Miguel Ángel Asturias: Porträt & Poesie

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Miguel Ángel Asturias: Porträt & Poesie

Asturias-Porträt & Poesie

DIE BEAUFTRAGTEN:

Die mit den quellenden Liedern,
nachthell wachende Zauberer der Poesie,
nachthell wachend, hellschlafend, hellerwacht.

Die mit den quellenden Steinen,
nachthell wachende Zauberer der Skulptur,
nachthell wachend, hellschlafend, hellerwacht.

Die mit den quellenden Farben,
nachthell wachende Zauber der Malerei,
nachthell wachend, hellschlafend, hellerwacht.

Die mit den quellenden Dunkelheiten,
nachthell wachende Zauberer des Kalabassenschmucks,
nachthell wachend, hellschlafend, hellerwacht.

Die mit den quellenden Federn,
nachthell wachende Zauberer kunstvollen Fiedergewebes,
nachthell wachend, hellschlafend, hellerwacht.

Die mit den quellenden Tönen,
nachthell wachende Zauberer der Musik,
nachthell wachend, hellschlafend, hellerwacht.

 

 

 

VII. Aspekte einer Verpflichtung

… man höre die Stimme deiner Völker
in dem neuen Chor der Welt.

Pablo Neruda

Die geistige Substanz des Werkes von Miguel Ángel Asturias wird aus zahlreichen, dem Europäer nicht ohne weiteres erkennbaren Quellen gespeist. Indianische Magie und indigener Mythos vereinen sich mit einer an Quevedo geschulten Dämonologie, die ihre Wurzeln in urweltliche, „tellurische“ Bereiche vortreibt, in denen auch Lorca den Ursprung des spanischen „duende“ erahnte. Wo diese prälogische Sinn-Konstruktion aus theologischen und infernalischen Elementen mit politischem Protest verschmolzen wird – er ist, mehr oder minder akzentuiert, in allen Werken von Asturias handlungsbestimmend −, entsteht ein Weltbild von goyesker Einprägsamkeit. Die von Asturias geschaffene Atmosphäre seiner „poetischen Reälität“ ist in ihren Höhepunkten so sehr mit Leidenschaft erfüllt, daß sie oft an eine melodramatische Karikatur heranreicht, immer aber durch die sprachliche Kraft ihres Schöpfers in den strengen Formen romanisch-indianischer „Sachlichkeit“ gehalten wird. Das faszinierende Erlebnis des Lesers, Zeuge eines geistigen Zweikampfes zwischen indigen-religiöser Zauberei und christlicher „göttlicher Komödie“ zu sein, gibt dem Werk von Asturias auch in der mangelhaftesten Übersetzung noch das Fluidum des Ungewöhnlichen, Zwischenweltlichen und Universellen. Der „magische Realismus“ im Denken von Asturias, der seinen wesensgemäßen Ausdruck in der „magischen Expression“ findet, jener „prosa poesia“, die alle seine Werke durchzieht, wäre falsch interpretiert, wollte man in ihm nur einen „poetischen Ausdruck“ sehen, der er natürlich auch, aber nicht nur und auf keinen Fall in erster Linie ist. Daß es Asturias scheinbar so mühelos gelang, diese Kontinuität des Denkens zu wahren, ist sicher auf seine starke, seine „indigene“ Bindung an das „ambiente“ dieses Denkens zurückzuführen, aber auch als Ergebnis mit wissenschaftlicher Akribie durchgeführter Studien zu erkennen. Der Literaturwissenschaftler und Kritiker Carlos A. Mencos schrieb, Amerika sei „eine Einheit von Rasse, Sprache, Tradition, Landschaft, und vor allein einheitlich in seiner historischen Entwicklung“. Diese grundsätzliche Realität Amerikas, Ausgangspunkt aller Überlegungen und Versuche, Amerika, aber auch die Werke seiner Autoren zu analysieren, tritt bei Asturias oder José María Arguedas stärker hervor als etwa bei Pablo Neruda oder César Vallejo, deren regionalem Universalismus das elementar-magische Element fehlt oder erst in Form einer dialektischen Überlagerung beigegeben wurde. Was sich als die formenden Kräfte im Werk von Asturias erweist, sind, nach Mencos, „die perfekte Kenntnis der indigenen Literatur, des indigen-magischen Elements, der lebendigen Realität, die Sprachgewalt, die poetische, das heißt schöpferische Kraft, seine Fähigkeit, dem Lokalen universellen Rang zu verleihen“.
Asturias postuliert, „daß der lateinamerikanische Schriftsteller einen wesentlichen und fortdauernden Auftrag hat: In seinem Werk die Realität seines Landes zu reflektieren“. Er leitet aus diesem Auftrag seinen Begriff der „verpflichteten Literatur“ ab, einer Literatur, „die dem Leben verpflichtet ist“ und den Autor zum „Zeugen, Ankläger und Protestanten“ macht: „ln unseren Werken müssen wir jene inhumane Situation bezeugen, die unsere Gesellschaft beherrscht.“ Dabei allerdings, bei dieser asturianischen Form des Engagements, ist anzumerken, daß Asturias – im Gegensatz zu vielen anderen „Engagierten“ – keineswegs bereit ist, dem Engagement zuliebe auf das Verlangen nach künstlerischer Perfektion zu verzichten, denn das sei in seiner Forderung nach „verpflichteter Literatur“ eo ipso inbegriffen. „Ich glaube nicht, daß einer, der es ehrlich meint, mit dem Schreiben beginnen kann, wenn er sich in sein Zimmer einsperrt und nicht mehr das Dröhnen des Orinoco… hört, ich glaube nicht, daß der Schriftsteller sich einschließen und den Gebrauch des Wortes… üben kann. Das alles muß er, wenn er ein guter Schriftsteller ist, ohnedies als sein Handwerkszeug beherrschen, denn die gute Absicht ersetzt nicht die Könnerschaft… Der ,verpflichtete Autor‘ ist auch dazu verpflichtet, noch größere Meisterschaft, noch mehr künstlerisches Vermögen zu beweisen.“ Die „Erfindung“ des „verpflichteten Autors“ ist also eine aus der Interpretation der „Verpflichtung“ hergeleitete terminologische Distanzierung vom „bloß inhaltlich“ engagierten Autor.
