Peter Maiwald: Springinsfeld

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Peter Maiwald: Springinsfeld

Maiwald-Springinsfeld

BITTE UM NACHLASS

Bevor ich aus der Welt verschwind
wem soll ich überlassen
mein Wolfsgebiß mein Mörderherz
die Diebeshand das Hassen
mein Jammertal mein Zorngebirg
das Mundhand-Handmund-Leben
den Trauerkloß an dem ich würg
das unselige Geben
mein Winkelglück mein Unbehaust
das Hastebistehaben
der Mensch dem vor dem Menschen graust.
Kein Kind will meine Gaben.

 

 

 

Springinsfeld ist kein Titel,

sondern eine Einladung an den Leser. Er wird gebeten, mit den Gedichten dieses Bandes ,ins Feld zu springen‘ – sich also in sie hineinziehen zu lassen und sich in ihnen wiederzuerkennen. Peter Maiwald war immer ein politisch denkender, aber sinnlich schreibender Schriftsteller. Durch die politischen Umbrüche der vergangenen Jahre erschließen sich seiner Lyrik neue Dimensionen. Die seither entstandenen Gedichte sind sowohl in sprachlicher wie in formaler Hinsicht virtuose Kabinettstücke. Sie verbinden politische Intelligenz mit Lebensfreude, Geistes-Gegenwart mit Traditions-Bewußtsein. Dabei sind sie nie verrätselt oder dunkel. Maiwald sagt, was er denkt – aber er sagt es so kunstvoll, daß sich die Zeilen wie von selbst einprägen. Die erotischen Gedichte des Bandes sind wahre Wortwunderwerke: Sie benennen deutlich, wovon sie erzählen, werden aber nie peinlich genau. Sie sind anmutige Liebes-Erklärungen, die drastische Details nicht nötig haben. Sie sprechen von beidem: vom Genuß und vom Ernst der Sache.

Fischer Taschenbuch Verlag, Klappentext, 1994

 

 

Neue Denkbilder

– Peter Maiwalds Gedichtband Springinsfeld. –

Springinsfeld? Das ist einer, der unbekümmert daherkommt und unbefangen ins Leben ausgreift; sich spontan den Erfahrungen ausliefert, die sich anbieten, und erst dann die notwendigen Schlüsse zieht; Erfahrungen am eigenen Leibe sammelt und sich nicht durch vorgefasste Urteile beeinflussen lässt. Springinsfeld ist der Titel der neuen Gedichtsammlung des deutschen Lyrikers Peter Maiwald. Er signalisiert gleichzeitig ein poetisches Programm. Maiwald hat sich der kontrollierten Regression verschrieben und macht sich das Erkenntnispotential des zwanglos naiven Blicks zunutze; es ist eine Optik, die ebenso intuitiv wie durchdringend ist und die Welt unbeeinflusst von Vorurteilen einordnet.
Der Dichter schliesst aber auch mit seinem poetischen Instrumentarium an frühe Lebenserfahrungen an: in seinen Gedichten tauchen Figuren und Motive aus Märchen und Sagen auf, Kinderphantasien kommen ihm geläufig von der Zunge, und nicht selten unterlegt er seinen Strophen ein klanglich-rhythmisches Gerüst, das wir von Abzählversen und Kinderreimen kennen. Natürlich ist dieses Vorgehen nicht etwa Resultat wiedergewonnener kindlicher Spielfreude, sondern Ausdruck raffinierten dichterischen Kalküls. Rückversetzung in eine vergangene Lebensphase bedeutet bei ihm nicht einfach ungebrochenes Einssein mit dem Kosmos oder eine blinde Rückkehr in die ungestörte Kinderwelt mit ihrem symbiotischen Geborgenheitsversprechen. Das Kindliche ist immer Mittel der Entlarvung. Einlullen heisst bei Peter Maiwald gleichzeitig herausreissen; zeigt er eine Idylle, hat er ihre Zerstörung im Sinn; führt er unendliche Freiheiten vor, zielt er im Grunde auf die wortlos einbeschriebenen Verbote. Seine Strategie zielt darauf ab, den Leser aus der erstarrten Erwachsenenperspektive herauszuholen und diese durch eine weiche, flexible, neue Sehweise zu ersetzen.
Das Titelgedicht „Springinsfeld“ ist eines der knappsten und überzeugendsten Beispiele dieser poetischen Anordnung. Peter Maiwald projiziert das helle Leuchtbild (die Wünsche, Träume, Hoffnungen des lyrischen Ichs) gleich neben das dunkle Komplementärbild (das Hässliche, Böse, Hoffnungslose, die Verbote, mit denen das lyrische Ich sich konfrontiert sieht) und illustriert mit den sich Schlag auf Schlag folgenden Zweizeilern anschaulich die Doppelung von unbarmherziger Realität und erträumter Utopie, aber auch von stumpfem, unempfindlich gewordenem und immer noch lebendigem Zugriff auf die Welt.

