Werkstatt Rixdorfer Drucke (Hrsg.): Rixdorfer Bilderbögen 1965 Berlin – Gümse 1993

 

 

 

Betr.: Rixdorfer1 Bilderbögen 

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch der Werkstatt Rixdorfer Drucke (Hrsg.): Rixdorfer Bilderbögen 1965 Berlin - Gümse 1993

Werkstatt Rixdorfer Drucke (Hrsg.)-Rixdorfer Bilderbögen 1965 Berlin – Gümse 1993

Ordnung muß sein, sprach der Anarchist, und warf die Bombe ins Rathaus.
Günter Bruno Fuchs 

In sogenannten Kreisen (unseren Kreisen, Künstler-, Sammler-, Kennerkreisen, und natürlich im Landkreis Lüchow-Dannenberg sowie im Wendekreis des Holzbocks) sind die Rixdorfer ein sogenannter Begriff. Für viele, die sie nur vom Hörensagen kennen, steht der Name für eine Legende und diese für eine Bildende Künstlertruppe, welche wie eine Volksmusikgruppe klingt, deren Trachten & Treiben von real existierenden Volkstümlern und Blödelbarden vernamt wird: Biermöslbloasn, Schürzenjäger, Hallodris etc. Obwohl ich mich im folgenden aller diesbezüglichen Anekdoten und goldenen Scherzworte (Copyright by the Rixdorfer) enthalte, bin ich veranlaßt, lang & breit auf den historischen, kulturellen und psychologischen Hintergrund der Rixdorfer Mythen und Moritaten einzugehen. Enttäuschen muß ich diejenigen, welche einen Werkstattbericht erwarten: Erstens fehlt es mir an technischem Hausverstand und zweitens erachte ich die Schöpfungsgeschichten der Rixdorfer Bilderbögen als Betriebsgeheimnisse. Alsdann!
Von Joachim Ringelnatz berichten Zeitgenossen, daß er im nichtknöpfbaren Knopfloch seines Revers kein Kavaliersgemüse (Rosen, Nelken, Chrysanthemen) trug, sondern ordinäre Flora (Löwenzahn, Radieschen, Vogelbeere) und sonstiges Organisches: mal einen Hobelspan, mal eine (wahrscheinlich weibliche) Haarlaocke, mal einen Wurstzipfel. Nichts von Ringelnatz’ dekorativen Grillen wissend, tat ich’s ihm zeitweilig gleich, ohne aufzutreten, denn ich begriff mich selbst als Publikum, was die Leute freilich ganz anders sahen. Ärgstenfalls Bubi Scholz mit roter Allonge-Perücke hätte seinerzeit (Berlin in den 50ern) mehr Aufsehen erregt als meine winzigen, gar nicht so absonderlichen Schmückungen (z.B. ein gerolltes Kondom oder ein Russisch-Brot-Buchstabe), und natürlich gibt es 10 Punkte für die richtige Antwort auf die Frage nach dem häufigsten aller Kommentare:

Det is aba orjinell! Künstla, wa?