Asturias verficht einen modifizierten Naturalismus. Diese amerikanisch variierte Form des europäisch-romanischen Naturalismus ist, wie Asturias meint, die einzig mögliche Methode, mit deren Hilfe der lateinamerikanische Autor seiner „Verpflichtung“ gerecht werden kann. Sie hat freilich nichts mit dem Naturalismus eines Zola, vielmehr mit der „verinnerlichten Treue gegenüber der Wirklichkeit“ zu tun, die Asturias in den Romanen von Pío Baroja und Ramón del Valle-Inclán, aber auch in den Bekenntnissen von Tolstoi und Dostojewski zu erkennen glaubt. Aus dieser Auffassung erwächst die Erklärung des Romans als „soziale und wirtschaftliche, rechtliche und politische Geographie des Kontinents“, die den Schriftsteller verpflichtet, „Zeuge, Protestant und Ankläger“ zu sein. „Unser erster lateinamerikanischer Schriftsteller war der Inka Garcilaso de la Vega, Sohn eines Spaniers und einer India, der nicht über Amerika, sondern ,Literatur aus dem Herzen Amerikas schrieb. Unser erster bedeutender lateinamerikanischer Roman war die Crónica de la conquista de Nueva España von Díaz del Castillo, die geschrieben wurde, um die Welt und den spanischen König an die Existenz und an die Probleme Amerikas zu erinnern. Dieser Bericht hat den Weg unserer Literatur bis heute vorgezeichnet.“ Es ist nicht erstaunlich, daß Asturias davon spricht, der lateinamerikanische Schriftsteller übe ein „Amt“ aus. „Das Amt des Autors besteht darin, Stimme seines Landes, seines Kontinents zu sein.“ Aus dieser denkerischen und künstlerischen Grundhaltung entstand das Werk von Asturias, dessen weltanschauliches Fundament bereits in den gesammelten Vorlesungen der Arquitectura de la Vida Nueva erkennbar ist, höchstens Variationen, aber keine Änderungen erfahren hat, und, bedingt durch die konstante, hier besonders deutlich ausgeprägte Wechselwirkung zwischen Inhalt und Form, zwischen Aussage und Sageweise, sich mit den Jahren und der Summe der Erfahrungen zur Vollendung steigerte, zur „Stimme Amerikas“ wurde, wie es Pablo Neruda nannte, der mit dieser Feststellung die Aufforderung verband: „Freunde, Brüder, hört diese Stimme Amerikas. Sie ist die Stimme eines Gerechten.“
Die aus amerikanisch-magischen und amerikanisch-modernistischen Elementen zusammengeschmolzene Sprache von Asturias, mit nur leichten Modifikationen an sich so unterschiedliche Ausdrucksformen wie Roman und Theater, Erzählung und Gedicht einheitlich prägend, in der „magischen Expression“ einen gemeinsamen, mit dem Surrealismus nur oberflächlich verwandten Nenner findend, hat Lateinamerika eine bis dahin unbekannte, heute schon als wesensgemäß erkannte Ausdrucksmöglichkeit gegeben, die, oft nachgeahmt, selten erreicht, wie ein gewaltiger monolothischer, aber fein ziselierter Block die literarische Landschaft dieses Kontinents beherrscht und, in neuerer Zeit, Nachfolger vor allem in den Ausdrucksformen der Mexikanerin Rosario Castellanos und ihres Landsmannes Juan Rulfo gefunden hat.
Ungleich leichter als die durch das Fehlen einer geeigneten deutschen Terminologie erschwerte Definition der sprachlichen Eigenart von Asturias ist die Definition der inhaltlichen Voraussetzungen seiner Werke, die, sobald man den Schlüssel zur Sprache gefunden hat, nicht mehr fremdartig und „exotisch“ sind. Der schon genannten These von der Dreiheit des Werkes aus magischen, politischen und sozialen Elementen folgend, kann man den Werken rein magischen Charakters die Leyendas de Guatemala, die Romane El Alhajadito und Mulata de tal, die Erzählung Juan Girador und das Theaterstück Cuculcán zuordnen; der Roman El señor Presidente und der Erzählungsband Week-end en Guatemala haben inhaltlich rein politischen Charakter; der Roman Hombres de maíz und das Drama La audiencia de los confines folgen politisch-sozialen Vorstellungen Asturias’; die Synthese aller drei Elemente vollzog sich dann in der Trilogía Bananera, die von magischen Substanzen ebenso geformt wird wie von politischen und sozialen Ideen.
Asturias erkennt zwar das Vorhandensein dieser drei entscheidenden Faktoren an, wehrt sich aber dagegen, seine Werke so einordnen zu lassen. Zur Begründung führt er stichhaltig an, daß mit Ausnahme des rein sozialkritischen Aspekts, den er erst ab 1947 bewußt in seine ideologische Konzeption aufgenommen hat, politische und magische Verknüpfungen auch in den Leyendas de Guatemala schon vorhanden waren, daß seine Lyrik und seine Theaterstücke immer schon eine vorweggenommene Synthese darstellten, daß sein poetisches Theater immer gleichzeitig indigen-magisches Theater war, und daß die Tatsache der poetischen Grundlage aller Werke sich jeder Aufteilung widersetze.
