Werner Lewerenz (Hrsg.): weder hamlet noch superman

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Werner Lewerenz (Hrsg.): weder hamlet noch superman

Lewerenz (Hrsg.)-weder hamlet noch superman

POP

Neonfahnen dringen in unser Bewußtsein ein.
Ein anderer Gedankenwind
läßt sie als alte Moral flattern.
Ein diskreter Säureregen fällt
und verwandelt die phosphorisierenden Statuen
in Monumente des Stumpfsinns.
Metallischer Lärm verwüstet die Luft
während ein schwerer müder Ultramarinhimmel
sich über die Bevölkerung senkt
beruhigend wie Pop.

Michael Strunge

 

 

 

Vorwort

Dänemark ist für uns in literarischer Beziehung immer noch terra incognita, besonders auf dem Gebiet der Lyrik. Zwar gibt es eine beachtliche Anzahl moderner Dichter, die über die Grenzen ihres Inselreiches hinaus – vornehmlich in den skandinavischen Ländern – Lob und Anerkennung fanden, doch hierzulande weitgehend unbekannt geblieben sind, trotz der hervorragenden Qualität vieler lyrischer Texte.

Die vorliegende Anthologie, die eine Gedichtauswahl von den frühen sechziger Jahren bis heute präsentiert, gibt einen Einblick in die vitale, facettenreiche Gegenwartsdichtung unseres Nachbarn im Norden, die – geprägt von den Errungenschaften der klassischen Moderne und der auf poetischen Eigenklang ohne Fremdbestimmung ausgerichteten Phase des Neubeginns in den fünfziger Jahren – längst ihren Anschluß an die Weltsprache Lyrik gefunden hat.
In der Vergangenheit haben dänische und deutsche Literaten das Kultur- und Geistesleben wechselseitig beeinflußt. So ließ sich beispielsweise der in der Domschule zu Schleswig erzogene Johannes Ewald (1743–1781) nach seinem Entschluß, in Kopenhagen Theologie zu studieren, um sich danach der Dichtkunst zuzuwenden, maßgeblich von Klopstock und den Übersetzungen Wielands anregen. Adam Oehlenschläger (1779–1850) nahm für seine eigene Verssammlung die Gedichte von August Wilhelm Schlegel zum Vorbild und bediente sich dabei der in Dänemark wenig gebräuchlichen romantischen Versmaße.
Und Jens Peter Jacobsen (1847–1885), dessen naturrealistisches Denken und Dichten entscheidend zur Erneuerung der dänischen Literatur im ausgehenden 19. Jahrhundert beitrug und damit bereits den Durchbruch zur Moderne einleitete, übte nachweislich eine große Wirkung auf Rilke und Kafka aus. Andererseits waren der deutsche Expressionismus, die Syntaxauflösung eines August Stramm und die denaturierte Sprache Kurt Schwitters’ wichtige Inspirationsquellen für den 1896 geborenen dänischen Avantgardisten Harald Landt Momberg, der in seinem Romanfragment Dido übrigens die später von William S. Burroughs benutzte sogenannte cut-up Technik vorwegnahm.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besetzung war für eine Reihe junger dänischer Dichter der Zeitpunkt einer Neuorientierung gekommen. Poetische Klischees hatten ausgedient, Ismen jedweder Art ihr Ziel verfehlt. Es galt, den vom Wissenschaftsdenken und technisierten Abläufen internalisierten Menschen wieder auf seinen Ursprung hinzuweisen und den Blick auf den verlorengegangenen Zusammenhang zu richten. Nur die Poesie – darüber waren sich die jungen Literaten im klaren – konnte diese wichtige Aufgabe leisten, nur sie schien geeignet, bis zu den irrationalen Kräften unseres Daseins vorzudringen.
In der Zeitschrift Heretica finden die Autoren eine Plattform. Zum Teil noch von Kierkegaards Skepsis gegenüber der modernen Zivilisation geleitet und von dem Bemühen, der eigenen lyrischen Stimme Ausdruck zu verleihen (ausländische Einflüsse waren kaum zu spüren) wurde die Zeitschrift in jenen Tagen zu einem bedeutenden Ideenforum, zumal sich unter den Intellektuellen das Gefühl manifestierte, an einem historischen Wendepunkt angelangt zu sein.