Meines Erachtens sind die Berliner nicht viel doofer als andere deutsche Großstädter, indes fallen sie besonders auf, weil noch der dünnste Senf, den sie absondern, unter Mutterwitz, Herz mit Schnauze etc. rechnet und als Orjinallitet rejelrecht vakooft wird. Logo, daß die seit Anno Tobak als goldrichtig, urkomisch und respektlos (angeblich fürchten sich die Berliner vor nix, schon gar nicht vor Autoritäten) geschmeichelten Hauptstadtkinder selbst daran glauben. Womit wir beim Thema wären: Die Original Rixdorfer: Uwe Bremer, Albert Schindehütte, Arno Waldschmidt, Johannes Vennekamp – Maler, Graphiker, Typographen und Designer alle vier und jeder noch ein besonderes ausübendes Talent mehr. Sie sind keine Berliner, wie denn die meisten der intelligenteren, geistvollen, schöpferischen und dynamischen Berliner selten Alteingeborene sind, was ebenso von den Münchnern, Hamburgern und Frankfurtern zu sagen wäre, denn der Grund ist sozialer Natur: Menschen, die sich lebenslang nicht viel weiterbewegt haben als urlaubsweise unter ihresgleichen, verarmen im Kopf, egal, ob sie auf einer Kuhbläke oder in Metropolen leben. Daß manch große Künstler und Denker zeitlebens kaum ihre Ateliers und Studierstuben verließen, setzt keinen Maßstab: Ihre Innenwelt war global genug. Doch wo immer man waschechte Berliner trifft, die ihren Erfolg, ihr Ansehen nicht ihrem Herkommen verdanken, sind es Leute, deren Leute sie klüglich in die Welt schickten, oder Männer & Frauen, denen der Kiez zu eng geworden war. Denn Berlin ist ein Rix-Dorf jawoll, und in Rixdorf is Musike! Womit gesagt sein soll, daß die Berliner vielleicht etwas dafür können, der Menschheit eine Luft und ein Pflaster spendiert zu haben, welche weniger originell zu nennen, denn als außerordentlich originär zu rühmen sind.
Als die Vier (ab 1962) nacheinander und unabhängig voneinander in Berlin eintrudelten, stand die Stadt wieder einmal mehr im Blickpunkt des Weltinteresses. Als ich (im Winter 1959) Berlin verließ, funzelten im Kreuzberger Leierkasten2 bereits die ersten Nord- und Südlichter, und nachdem ich via Taunus und Isaraue schließlich den Gau Oberdonau erreichte (1964), hatten sich die Wiener schon an der Spree eingegraben. Ich gestatte mir das Militärsprachliche, denn tatsächlich ging es damals nicht um einen friedlichen großdeutschen Dialog, um die Verbesserung Mitteleuropas (Ossi Wiener), sondern um die Eroberung wissenschaftlichen, künstlerischen, intellektuellen und gastronomischen Terrains, wobei, wie auf allen Kriegsschauplätzen, die eingeborenen Zivilisten die größten Opfer brachten, vor allem die Berlinerinnen. Und es läßt sich nicht leugnen, daß den Berliner Künstlern aller Sparten eine hochbegabte, fleißige und clevere Konkurrenz entstand, welche weniger die satt subventionierten Krippenplätze bedrohte als die dickarschigen Mythen von alter Herrlichkeit und neuem Heldentum, denen der offizielle Westberliner Kulturbetrieb zwischen Blockade und Mauerbau nicht viel mehr hinzugefügt hatte als Friedrich Lufts atemlose Stimme der Kritik, Robert T. Odemanns Brettllyrik, das Bärchen der Renée Sintenis, die Röhre Inge Brandenburgs und die Filme des Atze Brauner. Und drüben Brechts Ensemble, die DEFA, der Club Möwe…
Ein notwendiges Nachbemerken zur Mauer. Von der ersten Schreckstunde an über die folgenden Wochen hin hing ich (in Stierstadt v.d. Taunus) am Radio, indes erinnere ich keinen einzigen Anruf aus Berlin, geschweige, daß die Freunde des Vauo Stomps bzw. der Eremitenpresse3 uns auf dem laufenden gehalten hätten. Immerhin waren sie mehrheitlich Sektorengrenzgänger gewesen, nicht nur als Nutznießer des Währungsgefälles; die Kollegenkreise waren großberlinisch, zumindest auf inoffizieller Ebene. Weshalb also kein fernmündliches Geschrei aus Kreuzberg, keine Wehklage aus Neukölln? Sofern die Herren weit links standen, hielten sie sich bedeckt, rechts stand (unter den uns verbundenen Autoren und Künstlern in B.) niemand, hingegen darf die Mehrheit dieser Kulturschaffenden als politikfeindlich bezeichnet werden. Und: Das „KZ-Bauwerk“ erwies sich für den Westberliner Kulturbetrieb und seine peripheren Vorteilsnehmer in Bälde als Segen. Es regnete Staatspinke, die Wessis kamen, kauften und kontakteten, nie zuvor waren Berliner Künstler aller Abteilungen ein derart begehrter, gutbezahlter Exportartikel (zeitweilig reisten sogar Leierkastenmänner als Gäste des Goethe-Instituts nach Übersee), und so blieb nicht aus, daß die frontstädtischen Fleisch- & Honigtöpfe alle Welt anzogen…