Da aber Asturias fordert, der lateinamerikanische Schriftsteller habe die Aufgabe, die Realität, die ganze Realität seines Kontinents zu bezeugen, da er selbst behauptet, seine schriftstellerische Arbeit nach diesem Kriterium ausgerichtet zu haben, ergibt sich eine sehr konkrete Möglichkeit zur Bestandsaufnahme. Die lateinamerikanische Soziologie bezeichnet als die gegenwärtigen Hauptprobleme Lateinamerikas die soziale Ungerechtigkeit, den Latifundismus, den Militarismus, den Klerikalismus und den Imperialismus fremder Mächte. Versucht man, was ohne Mühe möglich ist, das Werk von Asturias nach diesen „fünf Qualen des Amerikaners“ zu befragen, dann stellt sich heraus, daß sie alle als thematische Grundlagen vorhanden sind, wobei lediglich der Klerikalismus eine Randstellung einnimmt, die durch seine seit etwa zwanzig Jahren mehr und mehr schwindende Bedeutung erklärbar wird. Die soziale Ungerechtigkeit, zu der das lateinamerikanische Bildungsdefizit ebenso gehört wie Unterernährung, Diskriminierung ganzer Klassen und Rassen, wird als Thema mit Variationen sehr umfassend in allen Werken behandelt und ist bei Asturias wie in der Wirklichkeit das Hauptproblem des Kontinents; der Latifundismus, die aus dem Großgrundbesitz als gesellschaftlicher Grundstruktur erwachsende soziale Verzerrung, ist in Hombres de maíz, vor allem aber in der Trilogía Bananera – und deren eigentlicher Hauptfigur, der Frutera – kompromißlos dargestellt; der Militarismus, das permanente Ausgeliefertsein der amerikanischen Völker an kleine militärische Cliquen, die alle Macht für sich beanspruchen und militaristisches Denken nach innen demonstrieren, bestimmt wesentlich El señor Presidente, und, als Reflexion der Verhaltensweise einheimischer Schichten gegenüber dem Imperialismus, die anderen Romane, vor allem die Erzählungen aus Week-end en Guatemala; der Klerikalismus, die Vorherrschaft der Kirche und deren Zusammenarbeit mit den Vertretern des Latifundismus, des Militarismus und des Imperialismus, wird weniger deutlich abgehandelt, zieht sich aber wie ein roter Faden von den Leyendas de Guatemala durch alle Romane hin bis in die theatralischen Werke; der Imperialismus schließlich, als eines der Hauptthemen von Asturias, spielte andeutungsweise und als historische Reminiszenz schon eine Rolle in den Leyendas de Guatemala, floß in El señor Presidente ein, nahm dann festumrissene Gestalt an in der Darstellung der Unterdrückungspolitik in der Trilogía Bananera und wurde am deutlichsten formuliert in dem dokumentarisch-satirischen Erzählband Week-end en Guatemala, der als eine schon „klassische“ Abrechnung mit Unterdrückung und Ausbeutung lateinamerikanischer Völker und Staaten durch wirtschaftlich und militärisch überlegene fremde Mächte gelten kann.
Bei dem Versuch, die Thematik von Asturias zu erschließen, zeigt sich sehr bald, daß eine exakte Abgrenzung nicht möglich ist, daß das eine oder andere Motiv Romane und Theaterstücke begründen, daß aber, als mitbeeinflussende Nebenmotive, auch andere ursächliche Vorstellungen oder Ereignisse auf das Geschehen einwirken. Die ebenso kontinuierliche wie konsequente Weiterentwicklung der verschiedenen Motivgruppen auf ihre Vereinheitlichung, auf die Darstellung der „ganzen ungeteilten und unteilbaren Realität Amerikas“ hin gibt dem erzählerischen Werk von Asturias – und auch dem von ihm im Vergleich mit Roman und Lyrik als zweitrangig betrachteten theatralischen Werk – den Charakter großer Geschlossenheit. Sie läßt ein kühl durchdachtes, aus innerer Überzeugung geborenes Konzept erkennen, das sich am einfachsten, aber auch am zutreffendsten mit dem Begriff der „humanistischen Gesinnung“ des Autors umschreiben läßt. Asturias bezeichnet diese Konstantheit seiner Empfindungen und Bemühungen als „logisch“, als Folge seiner in der Jugend getroffenen Entscheidung. „Ich glaube, besser gesagt: ich hoffe, daß ich mir selbst immer treu geblieben bin… Für den Schriftsteller ist die innere Ehrlichkeit des Werks doch selbstverständlich, eine Art Berufsethos, nicht wahr?“
