Volker Brauns Gedicht „Das Eigentum“

VOLKER BRAUN

Das Eigentum

Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen.
KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN.
Ich selber habe ihm den Tritt versetzt.
Es wirft sich weg und seine magre Zierde.
Dem Winter folgt der Sommer der Begierde.
Und ich kann bleiben wo der Pfeffer wächst.
Und unverständlich wird mein ganzer Text
Was ich niemals besaß wird mir entrissen.
Was ich nicht lebte, werd ich ewig missen.
Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle.
Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle.
Wann sag ich wieder mein und meine alle.

1990

aus: Volker Braun: Lustgarten. Preußen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1996

 

Konnotation

Das berühmteste Gedicht über die deutsche Wiedervereinigung ist die zornige Klage eines verschmähten Liebhabers. Es erschien erstmals im August 1990 unter dem Titel „Nachruf“ in der Tageszeitung Neues Deutschland und war Teil einer erhitzten Kontroverse zur Legitimität einer wiedervereinigten Nation. Der 1939 in Dresden geborene Volker Braun demonstriert darin einen gewissen Bekenner-Trotz und die fortdauernde Loyalität zu dem Land, das „in den Westen“ gegangen ist:
Seiner Utopie vom demokratischen Sozialismus beraubt, formuliert das Ich des Dichters grimmigen Spott über die gewaltsame Aneignung der DDR durch den Westen. Der für die Buchfassung gefundene Gedicht-Titel „Das Eigentum“ spielt auf Friedrich Hölderlins Poem „Mein Eigentum“ von 1799 an, in dem sich Hölderlin auf die Dichtung als das letzte Refugium bezieht. Brauns Gedicht ist bis heute das ästhetisch gelungenste Exempel für das melancholische Bewusstsein der DDR-Schriftsteller nach der Wende von 1989.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

2 Antworten : Volker Brauns Gedicht „Das Eigentum“”

  1. Juan Claudio Schelling sagt:

    Das kannte ich bislang nicht.

  2. E.W. sagt:

    Genau meine Stimmung damals. Ich glaube, viele Intelektuelle der DDR können das nachempfinden. Es hat viele Jahre gedauert, das vereinigte Deutschland als „mein Land“ anzusehen.
    Die Teilung in den Köpfen wirkt weiter, wird aber schwächer. Meine Gefühle gegenüber Menschen aus dem Westen unterscheiden sich immer noch von denen gegenüber denen, die im Osten aufgewachsen sind.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00