Es ist ein zynisches, gleichwohl zutreffendes Faktum, daß die Reichshauptstadt auch im Dritten Reich eine europäische Kulturkapitale war, denn unter Giganten stellt sich nicht die Frage nach der idealen Gestalt, sondern nach der Imposanz. Imposant war Westberlin vor dem August ’61 vor allem für die Ossis gewesen, für deutschsprachige Theatertouristen und für Nachtschwärmer, denn es gab keine Polizeistunde, eine Prostitution zu Dumpingpreisen und seit alters die freizügigste Schwulenszene in Zentraleuropa. Alles andere (die Bildenden Künste, das Literaturleben, Presse, Kleinkunst, Show-Business, Museen und freie Musikszene) lag ziemlich im argen, richtiger im Bewährten, Bescheidenen und Buttergeschäftlichen. Das heißt, was nicht im Amerikahaus oder im Maison de France als modern oder progressiv vorgezeigt wurde, verfiel der allgemeinen Geringschätzung und dem Desinteresse, und natürlich hatte der Kalte Krieg auch Auffassungen wie Tendenzkunst und Kulturbolschewismus sinngemäß reaktiviert (z.B. gab es Ende der 50er nur eine einzige richtige Jazzkneipe). Doch es war nicht eingefräste Fortschrittsfeindlichkeit, sondern ein regierungsoffizieller Konformismus, genauer, die Heile-Freie-Welt-Doktrin, für deren Gralshüter zu Schöneberg ein randalöses Rockkonzert zwar ärgerlich war, doch nicht so bedrohlich wie ein Solo Klaus Kinskis, der damals noch eine Berliner Handschuhverkäuferin ernährte. Man hofierte einen als Autor und Maler dilettierenden Hochstapler namens Käpt’n Bilbo alias Mr. Baruch und schmähte einen der interessantesten deutschen Naiven, Friedrich Schröder-Sonnenstern, als dirty old man. Versteht sich, daß die Eröffnung der ZINKE4 (1959), Galerie im Hinterhof, so ziemlich das Letzte war, was das von anhaltender Exilation der besseren Gesellschaft düpierte Berlin (zufolge des sogenannten Chruschtschow-Ultimatums) gebrauchen konnte: Kultur im Milljöh, Kunst aussem Milljöh.
G.B. Fuchs, Robert Wolfgang Schnell & Co.5 hatten zwar die „Weit weg vom Kudamm!“-Parole ausgegeben, doch keinen Klassenkampfauftrag, und sie hatten schon gar nicht das Ideal oder die Illusion, mit ihrer ZINKE das abgetakelte Kreuzberg zu retten. Die Intentionen der Gründer waren überaus realistische und offenkundig naheliegende: Es fehlte das Geld, um sich auch nur einen Stich feiner oder zweckdienlicher niederzulassen, es fehlten die Antennen für die im Galeriewesen unabweisliche Schickeria, es fehlten die allermeisten Voraussetzungen für einen organisierten, kommerziellen Betrieb. Es fehlte nicht an Durst und der Entschlossenheit, sich in Kreuzberg als milieugemäßes Gegenmodell zu etablieren. Während Schnell, aus großbürgerlichem niederrheinischen Hause, auf allen Hochzeiten tanzen konnte, war Fuchs eine echte Berliner Ritzenpflanze mit einem Kindheitstrauma, für den seine selbstgeschriebene Rolle als downesker Bohèmien eine Maßrüstung war und das wiederentdeckte Milieu ein Cordon sanitaire. Gleichwohl verstand sich Fuchs auf Menschen, wobei ihm seine pilskugelhafte Erscheinung, seine komödiantischen Begabungen und die Gerissenheit des gebrannten Kellerkindes zustatten kamen. Gleich vielen „beliebten Künstlern“ faszinierte er weniger mit seinen Werken als mit einem spezifischen Charme, der freilich nicht jedermann, sondern insbesondere bildungsbürgerliche Zaungäste der Bohème gefangennahm. Und junge, neugierige, trinkfrohe Künstler von außerhalb…