Asturias ist ein sehr geschickter Dramatiker, der diese Begabung bisher nur selten bewies, und ein an französischen Vorbildern geschulter Essayist. Aber beide literarischen Sparten sind nicht seine eigentliche Domäne. Seine ihm angemessene Welt ist die des Romans, in dem er seinen faszinierenden Einfällen, seiner hohen Kunst der Durchdringung eines Themas, seiner Fabulierkraft und seiner dialektischen Fähigkeit jeden Spielraum geben kann; als Romancier ist Asturias dem Cervantes verwandt und den Märchenerzählern, den französischen Aufklärern und den großen Franzosen und Russen des neunzehnten Jahrhunderts. Besonders gern beruft er sich auf Robert Musil und Thomas Mann. Aber nicht ohne Grund spricht er vom „vulkanischen Charakter“ Amerikas, dem er Stimme geben will. Etwas von diesem vulkanischen Charakter ist in seine Sprache eingegangen, in seine Themen, und überträgt auf sie den archaischen Ton, die Fähigkeit, „moralische Krankheiten“ – wie es der argentinische Literaturwissenschaftlern Enrique Anderson Imbert nennt – aufspüren und zur Therapie vorbereiten zu können. Vieles im Werk von Asturias erinnert an die literarische Methode des Spaniers Ramón del Valle-Inclán. Besonders deutlich wird das in der von Anderson Imbert hervorgehobenen „Bitterkeit“, die El señor Presidente nicht nur deshalb zu einer „bitteren Lektüre macht, weil der Autor mit Bitterkeit geschrieben hat, sondern auch, weil den Leser bei der Begegnung mit diesem Gemälde des Elends wachsende Bitterkeit überkommt“. Mit Valle-Inclán teilt Asturias auch die Fähigkeit, mit sarkastischem Spott – wie in Week-end en Guatemala – den Gegner zu treffen. Es ist ein seltsames, anthropologisch und ethnologisch sehr interessantes Faktum, daß der „amerikanischste“ aller lateinamerikanischen Autoren, die Gran Lengua der Indios, bis heute eine Ausnahmeerscheinung in der Literatur des amerikanischen Kontinents blieb und dennoch an das originär-spanische Element in den Werken aller großen Spanier gebunden ist. Es wäre interessant zu untersuchen, wie weit originär-indigene Elemente Spaniens, zum Beispiel das arabisch-islamische, das keltische, das jüdische, sich in Übereinstimmung bringen lassen mit den originär-indigenen indianischen Elementen Amerikas. Vielleicht ist es dieser bis heute wenig erforschte Aspekt der gegenseitigen spanisch-indianischen Durchdringung in Amerika, der Asturias, bei aller thematischen Unterschiedlichkeit, selbst bei anderem Temperament, anderen Ausgangspunkten, anderer Welt-Sicht, in so nahe Verwandtschaft zu Cervantes, zu Quevedo, zu Valle-Inclán, zu García Lorca und Antonio Machado stellt und den „Mestizismo“ zu seinem geistigen Leitbild machte. Asturias verfügt über die seltene Fähigkeit, jederzeit eine dem Thema angemessene Sprache „erschaffen“ und diese Sprache dann bis zur Neige ausschöpfen zu können. Die vollkommene Beherrschung aller handwerklichen Voraussetzungen in Einheit mit der verabsolutierten „subjektiven Objektivität“ seiner Themen hatte zur Folge, daß El señor Presidente, daß die Romane der Trilogía Bananera etwas wie totale Literatur werden konnten, eine Literatur, die sich ihren Kosmos selbst schafft und zur gleichen Zeit vorbildhaft für alle Kosmen wird – vorausgesetzt, daß „Kosmos“ mit „Ordnung“ identisch ist. Die Methode von Asturias, an gestörten Ordnungen die absolute Ordnung zu erproben, gibt seinen Werken weltanschauliche Züge. Aber diese „Mundovista“ hat wenig zu tun mit herkömmlichen Weltanschauungen und verlangt deshalb ebenfalls eigene Maßstäbe. Der Ideenreichtum und der nicht geringere Reichtum an Metaphern, Neologismen, Alliterationen und den in Amerika so genannten „jitanjáforas“ – ein unübersetzbarer Begriff für autochthone sprachliche Erfindungskraft – verführen dazu, in dem asturianischen Kosmos eine Variante seiner Aussage über den magischen Realismus zu erkennen: zwischen der existierenden und der erträumten Ordnung entsteht sein Werk als eine Ordnung sui generis, wegen seiner – nach Anderson Imbert – „Kraft der Imagination, seinem Mut, mit dem er die innere Struktur des Berichts kompliziert, und wegen der heftigen oder zärtlichen lyrischen Expression, mit der er die Länder Amerikas beschwört“.
Asturias arbeitete an El señor Presidente mit Hingabe und Ausdauer, Intensität und Ernsthaftigkeit. Das Werk wurde immer umfangreicher, verlor immer mehr den „lokalen Charakter“, der Los mendigos políticos bestimmte, wuchs ins Universelle, formte sich mehr und mehr zu einem Bericht über den Zustand der Menschheit. Unnachsichtig prüfte und verwarf Asturias, was er erzählt, dann niedergeschrieben hatte. Als er das Manuskript schließlich als druckreif abschloß, hatte er es insgesamt neunzehnmal völlig umgeschrieben. „Ich bin als Schriftsteller an und mit diesem Buch gewachsen. Ich hatte mich vollkommen mit der Arbeit identifiziert.“ Das Ergebnis war, nach Luis Harrs, „eine Galerie menschlicher Grotesken, die an Goyas Caprichos und an die Träume von Quevedo gemahnte“. In diesem Roman, wie in allen seinen Werken, ist eine völlige Identifizierung von Sprache und Inhalt erkennbar. Die bei den sprachlichen und gedanklichen Flüsse spanischen und indianischen Ursprungs fließen, zusammen zu einem gewaltigen Strom aus naturalistischer und visionärer Darstellung, in der die Sprache thematischen und dogmatischen Charakter, der Inhalt historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Aussagewert erhält.
In dem Roman Hombres de maíz wird die sprachlich-thematische Identifizierung so radikal vorangetrieben, daß Asturias heute glaubt, er habe in diesem Buch eine terminologische Grenze erreicht, die nicht überschritten werden darf, weil sie bereits eine „biologische Dimension“ ausfülle. „Die Sprache von Asturias“, schreibt Luis Harrs, „ist Echo der Schatten von lebenden Wesen.“