(…)
Als ich mich am Strohhalm hielt
hiess ich Schuft, der nicht mitspielt.

Als ich griff zum Sternenrand
schlugen sie mir ab die Hand.

Als ich nach der Liebe schrie
riefen sie: Die gibt es nie!

Als ich mich am Ende sah
lobten sie: Er ist uns nah.

Als ich ihre Gräber floh
sagten sie: Der Mensch ist roh.

Als ich starb ins Springinsfeld
sprachen sie: So ist die Welt.

Naturgemäss kreisen viele Gedichte Maiwalds um die Befindlichkeit des Ichs und erkunden die Bedingungen des eigenen Lebens; dies aber nicht etwa, um in narzisstischer Nabelschau zu verharren. Dem Autor geht es vielmehr darum, aus der Analyse des privaten Schicksals Erkenntnisse über die Bedingungen menschlicher Existenz zu gewinnen. Zu welchen Ergebnissen kommt der Lyriker? Es sind zynische Einsichten, die er sich im Laufe seiner Erkundungen abringt; mit grellen Dissonanzen und maliziösen Lauten künden seine Verse davon. Der hier spricht, wundert sich schon lange über nichts mehr; weder Bösartigkeit noch Unrecht können ihn überraschen; er hat abgerechnet mit falschen Träumen und sich illusionistischer Idealbilder entledigt. In „Triptychon“ heisst es:

Aus einer Mutter in die Welt gebettet
versorgt mit Mangel heimgezahlt mit Liebe
belehrt: Das Leben eine Folge Hiebe
und dass wer stark ist sich alleine rettet.

Peter Maiwald macht uns mit den Machtmechanismen, die das Leben regieren, bekannt: Es gibt nur Opfer und Täter, nur Sieger und Besiegte, und wer sich nicht wehrt, ist selber schuld.

Aus einem Vater in die Welt gesprungen
gehegt mit Dornen in ein Herz geschlossen
belehrt: Wer lebt der hat zuerst geschossen
und dass die Armen wie die Reichen sungen.