Letzteren bot er (bei Gefallen) auch ein sehr konkretes Haben: Arbeit und Agora, das heißt einen prospektiven Werkstattplatz, einen Ausstellungsplatz und den Marktplatz, wo immer man auftrat. Mit Erfolgsgarantien, denn der Berliner ist eher ein Spießer, denn ein Libertin; was ihn so erscheinen läßt, ist lediglich seine Sinnenfreude, sein Laisser faire und der Restverstand, der ihm sagt, daß man nur über Leute lästern kann, deren Anwesenheit man duldet. Demgemäß war der Marktplatz Berlin in den langen Jahren der Abwanderung und Stagnation eine kleinkarierte Brache, auf der überwiegend nur die Juhnkes gediehen, der antikommunistische Witz und der Don Juanismus jüdischer Nachtclubwirte und ihrer italienischen Kellner. Es ist das unschätzbare Verdienst des Günter Bruno Fuchs und der 4 Rixdorfer, wesentliche unverschämte Anstöße gegeben zu haben, die alte Drehorgel umzufunktionieren in ein mobiles Katzenklavier, das, wie die Allzweckvehikel des James Bond, auch Feuerwerk verschoß, große Sprünge machte und abtauchen konnte in den Tunnel über der Spree…
Daß Fuchs einen feinen Riecher für entwicklungsfähige Talente hatte, besagt nicht, daß er allenthalben Talente suchte und förderte, im Gegenteil. Sobald sein persönlicher Bedarf an begabten, hilfswilligen und anpassungsbereiten Mitzechern gedeckt war, sobald sein Hinterhofstaat halbwegs funktionierte, interessierte er sich für Nachwuchskräfte nur noch als Bierbringer. Eine Haltung sehr komplexer Natur, deren allfälligste Ausprägungen astreine Eifersucht und schlichter Kleinmut waren, die Furcht, ihm könnte etwas über den Kopf wachsen. Nicht zuletzt dieser fragmentarische Charakter mußte früher oder später die soziale Abnabelung der 4 Rixdorfer von Fuchs herbeiführen, denn es ging nicht nur um die einzelnen künstlerischen Karrieren, es ging um das davon relativ unabhängige Gemeinschaftswerk, dessen gesicherte Weiterentwicklung der pflichtverdrossene, von einem dubiosen Ruhm partiell gelähmte GBF feuchtfröhlich hemmte.
„Schande über den Schüler, der seinen Lehrer nicht übertrifft!“ soll Leonardo gesagt haben. Nun, ein klassisches oder stinknormales Lehrer-Schüler-Verhältnis bestand nicht, denn weder war Fuchs ein Meister seines Faches, noch waren die Vier ungeübte, ahnungslose Novizen, sondern gestandene Gesellen mit wohlkonturierten Vorstellungswelten und großem Erfahrungshunger. Was den wahren Meister GBF ausmachte, war sein ungeheurer Zauber, die Verführungskunst, Imaginationskraft und Erfindungslust einer auch in winzigen Gesten beredten Persönlichkeit, die von ihren Adlaten zwar allen Respekt einforderte, sie aber gleichzeitig zur Respektlosigkeit gegen alles und jedermann anstiftete, ausgenommen GBFs Säulenheilige und Altjünger, denn er postulierte nicht das nil admirari des Pythagoras (was laut Großer Meyer von 1885 ein Urberliner Grundsatz ist), sondern die Einhaltung des Ersten Gebots, oh, dicker Vater im Himmel über Berlin! Und weil die Rixdorfer kein Abitur hatten, fehlte ihnen der ideologische Überbau; folglich fanden sie zu Rudi Dutschke erst (im August 1967), als sie ihn für ihre Schlappekicker-Elf BALLTRETER RIXDORF & CO. als Rechtsaußen engagierten. Doch da hatten sie den Monte Klamott bereits erklommen, am Springseil GBFs, der kein Gipfelstürmer war, aber der Levitation fähig. Ein prägender Aufstieg, wie wir sehen können…
Im Jahre 1974 wurde die Werkstatt ins Wendland verlegt, an den Wohnsitz Uwe Bremers. Gewiß bestimmten und begünstigten gewisse Zeitläufte den Standortwechsel, doch daß es vor allem galt, der werdenden Republik Freies Wendland ein gemäßes, d.h. natur- und menschenfreundliches Medium (wo alternative Landfrauen ihre selbstgewebten Überschürzen mit eigenen Meinungen bedrucken, o.