Der Autor von El señor Presidente, Hombres de maíz und der Trilogía Bananera glaubt an die Macht des Wortes, das dazu ausersehen ist, die Welt zu verändern; diese Einstellung von Asturias findet eine Entsprechung in den religiösen Vorstellungen der präkolumbischen Mayas, denen zufolge das Wort ein in das Innere des Menschen verlagertes Abbild der äußeren Welt ist, das sich dort vom Bild zum Klang verwandelt. Die Übertragung dieser Vorstellung in gegenwärtige Begriffe führt bei Asturias zu prälogischen Assoziationen, die ihn befähigen, geheime Botschaften, okkulte Wirklichkeiten und vergessene Gedanken zu entziffern. Die Metapher gewinnt organische Funktion. Jedes Wort wird auf den religiösen Ursprung zurückgeführt. Die Landschaft erhält dynamische Kraft und eigenes Leben, wird gleichwertiger Partner des Menschen. Mensch und Natur sind einander unlösbar und in Leidenschaft verbunden. „Das ist der Grund“, sagt Asturias, „warum mir ein Leben ohne mein Guatemala unmöglich ist. In der Fremde vergesse ich, wie seine Stimme klingt, die Stimme des Landes und der Menschen. Ich muß immer wieder zurückkehren, um den heißen und gewaltigen Klang neu in mich aufzunehmen, damit ich als Schriftsteller, als Dichter den tellurischen Kräften meines Landes menschliche Stimme geben kann…“
Es gibt Kenner des Werkes von Asturias, die behaupten, eine Aufteilung in Prosa und Lyrik sei deshalb nicht möglich, weil die Prosa nur eine andere, nicht in Versform gebrachte Lyrik sei. Sicher ist diese Behauptung überspitzt, aber sie geht von einer zutreffenden Voraussetzung aus: der großen Bedeutung, die dem lyrisch-poetischen Ausdruck im Gesamtwerk zukommt. Der magisch-beschwörende Ton der Dramen und Komödien läßt keine andere Vermutung zu, als daß hier „poetisches Theater“ geschrieben wurde, auch dann noch, wenn es sich – durchaus im Sinne von Bert Brecht als mitunter sogar doktrinäres Lehrstück präsentiert wie La audiencia de los confines, ein nicht einzuordnendes Stück, das am zuverlässigsten noch als Bühnenfortsetzung der inneren Monologe aus der Trilogía Bananera gelten kann. Andererseits wieder schließt ein Stück wie Cuculcán unmittelbar und ohne Bruch an die Leyendas de Guatemala an.
So nennt Asturias Soluna eine Komödie; in Aufbau und Inhalt entspricht das Stück aber den Regeln eines klassischen spanischen „Auto sacramental“, verlagert allerdings in ein indianisches Milieu und den amerikanisch-indigenen Mysterien so verbunden, wie die Werke Calderóns dem spanischen Katholizismus verbunden sind. Auch ist in dieser „Komödie“ der Einfluß von Unamunos „sentimiento trágico de la vida“ nicht zu übersehen, doch nennt Asturias dieses tragische Lebensgefühl indigen. Chantaje und Dique seco, in Amerika als Tragödien bezeichnet, sind ironische oder sarkastische Polemiken. Die eigenartige und doch sehr charakteristische Mischung aus Spott und Tragik bestimmt auch den Inhalt des längsten und aggressivsten Stücks von Asturias; das alle Merkmale eines großen Dramas aufweist, von seinem Autor aber als „Chronik“ bezeichnet wird und aus einem politischen Kunstgriff entstand: Als die Aktivität der Zensur in Amerika jedes kritische „zeitgenössische“ Theater verhinderte, stellte Asturias Fray Bartolomé de las Casas auf die Bühne, ließ ihn in seinen historisch überlieferten Worten gegen die Versklavung der Indios polemisieren, gab dem Stück den Titel La audiencia de los confines und machte die Zensur lächerlich. Nachdem eine guatemaltekische Studentengruppe die „historische Chronik“ 1961 aufgeführt hatte, wurde das Stück verboten, weil es die Kirche, die Reichen und den Staat beleidige und außerdem die kommunistische Gesinnung seines Autors beweise. Erst nach diesem Skandal gab Asturias in Buenos Aires bekannt, daß die Dialoge und wörtlich von dem Bischof Las Casas stammten und deshalb weder kirchenfeindlich noch kommunistisch sein könnten.
Asturias nennt sein Verhältnis zum Theater „unbequem“. Er mißt seinem dramatischen Werk keine Bedeutung bei und sagt, er habe nie den richtigen Zugang zur Bühne gefunden, weil ihm die Voraussetzungen dieses Mediums fremd seien: „Das Theater ist eine sehr äußerliche Stimme. Ich ziehe die innere Stimme des Romans vor, die keiner großen Geste bedarf.“ Hier irrt er offenbar in der Bewertung des Theaters ebenso wie in der Einschätzung seiner dramatischen Fähigkeiten.
Das theatralische Werk von Asturias ist weithin lyrisch geformt, die Lyrik bezieht häufig dramatische Elemente ein. Diese Wechselwirkung nennt Asturias „Fantomima“, eine Verschmelzung von Pantomime und Phantasma („pantomima con fantasma“). Sie ist Bindeglied zwischen der „prosa poesía“ und dem eigentlichen lyrischen Werk, das nicht auskommt ohne eine Vielfalt nach dramaturgischen Gesetzen gestalteter Verse in Dialog- oder Monologform.