Ein Sammelsurium zusammenhangloser Einzelteile, diesen Eindruck macht das Triptychon- Gedicht auf den ersten Blick. Schaut man genauer hin, sieht man, dass das Verfahren Methode hat und ein geschicktes lyrisches Arrangement verrät. Und: es dokumentiert exemplarisch die handwerklichen Gesetze, nach denen Peter Maiwald in Springinsfeld immer wieder verfährt. Sein Prinzip ist die Unterhöhlung altbekannter Sprachmuster und die Zertrümmerung gängiger Redewendungen, aber auch durch die Erzeugung von produktiven Spannungsfeldern durch die Verbindung unvereinbarer Gegensätze. Er redet von den Anfängen, von der Geburt und evoziert so die allerursprünglichste Idylle: nur, um das schöne Bild dann Zug um Zug zu zerstören und in eine Schreckensvision von Krieg und Unterdrückung umzubiegen. Das ursprünglich Gute wird dem tatsächlich realen Schlechten entgegengesetzt. Vater und Mutter, die üblicherweise Inbegriff kindlicher Geborgenheit sind – Maiwald evoziert diese Aura mit einer Reihe von emotionalen Signalen –, stehen jetzt plötzlich da als Geburtshelfer des Schreckens und des Terrors.
Noch eine weitere Ebene unterlegt Maiwald seinem „Triptychon“: indem er den gravitätischen Sprachduktus der Bibel imitiert und seine Verse mit biblischen Urbildern und Assoziationen durchsetzt (die er wiederum ganz locker mit positiv besetzten Redewendungen aus dem Gestirnsbereich verbindet) – „mit Dornen in ein Herz geschlossen“; „Aus einem Leben in die Welt gestossen / gehasst von Gott und seinesgleichen Leuten“ bindet er sich in eine religiöse Tradition ein und gibt dem Gedicht eine allgemeingültige Dimension: es zielt, ebenso provozierend wie lakonisch, auf die Frage nach dem Sinn und der Wahrheit. Sein „Triptychon“ wird so tatsächlich zum aufrüttelnden Tableau der menschlichen Leidensgeschichte.
Überhaupt versteht es Peter Maiwald in seinem neuen Gedichtband Springinsfeld, sich mit winzigen Chiffren und klug gesetzten Metaphern in die Literaturgeschichte einzuschreiben oder traditionelle lyrische Muster neu zu variieren. Bald stolpert man über eine versteckte Zeile Gottfried Kellers oder Rainer Maria Rilkes, bald trifft man alte Bekannte wieder wie Mutter Courage, Gregor Samsa, Baal, Laura, Melusine, bald geistern Figuren aus Mythen und Sagen durch seine Verse und Strophen. Maiwald setzt alten Denkbildem ironische Tupfer auf und persifliert eingerasterte lyrische Vorlagen oder erzählt in seinen Gedichten Mythen neu; häufig geht es ihm darum, die Verwaschenheit geläufiger Motive aufzudecken oder den oberflächlichen Umgang mit gebräuchlichen Kulturstandbildern zu entlarven.
Hie und da geht Maiwald die Pointe aber auch daneben. Das Verkleben moderner Erfahrungen und Verhaltensweisen mit alten Mustern verschafft nicht immer neue Einsichten. In den Gedichten „Gregor Samsa sucht Gott“, „Ensemble aus Sezuan“, „Circe“ etwa wird das Entleeren alter Formeln und das Wiederauffüllen mit neuen Inhalten zum leichtgewichtigen Spiel mit Klängen, Reimen und Requisiten aus der Rumpelkammer der Literaturgeschichte. Diese Beispiele gehören zu jenen Gedichten, die es in „Springinsfeld“ natürlich auch gibt: virtuose Fingerübungen eines erfahrenen Technikers, der sein Handwerk versteht. Gegenbeispiele dazu finden sich unter den vielen schönen Liebesgedichten: da gewinnt der Lyriker seine vollendete Form, die Phantasie lodert, und die Ideen gehen ihm nicht aus. Aurora, die Göttin der Morgenröte, winkt aus der Ferne; Melusine, die verführerische Meernixe, steigt leibhaftig aus der französischen Sage heraus, wird nochmals zur Menschenfrau, umgarnt in modern-aufgeklärter Manier den Mann – und entschwindet für immer; Penthesilea tritt auf, leicht feministisch grundiert: dem Dichter als Liebesgöttin erscheinend und als verderbtes Kontrastbild zur unschuldigen Gegenfigur, Nadine, die er beide, Hure und Heilige, in schönster Eintracht und altbewährter patriarchalischer Manier in seine Liebe einschliesst. In den Liebesgedichten Peter Maiwalds werden eingefahrene lyrische Stereotypen konsequent aufgebrochen; überlieferte Geschichten und private, modernste Erfahrungen durchdringen sich dynamisch und finden zu überraschender Synthese: ein Ergebnis, das für die Innovationskraft und die schöpferische Phantasie dieses Lyrikers steht.

Pia Reinacher, Neue Zürcher Zeitung, 3.9.1992

 

 

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