ä.) zu „schenken“, scheint mir Legende. Die nicht weniger guten Gründe lagen auf der Hand: zinsgünstiges und ungestörtes Arbeiten in gesunder und geistesgeschwisterlicher Umgebung. Indes wurden die Schiffe (Havelzillen, Spreekähne) nicht verbrannt: wohl kauften auch Vennekamp und Waldschmidt sich in der Gegend ein, doch behielten sie ihre Hauptwohnsitze in Berlin, unterhält der Neu-Hamburger Schindehütte eine Koffersammlung in B. und Bremer seinen Junior. Seither liegt Rixdorf auf der weiten niedersächsischen Weide und demgemäß hat sich auch die Verfügungsmasse (Frischmilch, Pappel etc. sowie das Satzmaterial, d.h. diverse Holz- und Bleibuchstaben, jede Menge Klischees usw.) und das Format „erweitert“: Während die ersten 13 Bilderbögen der Berliner Zeit ein Format von 30×43 cm aufweisen, vergrößerten es die Rixdorfer in G. auf 50×70 cm. Darüber (die Gümser Handpresse erlaubt maximal 70×100 cm) hinaus wachsen (bis auf weiteres) die Künstler – Am Satz: Arno Waldschmidt / An der Walze: Ali Schindehütte / Am Bogen: Johannes Vennekamp / Am Hebel: Uwe Bremer / Am Nebelhorn des Flaschenschiffs: Bruno, der Bordkater…
Was mit Fuchs produziert wurde, weist die Bibliographie aus; die Entstehungsgeschichte der WERKSTATT RIXDORFER DRUCKE etc. liest man detailliert bei Heinz Ohff6 nach. Nur so viel: Eine Erfindung wie das Mühlrad oder der Reißverschluß war es nicht, richtiger spricht man von einer Verkaufsidee. Wie der roro-Roman, denn bei Rowohlt wurde ja weder das Lumbecken noch das Pocketbook erfunden, aber der wohlfeile Grundstock neuer deutscher Hausbüchereien gelegt. Von den Holzstöcken der Rixdorfer zu den Grundstöcken graphischer Sammlungen deutschsprechender Handpressenfreunde geht eine nicht unähnliche Kulturleistung aus, doch darf man annehmen, daß die Rixdorfer ihre Bögen lieber aufgehängt als eingesargt sehen. Daß die Holzschnitte figurativ sind, die Texte halbwegs verständlich, und beides immer irgendwie deftig bis frivol ausfiel, besagt mitnichten, daß wir es zu tun haben mit Kunst fürs Volk: Das Volk sind die Rixdorfer selbst, und ebenso, wie die Rowohlts überwiegend keinen Scheiß verlegten, achtet man im Viererrat auf die Qualität der Worte. Zurück zu GBF: Was sie bei ihm gelernt haben fürs Leben als Viererbande ist dreierlei: 1. Handwerk hat festen Boden. 2. Wer sich selbst gut verkauft, verkauft auch gut. 3. Fürchtet das fünfte Rad am Wagen! Was sie mitnahmen, waren vor allem erstklassige Zeugnisse, von denen Schüler und Arbeitnehmer weltweit nur träumen können: Selbst ausgefertigt und dennoch amtlich anerkannt. Doch während noch die eitelsten Eltern sich scheuen, die beglaubigte Jahresbestleistung ihres Nachwuchses in Glas & Rahmen zu präsentieren, fabrizieren die kindischen Rixdorfer fast alle Jahre wieder ihr begehrtestes und bewährtestes Papier maßgeblich für die Wand: den Rixdorfer Bilderbogen. Dieses unvergleichliche Ritzschnitzsetzdruckwerk in einfacher oder trikolorer Ausführung hat – wie alle Kunstwerke – Vorbilder, von denen die Künstler nichts wissen müssen (etwa von den antiken Text- und Bildgravüren in den ausgebuddelten Puffs von Pompeji, beziehungsweise deren klammheimliche Abpausungen). Andererseits haben die Rixdorfer Bilderbögen (RB) nur namentlich etwas gemein mit den Bilderbögen alter Zeiten, da es noch keine Comics gab und die Zeitung ein bilderarmes Informationsprivileg bürgerlicher Patriarchen war, das heißt nix für Frauen, Kinder und einfache Leut. Gleichwohl stellt der Titel eine Anmutung dar zur Begrifflichkeit Neuruppins (in der Mark Brandenburg, nach 1800 bis in die 40er Jahre dieses Jahrhunderts Deutschlands Verlags- und Druckzentrum für Bilderbögen verschiedenster Herausgeber. Es handelte sich jedoch nicht um Kunstblätter, sondern um gut gemachte aktuelle Infostrips zur Belehrung, Erbauung, Begeisterung und Begruselung) und demgemäß ein Salut an Berlin, einst Europas Pressemetropole mit seiner über dreihundertjährigen Tradition im Blattmachen.
Korrekt definiert man den RB als „graphisch-literarischen Schmuckbogen, in feinster Ausführung und begrenzter Auflage, gemeinsam hergestellt von den Herren Bremer, Schindehütte, Vennekamp und Waldschmidt zu Gümse am See“. Graphisch steht für Holzschnitt und Typographie, literarisch für die wörtliche Beteiligung mehrheitlich deutscher Dichter, die dem Rixdorfer Ruf je nach dem folgten: Sie stellten einen oder mehrere kleine Texte zur Verfügung oder sie stellten sich leibhaftig zur Verfügung. Der Poet unter der Schnitzbank, neben der Presse, the work in progress. Das Erfolgsgeheimnis: Der Wortschöpfer muß kein ruhmbedeckter sein, seine Worte müssen keine goldenen sein – beide müssen vor allem passen. Ins Bild, ins Schiff, in das geistige Geviert dieser diesseitigen Demiurgen und somit in die Welt.