In der Lyrik von Asturias läßt sich die künstlerische Entwicklung des Autors am deutlichsten verfolgen. Der hier stärker sich offenbarende persönliche Gehalt, das Bemühen, der expressiven Kraft der Prosa in der Lyrik eine verinnerlichte, auf das Ich bezogene Deutung zu geben, machen das umfangreiche dichterische Werk zu einer ehrlichen, erhellenden Darstellung von Vorgängen, die sich im Autor vollzogen, während er, angeregt durch äußere Ereignisse, Romane als Zeitdokumente schrieb. Die nach Jahrgängen zusammengefaßten Gedichte – an deren Auswahl und Veröffentlichung Rafael Alberti großen Anteil hatte – beginnen mit der bukolisch-poetischen Beschreibung der in der Kindheit entdeckten indigenen Schönheit und führen dann in die leidgefüllten Zonen indianischer Lebensform hinüber. Die Gedichte der späteren Jahre reflektieren die Eindrücke des aufmerksamen Reisenden und den Schmerz des Flüchtlings. Im Exil entstanden die von einem starken Pathos getragenen politisch-bekennerhaften Dichtungen, die von José Enrique Rodós „hymnischem Amerikanismus“ beeinflußt sind und ihren Höhepunkt in dem Bolívar-Zyklus mit dem berühmten Credo erreichten. Clarivigilia Primaveral führte Asturias an den thematischen Ausgangspunkt seines Werks zurück. Der grandiose Gedichtzyklus um die Erschaffung des Künstlers durch die alten Götter der Mayas ist Asturias’ großartigstes lyrisches Werk, eine intellektuelle Schöpfungsgeschichte, von der Pablo Neruda sagte, sie sei das „Popol Vuh unseres Jahrhunderts, die indianische Bibel der Zukunft“. Der Argentinier Enrique Anderson Imbert bescheinigt Asturias, ein „Dichter in Moll“ zu sein, aber was der Interpret in den Gedichten des Mayanachkommen als „Schmerz an der Zeit“ zu erkennen glaubt, ist die Darstellung indigener Gefühlswelten mit Hilfe einer suggestiv und zugleich logisch durchkomponierten Sprache, die in sanfter oder herber Melodik die Bindung des Dichters an die Musik, vor allem an die Gebets-Rhythmen der Indios ausdrückt. Der evokativ-mythische Akzent, oft auch an sprachlichen Mitteln erkennbar, die einzelne Gedichte jeder Übertragung verschließen, äußert sich sowohl in der Einbeziehung kultischer Zeremonialausdrücke wie auch in der Übertragung „christlich-materialistischer“ Elemente in die „magisch-ideale“ Traumwelt der Indios und umgekehrt. Als im Jahre 1948 die Anthologie Sien de Alondra in Buenos Aires erschien, schrieb Alfonso Reyes, damit sei eine „cartesianische Rückbesinnung“ auf die poetischen Grundlagen Amerikas erreicht worden. Diese Charakterisierung hat Gültigkeit für das gesamte lyrische Werk von Asturias, das aus den Quellen des Indigenen und seiner Konfrontation mit der neuen Zeit gespeist wird. Neruda ist vielleicht zeitbezogener, aktueller in seiner Dichtung als Asturias, aber was bedeutet Zeit für zwei Dichter, denen sie „eine umschreibende Formel für das unaussprechliche Heimweh nach Vergangenem“ ist, wie Vicente Huidobro gesagt hat, deren unerhörte Modernität sich in sprachlichen Außergewöhnlichkeiten nicht erschöpft und nichts mit jenem Modernismus gemein hat, der sein Entstehen einer Welt formaler zivilisatorischer Fortschrittlichkeit verdankt. Bei Neruda ist offenkundiger, bei Asturias verborgener, daß beide mit ihrer eigenen dichterischen Welt zugleich einen Zeitbegriff erschaffen haben, demzufolge jede Zukunft immer ein Rückgriff auf die Vergangenheit, jede Hoffnung immer ein Wunsch nach Rückgewinnung verlorener Träume ist. Deshalb strahlt das lyrische Werk von Miguel Ángel Asturias eine innere Aktualität aus, die von den Anfängen bis in die Gedichte der späteren Jahre folgerichtig bewahrt blieb. Seine Dichtungen haben den Charakter von Bekenntnislyrik. Sie sind mitunter pathetisch, wenn es gilt, als erstrebenswert erkannte Ideale zu verteidigen, wie zum Beispiel der berühmte Abschluß des Bolívar-Zyklus, der den bezeichnenden Titel Credo trägt und in Spanien und andernorts wegen seines Inhalts von der Zensur verboten wurde:

Ich glaube an die Freiheit, Mutter Amerikas,
Schöpferin der linden Meere auf Erden,
und an Bolívar, ihren Sohn, unsern Herrn,
der, geboren in Venezuela, geschlagen wurde,
litt unterm spanischen Joch.
Er ging zu sterben auf den Chimborasso,
fuhr nieder mit dem Regenbogen zur Hölle,
auferstand bei der Stimme Columbiens,
faßte die Ewigkeit mit seinen Händen
und sitzet zur Rechten Gottes.

Richte uns nicht, Bolívar,
ehe der jüngste Tag kommt,
denn wir glauben an die Gemeinschaft der Menschen,
die mit dem Volke teilen Wein und Brot
− allein das Volk macht frei die Menschen −,
schwören Krieg auf Leben und Tod und gnadenlos den Tyrannen,
glauben an die Auferstehung der Helden
und an das ewige Leben
derer, die, gleich dir, Befreier,
nicht sterben, wach sind mit geschlossenen Augen.

Es wäre böswillig, dieses Gedicht als blasphemischen Mißbrauch des christlichen Glaubensbekenntnisses zu deuten, denn Asturias macht keine politische Zweckyrik, sondern ein Bekenntnis zu dem Amerika, das in seinen Idealen bis heute nicht vollendet worden ist. In dieser Erinnerung wird die Epopöe eines ganzen Kontinents evoziert. In dem Schlußbild des Credo, das die Erinnerung der historischen Kämpfer um Freiheit und Gleichberechtigung heraufbeschwört, derer also, die, gleich Bolívar, nicht sterben, sondern „wach sind mit geschlossenen Augen“, ist eine thematische Parallele zum Titelmotto des Romans Los ojos de los enterrados (Die Augen der Begrabenen) gegeben, das auf die Maya-Mythologie zurückzuführen ist. Im Popol Vuh heißt es, daß die Helden des Volkes solange nicht wirklich den Frieden des Todes finden, also mit geschlossenen Augen wach sind und Dur begraben, solange ihr Volk Ungerechtigkeit erdulden muß. Dieses Beispiel macht übrigens deutlich, in welchem Maße oft unerkennbare mythologische Bezüge die Übersetzung des Werkes von Asturias bis zur terminologisch bedingten Unmöglichkeit erschweren, in der Übertragung den originär-indigenen Sinn beizubehalten oder verständlich werden zu lassen. Im Credo heißt das: In der Gestalt Bolívars vereinen sich alle Elemente, die leitmotivisch die Werke von Asturias, Neruda und vielen anderen Autoren ihres Kontinents durchziehen: das Verlangen nach Freiheit, die Klage über die Vergeßlichkeit und die Anklage gegen die Unmenschlichkeit derer, die ein großes Erbe vernichtet haben. Diese aus Naturkenntnis und Historizität des Denkens – den beiden Polen des „amerikanischen Weltbildes“ – Profil gewinnende lyrische Interpretation des Zustandes der Welt verwandelt Dichtung zurück in ihre archaisch-kultische Ausgangsform, macht sie zu einer spontanen, natürlichen Reaktion auf das Erlebnis der Welt und verleiht ihr die Kraft zu dem Anspruch, Mittel zur Änderung dieser Welt zu sein. Aus diesem Ur-Postulat ergibt sich eine auch aus der spanischen Literatur des Jahrhunderts bekannte Konsequenz, nämlich die Voraussetzung, daß Dichtung nicht länger ein verschlossenes Reich sein dürfe, sondern verständliches Wort auch für den Einfachsten werden müsse. Diesem Postulat macht Asturias vor allem seine folkloristischen Kenntnisse nutzbar, die ihm ermöglichen, Unverständlich-Abstraktes in verständliche Metapher zu verwandeln, die dem „in Bildern denkenden“ Indio, nicht immer aber dem der Metapher entwöhnten Zivilisationsmenschen unseres Jahrhunderts verständlich wird. Manches also, was an der Lyrik von Asturias dem europäischen Leser so gewagt, so modernistisch, so experimentell erscheint, ist im Grunde nur Ausdruck der magischen Expression, eine Art wörtlicher Übersetzung indigener Denksprachen, aber auch die Deskription dieses Denkens und die Darstellung dieses Lebens in einer ihm gemäßen Sprache, wie zum Beispiel in dem Gedicht „Los indios bajan de Mixco“:

Schweigsamer ist das Leben
der Indios als unser Leben,
und steigen sie nieder von Mixco,
ist nur das Keuchen zu hören,
das ab und an aus ihren Lippen
wie eine seidene Schlange pfeift.

Der lyrischen Bestandsaufnahme folgt die Andeutung einer – utopischen – Hoffnung, denn, so heißt es in den Meditaciones del pie descalzo,

mit Augen Saatkorn klein
siehst du alles und ohne Verwunderung,
denn in deinen geheimen Büchern steht geschrieben
die Rückkehr des Glücks.

Asturias, geschult ganz offenbar an den indianischen Zerebraltexten aus dem Popol Vuh und den Anales de los Xahil, geschult auch an der heutigen Ausdrucksweise der Mayas, deren „empfindsame“ Sprechweise gerühmt wird, unterwirft diese Gedichte dem großangelegten Prinzip der Erziehung der Völker, „bei der die Dichtung von großer Bedeutung ist, weil mit ihr Zonen im Inneren der Menschen angesprochen werden können, die jeder anderen pädagogischen Absicht verschlossen bleiben“.
Das evokative Element in den Dichtungen aber, das den Zugang zu diesen sonst verschlossenen Zonen ermöglicht, ist indigener Herkunft. Es ist auch optisch und akustisch erfaßbar, allein aus der Komposition der Worte. Ein kurzes Originalzitat aus einem der berühmtesten Gedichte von Asturias, „Tecún-Umán“, macht das deutlich und zeigt, warum diese Art von Dichtung kaum mehr übersetzbar ist:

Tecún-Umán, el de los atables,
ruido tributario de la tempestad
en seco de los tamborones, suero
de tamborón medio ternero, cuero
de tamborón que lleva cuero, cuero
adentro, cuero en medio, cuero afuera,
cuero de tamborón bón, bón, borón, bón…

