunderhorn (1806–1808) versammelten, um textuell sehr variable Poeme handelt, zeigt die Wirkungsgeschichte dieses Liedes. Die Herausgeber beriefen sich ursprünglich auf eine mündliche Überlieferung aus alten Quellen. Als der Komponist Gustav Mahler (1860–1911) das Lied 1888/89 vertonte, änderte er nicht nur einzelne Textstellen, sondern entnahm einem anderen Lied („Bildchen“) die Vorlagen für eine eigene Textfassung – für das Lied „Wo die schönen Trompeten blasen“.
Gustav Mahler hat diesem Lied durch seinen Texteingriff neue Energien zugeführt. Denn die hier zitierte Wunderhorn-Vorlage, die in den ersten drei Strophen so anrührend von der Begegnung eines Mädchens mit seinem Geliebten und einem ewigen Treueschwur handelt, verliert dann in der Schluss-Strophe erheblich an Reiz. Die Pointe von der Einschreibung der Liebe auf das „Papier“ wirkt doch sehr bemüht.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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