Es wäre Perlen vor die Säu geworfen, wollte man Rixdorfer Bilderbögen in deutsche U-Bahn-Stationen kleben, doch fürchte ich weniger die Vandalen und die schlechte papierene Gesellschaft als die Zornestränen der Kenner & Liebhaber. Indes stünde zur sofortigen Beförderung an jener Sachbearbeiter, der die Mordillos im Büro durch RBs ersetzte. Womit ich aufgezeigt haben möchte: Die Rixdorfer und ihre eindimensionalen Gesamtkunstwerke (bei der Produktion geht es wahrhaft bühnenreif her und bisweilen singt man auch) haben ein von Haus aus schweres öffentliches Schicksal, ein gleichsam sagenhaftes. Wie die meisten Märchengestalten verfügen sie über große Zauberkräfte, um die es geschehen ist, wenn sich einer findet, der die Magie mittels Ignoranz oder Arroganz einfach unterläuft. Wie die meisten Verwunschenen können sie menschliche Gestalt erlangen (das heißt vom Publikum angenommen werden), doch ewig hängt ihnen die alte Froschhaut, der Bärenpelz, das Rabengefieder nach. Und gleich Drachen, Wichteln und Nixen gefährden sie sich nicht durch den Kontakt mit Menschen, sondern durch Lockerung oder Ablösung ihrer elementaren Bindungen. Man kann sagen, die Rixdorfer als solche sind zum Bilderbogen verdammt (nochmal!), der Bilderbogen verdammt sie zum Team, zum aufrecht gehenden Glücksklee.
Nein, eine Künstlergruppe bilden sie nicht, denn seit Anbeginn ist jeder in erster Linie sein eigener Künstler. Eher grupo sportivo oder, ein Vorschlag, Quartett unsterblicher Eintagsfliegen (QUE), wenn man zugrunde legt, daß sie in ausschließlicher Zusammenarbeit für einen RB (unter Zeitdruck) nur einen Tag benötigen. Wäre letzteres der Regelfall, so grüßte abermals die Goldene Dämmerung: Rixdorf‘ Gümse? Haa, die Walpurgisnacht der Schwarzen Kunst, des graphischen Grausens, der kurzen Messer, Baumgeister und Buchstabenmystiker! Daß 4 Männer seit 30 Jahren gemeinsam Bier trinken (was die Rixdorfer nicht immer taten, aber immer seltener tun), empfinden viele deutsche Linksliberale als Bedrohung; daß die Rixdorfer seit selbiger Zeit bestehen, empfindet vor allem der Neuköllner Freundesring Pinselheinrich e.V. als Ärgernis. Besonders ärgerlich: Wer sich seit drei Jahrzehnten künstlerisch treu bleibt, kann schwerlich modisch geschimpft werden. Oder wie war das mit dem kleinen Schwarzen, dem weißen Blüschen und dem roten Breton-Hütchen? Das nämlich isses: Die ewige Jugend des Goldenen Schnitz…
Apropos bühnenreifer Hergang (s.o.) – wer die Rixdorfer in der Werkstatt erlebte (und ein bißchen Kino kennt), wird freilich eher an diverse Krimis (post Riffiffi) erinnert denn an Märchenaufführungen (von den Beatles unterscheidet sie, daß bei ihren Auftritten keine kleinen Mädchen in Ohnmacht fallen). In der Tat handelt es sich um harte, hochspannungsreiche, immer wieder Selbst- und Gruppendisziplin fordernde Präzisionsarbeit, bei der das Spiel (das heißt Phantasie, Experiment, Improvisation, Risiko) keine Spielerei ist und auch kein Mannschaftssport, denn der ist nonproduktiv, liebe Balltreter. Und wenn der anwesende Textlieferant von den Buchstabenarbeitern aufgefordert wird, etwas mehr oder weniger zu tun, damit es passe, dann wird er zum Komplizen in einer gut getarnten Verschwörung gegen den öffentlichen Geschmack. Letzterer war der Watschenmann Majakowskis (der nicht nur ein großer Dichter war, sondern auch ein exzellenter Graphiker). Fürchten oder verachten die Rixdorfer ihn, den man heute Zeitgeist heißt? Sind die Rixdorfer etwa Veteranos, Gestrige gar? Womöglich Rechtshändelinge, wegen ihrer Vorliebe für Schwarzweißrot? Wer die Bilderbögen anschaue, ersieht alsbald, daß wir es mit ganz schlimmen Fingern zu tun haben: mit perfektionistischen Anarchos. Doch keine Bange – über die Feuergefährlichkeit der Rixdorfer Bilderbögen befindet die Oberbranddirektion (in einem Merkblatt für hessische Haushalte):

