Stefaan Van den Bremt: Stem uit het Laagland / Stimme aus dem tiefen Land

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Stefaan Van den Bremt: Stem uit het Laagland / Stimme aus dem tiefen Land

Van den Bremt-Stem uit het Laagland / Stimme aus dem tiefen Land

GEBURT DER MUSIK

Chronos stand still, alles Gelärm
verstummte. Die Erde war erschaffen
und vergewaltigt. Ein Titan hatte das
getan. Die Erde war erst wüst,
jetzt leer. Es war unirdisch still.

Es war Winter. Alle Sommereichen
waren kahl.  Die Erde war gepflügt
und zugeschneit. Saatkörner
schliefen, ausgezählt. Kein Hauch von
Wind. Es war ein strenger Winter.

Das Eis ward alt. Das Poleis
war erfroren. Meere wollten
in den Süden auswandern
(da war kein Süden, Boreas
hatte ihn kaltgemacht).

Da krachte die Welt
in den Fugen. Knirschte dort
Schnee unter dem Stiel des Ur-
schneeglöckchens, das den Tau
einläutete? Röchelte ein Krokus?

Da quakte Vater Krähe wie eine Ente.
Dann krächzte die Entenmutter wie eine Krähe,
zur Sprachverwirrung, zum Stockentenstaunen.
Gleich und verschieden, in jedes Bibel und Babel
wetzten sie ihren gewitzten Schnabel.

 

 

 

Hochamt im Flachland

− Der Dichter Stefaan van den Bremt. −

European Round Table on Poetry hieß die Zusammenkunft in der lettischen Hauptstadt Riga, in der sich, nach Maastricht und Helsinki, Autoren europäischer Schriftstellerverbände trafen, um sich über Wohl und Wehe der in manchen Ländern notleidenden literarischen Königsdisziplin auszutauschen und Gedichten zu lauschen. Es war der 11. September 2001, drei Uhr nachmittags. Ich sehe mich, wie ich vorm Veranstaltungsgebäude zu einer Telefonzelle ging, um in Berlin meine Liebste anzurufen. Sie nahm ab und schilderte mir atemlos, wie eben in ihrem Fernseher ein entführtes Flugzeug in einen der Türme des New Yorker World Trade Centers geflogen war. Schreckensbilder, wieder und wieder zurückgespult. Sirenen heulten, Stimmen kreischten, Staubwolken verhüllten die höllische Szene. Erregt eilte ich zurück in den Saal, wo die Lesung stattfand und trotz des ungeheuerlichen Ereignisses abgespult wurde, als ob nichts geschehen wäre. Dem entsprach auch das nationale Fernsehen im Hotelzimmer, das, doppelt verstörend, an jenem Abend kein einziges Bild dieses Terrorangriffs sendete.
In Riga und dem Küstenort Sigulda kam ich ins Gespräch mit einem Dichter aus Belgien, der sehr gut Deutsch sprach. Wir spazierten im Herbstwald, tauschten Wissen und Bücher und versprachen einander, in Verbindung zu bleiben. Stefaan van den Bremt hat Wort gehalten. Aus freien Stücken ging er daran, meine Gedichte zu übersetzen. Fand in Leuven einen flämischen Verlag, und das erlesene zweisprachige Buch Wat ik mis om gelukkig te zijn erschien. Auf der Buchmesse Antwerpen haben wir es in gemeinsamer Lesung vorgestellt. Fehlte mir was?
Das Gegenbuch. Maria Csollány, bei Heidelberg lebende, mit Stefaan befreundete Übersetzerin, hatte vorgearbeitet und legte nach. Ich besuchte Stefaan in Brüssel, und wir steckten unsere Blauaugen und Apothekerzungen zusammen, prüften Zeile um Zeile. Fanden das eine oder andere Haar in der Buchstabensuppe, ohne an der Krone der Königin zu kratzen, feilten und wienerten den Feinschliff.