Heretica lebte nur fünf Jahre. 1953 mußte sie ihr Erscheinen einstellen. Das geistige Klima hatte sich wieder einmal geändert. An die Stelle des bis dahin vorherrschenden Krisenbewußtseins trat nun eine stärkere Hinwendung zum Naturhaften und zum fundamentalen Leben, die vorher nur symbolhaft oder als Widerspiegelung seelischer Zustände umgesetzt worden waren. Gleichzeitig werden neue internationale Strömungen und Stilrichtungen nicht länger ignoriert.
Die neue Motivwelt wird in prägnanten poetischen Bildern dargestellt. Großstadtschilderungen und sinnlich erlebte Umwelt kontrastieren mit den erotischen Tagträumereien und manchmal geradezu tragikomischen Naturidyllen eines Frank Jæger, der sich unzeitgemäß in der alten dänischen Schreibweise artikulierte und zudem noch in gereimten Versen dichtete.
Nach und nach finden Umgangssprachliches, Fremdwörter und Slangausdrücke Eingang in die Lyrik, die sich in den sechziger Jahren expansiv und polyphon zu Wort meldet. Die weltweite Politisierung des öffentlichen Lebens machte auch vor Dänemarks Grenzen nicht halt. Autodidakten, die in der Vergangenheit nicht unwesentlich die Literatur des Landes mitbestimmten, wurden nun von akademisch geschulten Autoren abgelöst, die im Geist der 68er Bewegung heranwuchsen und die Wirklichkeit in ihrem Sinn umzugestalten trachteten.
Dennoch hat es eine politische Gebrauchslyrik, sieht man einmal von den Versen Carl Scharnbergs und den auf aktuellen Zeitthemen bezogenen Gedichten namhafterer Autoren ab, praktisch nur in Zusammenhang mit dem Beitritt Dänemarks zur EG gegeben.
Besondere Beachtung verdient die Lyrik von Frauen. Obgleich sie in den siebziger Jahren hauptsächlich vom new journalism dominiert war, entwickelte sie im Laufe der nachfolgenden Jahre eine sublim-eigenständige Variante, die im Gegensatz zur früheren Bekenntnisdichtung durch Aufnahme traditioneller Elemente aus dem Bereich der Naturlyrik zuweilen einen Hauch Metaphysik spürbar werden läßt. Namen wie Marianne Larsen, Juliane Preisler und Pia Tafdrup stehen für ein neues feminines Selbstverständnis.
Von der Beat- und Rockmusik zu den Blumenkindern, ihrer psychedelischen Phantasie und utopischen Science Fiction war es ein kurzer Weg zur Rock- und Punkdichtung unserer Tage. Der Beginn einer neuen Welle in der Lyrik zeichnete sich bereits Ende der siebziger Jahre ab, als in Kopenhagen ein schreibgewandter junger Mann namens F.P. Jac „Spontane Kalenderblätter“ aussandte. Mit Klaus Høeck, Asger Schnack und Bo Green Jensen entstanden weitere – manchmal recht rhetorische – Langgedichte. In Michael Strunge (1958–1986), dessen Arbeiten sich durch außergewöhnliche poetische Energie und sinnliche Vorstellungskraft auszeichnen, fand diese Richtung jedoch ihr größtes Ausdrucksphänomen.
Was diese jungen Menschen von der Generation der 68er unterscheidet, ist vor allem das starke Ich-Gefühl, ihr hemmungsloser Individualismus, der sich weder ideologisch noch ästhetisch vereinnahmen läßt. Ihr postmoderner Nihilismus, der sich in zahlreichen literarischen Arbeiten niederschlägt, löste in den achtziger Jahren zusammen mit Gedichtbänden bekannter Autoren wie Klaus Rifbjerg, Henrik Nordbrandt, Knud Sørensen u.a. geradezu einen Lyrikboom in Dänemark aus.
In diese Anthologie, die wie alle solche Sammelbände selbstverständlich die Subjektivität des Herausgebers widerspiegeln, wurden ausschließlich Gedichte in freien Versen aufgenommen. Gereimte Gedichte, soweit sie überhaupt noch in den letzten drei Jahrzehnten verfaßt wurden, fanden keine Berücksichtigung, nicht zuletzt deshalb, weil eine Übertragung ins Deutsche nicht komplikationslos die Valeurs, Stilvorgaben und Redefiguren hätte nachstellen können.

Werner Lewerenz, Vorwort

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