Erst Feuerwehr anrufen, dann löschen!

Also, erst anschaffen, dann weitersehen…

Uve Schmidt, Vorwort

Zum Autor
Uve Schmidt (geb. 1939 in Lutherstadt Wittenberg) lebt als Schriftsteller in Frankfurt am Main. Internat in Lützen, Oberschule in Wittenberg, Gymnasium in Berlin-Neukölln/Schülerheim in Berlin-Schlachtensee. HfBK Westberlin (2½ Semester Freie Graphik), möblierter Herr zwischen Nollendorf- & Wittenbergplatz, lernte im Frühjahr 1959 GBF gegen 5 Uhr in Edens Saloon kennen und zum Frühstück dessen Mutter, Madame Bobert. Schmidt erlebte den Aufbau der ZINKE etc., ohne praktisch daran beteiligt zu werden: Er war von Fuchs ausgeguckt worden für Vauo Stomps (Eremitenpresse) und zog im November 1959 nach Stierstadt vor den Taunus. Schmidt ist der 5jährige Ingo Kettlitz in der ZINKE Nr. 2 und Autor vieler Bücher etc. Zuletzt: Maskerade, Gedichte, 1993 by Patio (mit Bildern von Bernhard Jäger).

 

 

Fakten und Vermutungen zu den Herausgebern

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00