Flandern, in dem Stefaan van den Bremt am 12. Oktober 1941 geboren wurde, ist seit dem Ersten Weltkrieg eine granatengepflügte Landschaft mit Legionen von Soldatenfriedhöfen. Besonders in seinem an Frankreich grenzenden westlichen Teil rücken noch heute Munitionsbergungskommandos auf der Suche nach Blindgängern aus und werden fündig. Der Vater, der später als Firmenvertreter arbeitete, war jüngster Sohn einer kinderreichen Familie und brauchte nicht Soldat zu werden. Deshalb wurde er auch 1940 nicht mobilisiert. Während ein Onkel als flämischer Nationalist Sympathie für die „Neue Ordnung“ zeigte, gehörte ein anderer im Zweiten Weltkrieg zum von England aus geleiteten Widerstand. Neffen kamen in das Konzentrationslager Buchenwald.
Dem Kriegsende folgte die Schulzeit im Geburtsort Aalst. Die ersten Lehrerinnen waren trachttragende katholische Nonnen. Stefaan, der urkundlich Etienne hieß, ging nicht gern zu ihnen. Die konfessionelle Schule war für ihn ein Ort von Einsamkeit und Strafen, die er nicht verstand und die ihn in Panik versetzten. Erst auf dem Gymnasium geriet er an einen dichtenden Lehrer, einen Jesuiten, der ihm geistiger Vater wurde, die Pforten der Kunst öffnete und ihn über ihre Schwelle geleitete. Verständlich, daß der Geweckte studieren wollte, logisch, daß die Wahlkugel ins Labyrinth der Sprachen rollte: Französisch in Namur und Leuven, nebenher noch Spanisch und Italienisch, irgendwann auch Deutsch. Die Ballade des äußeren Lebens ist rasch erzählt: zehn Jahre Französischlehrer an der Kunstschule St. Lucas in Brüssel. Verhaftung und sechsmonatige Brüsseler Haft wegen Verwicklung in einen propalästinensischen Anschlag auf ein niederländisches Energieunternehmen. Verlust der Anstellung und zunehmendes Übersetzen, z.B. von Brechts Svendborger Gedichten. Theaterarbeit und Schreiben fürs Theater. Heirat und Tochter mit der Malerin Solange Abbiati. In den achtziger und neunziger Jahren Fortsetzung der Lehre an der Musik- und der Kunsthochschule in Antwerpen: diesmal auf dem Feld der Literatur.

In seinen Texten ging der Dichter van den Bremt den Weg vom Komplizierten zum Einfachen und vom Sozialkämpferischen zum meditativ Schönen. Wurde der Zweiundzwanzigjährige für die postexperimentellen Gedichte seines Erstlingsbandes Sextant mit dem Preis für das beste Debüt ausgezeichnet, so lernte er von Sartre und Camus, Apollinaire, Max Jacob und Pierre Reverdy.
Die Erfahrungen seiner Solidarisierung brachten ihn der lapidaren Dialektik Brechts nahe, dessen gestische Direktheit er auf seinen Staat und seine Gesellschaft anzuwenden begann. Mit zunehmender Reife vermochte er es auch, Reiz und Reibung aus Eigenheiten von Geschichte und Geistesgeschichte seiner Heimat und seines immer wieder aufgesuchten Zweitlandes Frankreich zu gewinnen, in dessen Südwesten er sich ansiedelte. Immer spürbar ist sein geschärftes Empfinden für Recht und Gerechtigkeit und moralische Integrität. So wurde aus dem rebellischen Empörer ein abgeklärter Autor mit festen Maßstäben. Dieses gewachsene Gewicht brachte ihn in verantwortliche Positionen im Flämischen P.E.N-Zentrum und in der Belgischen Königlichen Akademie für Niederländische Sprache und Literatur.
Bei allem Respekt vor Ämtern und Ehren: meine größte Freude am Dichter van den Bremt hatte ich, als ein holländischer Freund, der Amsterdamer Maler Hans Landsaat, mit mir im Auto von Zeeland aus an in das frankreichnahe Städtchen Watou fuhr, das alljährlich für Wochen im Zeichen der Poesie lebt, die sich in leerstehende Häuser, Scheunen und Ställe einnistet, Gedichte zeigt und hören läßt. Da sprach, wie Gott aus dem brennenden Dornbusch, mein flämischer Freund aus einer flüsternden Pappel. Ich stand und lauschte hingegeben der Tonschleife seiner kronenbewohnenden, murmelnden Stimme.

Richard Pietraß, Vorwort

 

Theo Breuer stellt hier die mehrsprachigen Gedichtbücher vom Verlag im Wald vor.

 

HAUPTFEUERWACHE
für Stefaan van der Bremt

Das sich an sich selbst ent
Zündet, das Wort aus Sand

Und Stein, ein feste Burg –
Du weißt es, steckt in Brand

Schach! den Lauten und Metaphern
Den opaken, leicht zur Hand

Matt liegt der Zorn, der
Beinerne läuft über Land

Klaus Hensel

 

Fakten und Vermutungen zum Autor
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Stefaan Van den Bremt liest bei Artselingen 2012.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00