Hier ist sicht- und hörbar – für den sprachunkundigen Leser allein schon aus der Häufung dunkler U- und O-Laute und der hart rhythmisierenden Wiederholung der A- und E-Laute – der Übergang von Lyrik zu Beschwörung vollzogen, hier hört man den dumpfen Klang der Trommel und das Stampfen der Füße beim Tanz, hier klingt die Verzückung an, das Sichvergessen während der kultischen Handlung, hier wird, in Verbindung mit dem Inhalt des Gedichtes, ein historischer Vorgang, symbolisiert in dem Namen Tecún-Umán, in Gegenwart verwandelt. Dieser mitunter ekstatischen Lyrik stehen bei Asturias die distanzierten, strengen Verse seiner Sonette gegenüber, die fast immer Bekenntnis zur europäischen Tradition sind, was sich auch aus den Sammeltiteln, zum Beispiel dem der „Poetischen Übungen in Sonettform über Themen von Horaz“ erkennen läßt. Während in der lateinamerikanischen Kunstlyrik der Jahre zwischen 1930 und 1945 allgemein der französische Einfluß überwiegt, während überall Versuche unternommen wurden, die lyrischen Experimente des Jahrhunderts in Paris auf amerikanische Verhältnisse zu übertragen, ist erstaunlicherweise bei Asturias, diesem Dichter, der Frankreich seine zweite Heimat nennt, davon nur wenig zu spüren. In seinem lyrischen Werk sind zwei Kräfte wirksam: das bei ihm in vorvollzogener Synthese „amerikanisch“ gewordene indigen-mestizische und das spanische Element, dessen Ausstrahlung sich immer stärker bemerkbar macht. Wir begegnen bei Asturias dem iberischen Entsetzen vor der „soledad“, der Einsamkeit wieder, die immer als ein Verstoß des Menschen gegen seine Natur gesehen wird, von Trauer und Tod umgeben ist, nicht die meditativ-besinnlichen Züge trägt, die der Nordländer in der Beschränkung auf das eigene Ich kultiviert, sondern jener Form des „metaphysischen Todes“, die auch bei Lorca, bei Unamuno, bei Machado als Metapher und als reales Element so bedeutsam ist. Für den romanischen Südländer wie für den Indio haben in der Literatur die im Norden so geschätzten Exkursionen in das eigene Innere immer den Charakter des Gräßlichen, des Tödlichen, weil beide auf Grund ihrer Mentalität, ihrer Auffassung von der Welt Prototypen des „zoon politikon“ sind, die sich erst als Glied der Gemeinschaft, dann als Individuum fühlen. Der Zustand des Einsamseins hat für den Romanen wie für den Indio nichts Tröstliches; sein literarischer Ausdruck zeigt keine kontemplativen Elemente, wie sie die nordeuropäische Literatur von Hamlet über Werther bis zu Thomas Manns Faustus bestimmen. Seine Sprache artikuliert stets die Erschütterung, das Entsetzen über die Vereinzelung und postuliert die Gemeinschaft als wünschenswertes Ideal. Vieles im politischen und sozialen Engagement iberischer und lateinamerikanischer Dichter findet hierin seine Ursache. Ihrem Wesen entspricht es, im Alleinsein Fluch und Strafe, in der Überwindung des Alleinseins auch die Überwindung des sozialen Elends zu sehen. Nicht zufällig sprach Pablo Neruda davon, daß der „einsame Mann ein Baum“ ist, „den man fällt und nicht beweint“, während „viele Einsamkeiten einen mächtigen Wall“ bilden, „der allen Stürmen trotzt, dem keiner seine Wurzeln tötet“. Die Auflehnung gegen die Einsamkeit übernimmt in der sozialen Dichtung Lateinamerikas die Rolle der Überwinderin fatalistischen Denkens. Zärtlichkeit, Zuneigung, Menschlichkeit sind Synonyme für überwundene Einsamkeiten des Menschen. Auch bei Asturias ist das feststellbar. Die scheinbar sehr persönliche Liebeslyrik, die in seinem Werk häufig ist, erweist sich am Schluß fast immer als ein Bekenntnis zur Gemeinschaft, ist fast nie nur Ausdruck der Zuneigung zu einem „Anderen“. Auch die Liebe trägt „totale“ Züge. Der Zyklus der Sonetos del amor acongojado ist dafür ein gutes Beispiel, und was sein Schöpfer damit sagen will, spricht er im zwölften Sonett deutlich aus.

Auf einmal war die Furcht, dich zu verlieren,
so hart und unerbittlich wahr geworden,
daß ich sie mit dem Tod vergleichen muß,
um meine Bitterkeit für kurz zu lindern.

Aus welcher Art Roulette ging das Geschick
hervor, das uns im Wahn verbinden konnte,
mit schwacher Leidenschaft von Kreaturen
die ewig starke Liebe darzustellen.

Ach, ich verlor dich schon. In jenen Glocken,
die Gift und Wut und Feuersturm einläuten,
zerriß dein Leib und zwischen Karawanen
aus Träumen und Metallen, mit Jasminen
bedeck ich dein Gedächtnis. Und ich leugne,
daß meine Hunde dich gefressen haben.

Es ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig, darauf hinzuweisen, daß Asturias sich als „christlicher Dichter“ bezeichnet, worunter er den „Sänger der Liebe und Gerechtigkeit“ versteht, der urchristliche Ideale mit indigenen humanistischen Vorstellungen verschmilzt und so eine Weltanschauung entwickelt, die häufig als „kommunistisch“ diffamiert wurde, aber nichts anderes ist als die Verchristlichung der Vorstellungen, die zum Beispiel Gabriela Mistral, Pablo Neruda und César Vallejo aus dem „sozialistischen Erbe“ des vorkolumbischen Amerika bezogen und dann mit kosmopolitischen (Mistral) oder politischen (Neruda) und weltanschaulichen (Vallejo) Vorstellungen unseres Jahrhunderts verschmolzen haben. Asturias, dessen Lyrik nicht so sehr wie die Nerudas auf unmittelbare Wirkung zielt, ist darin weniger zeitbezogen als sein chilenischer Freund. Neruda fühlt sich als Lyriker ebenso der „verpflichteten Dichtung“ verbunden wie Asturias in seinen Romanen. Asturias der Dichter, der Autor seiner poesía poesía ist kontemplativ, hingegeben an den Wunsch, die Welt und den Menschen zu ergründen, bevor er sie in den Romanen und Erzählungen zu ändern, zu bessern versucht.
Über allem aber steht als unanfechtbare Regel, was Carlos A. Mencos in einem Satz zusammengefaßt hat: „Toda su obra es básicamente poesía“ – „sein gesamtes Werk ist von Grund auf Poesie.“

Günter W. Lorenz

 

Porträt und Poesie

− Eine Paperbackreihe der modernen Poesie. −

Von den „Klassikern der Moderne“ – Baudelaire, Hopkins, Whitman, Nietzsche, d’Annunzio, Dario – über Apollinaire, Eluard, Yeats, Pound, Brecht, Benn, Lorca, Neruda, Ungaretti, Majakowski bis zu den jungen porgressiven Lyrikern soll Band um Band der Reihe: Porträt und Poeise ein Spektrum der modernen Poesie auffächern. Diese Poesie ist Weltsprache geworden, es gibt keine nationalen Prioritäten mehr. So werden neben deutschen und französischen Autoren finnische und türkische stehen, die englische und spanische Lyrik wird ebenso zu Wort kommen wie die der Tschechen und der Brasilianer.
Jedem Autor wird ein eigener Band von etwa 200 Seiten gewidmet sein. Anthologien werden die Poesie eines Landes vorstellen.

Luchterhand Verlag, Klappentext, 1968

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Biografie + Kalliope
Porträtgalerie: deutsche FOTOTHEK
Nachruf auf Miguel Ángel Asturias: Tat

 

Miguel Ángel Asturias – Kurze Lebensbeschreibung des guatemaltekischen Autors.

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