Wolfram Malte Fues: In alternder Luft

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Wolfram Malte Fues: In alternder Luft

Fues/Morgenstern-In alternder Luft

LIKE AND DISLIKE
bauen an einem minutiae Dome
machen den Tag zu Tags,
Eyecatcher
bösigen Blick
zwischen die Klickfinger schnippend, kein
Durch-die-Finger-Sehen
hilft

Während die Dunkelwolke aus eng
gezogenen Ketten-Versprechen
das Steuer über den Screen führt
dem Screen führt
mit dem Laut, den sie hell hält
weil er nach Wunderland klingt
nach Kanälen für Blumenflöße
minütlich wechselnder Codes

klopfen sich
tausende Likes
während im Immerblau fest
ein Nick-Kopf am anderen, Augenbrau’n
bis an die Fingerspitzen. Der
oder Die oder Der
pflegt aufzuerstehen
beim Neustart

Leinwand, Firnis
ein Holz, ein Kölrper, ein Hintergrund
ein Video-Clip, ein Start-up
woran erinnert uns das?

Like and Dislike
werden einig.
Sie bedeuten einander
alles, nageln
ihren System-Ingenieur

Fensterkreuz

wedelt

Fadenkreuz

mit dem Schwanz vom Schoßhund der week-end-queen
den Schnee von morgen ins Meinungsbild
Dementi schnappend. Ein Shit-storm
läuft Blasen schlagend die Lefzen ab.

 

 

Wortmeldungen eines kritischen Rationalisten

Wolfram Malte Fues ist nicht nur ein prägnanter Denker, sondern auch ein Phänomen. Seine Interessen sind so vielfältig, dass man den in seinen Publikationen gelegten Spuren nur immer wieder staunend folgen kann. Grundlegende Arbeitsgebiete des Philosophen sind Moderne Ästhetik, Postmoderne, Neue Medien und Wissenschaftstheorie. Sein zeitkritischer Essayband ZWEIFEL (2019) kann jedem gern Zweifel hegenden Intellektuellen als Lektüre empfohlen werden. Die Themen sind darin so breit aufgestellt wie das Wissen dieses kenntnisreichen kritischen Rationalisten. Die im Band enthaltenen Essays brillieren mit Faktenreichtum und Analysen. Am Ende der stets ausführlichen Betrachtungen stehen keine Handlungsmaximen, mehr sind es Frageraster, die der Leser sich zu eigen machen kann, um diese den ihn bedrückenden Problemen als kritisches Maßband anzulegen. Der Leser der Essays wird ohne es zu merken zum Denken und Handeln erzogen. Wichtig ist dies, weil die Themen, die Fues auswählt, jene sind, die unseren Alltag mehr und mehr bestimmen: Wie schaffen wir es, den IS aus der Welt zu bekommen? Wie schaffen wir es, mit unseren natürlichen Ressourcen so umzugehen, dass wir Natur und Umwelt mit gutem Gewissen an unsere Kinder und Enkel übergeben können? Wie kommen wir aus der Wachstumsschleife heraus. die uns eine fortwährende Ausbeutung der Erde aufzwingt? Und und und. Kaum zu glauben, dass ein Denker sich all dieser Themen annimmt. Fues macht es und stiftet mit Vergnügen zum Zweifel an.
Immer wieder erstaunlich ist die Gründlichkeit und Akribie, mit der Fues zu Werke geht, z.B. in seiner sehr speziellen Untersuchung Die annullierte Literatur. Nachrichten aus der Romanlücke der deutschen Aufklärung (2017), einem Einspruch über 400 Seiten, der literaturwissenschaftlich und philosophisch geführt wird. Als „Romanlücke“ im Sinne der deutschen Literaturwissenschaft versteht sich dabei der Raum zwischen Grimmelshausens Simplicius Simplicissimus (1668/69) und Wielands Geschichte des Agathon (1766/67), also nahezu 100 Jahre, in denen die Wissenschaft dem deutschen Roman Reife abspricht. Fues prüft in seinem Einspruch die Behauptung, dass sich der deutsche Roman erst dann zu reiferer Kunstform aufschwingt, als es den Autoren gelingt, sich die neuen französischen und englischen Kunstformen des Romans anzueignen. Für ihn stellt sich die Frage:

Bewahrt vielleicht eben diese scheinbare Rückständigkeit im Medium des Romans Rückstände epochaler Mentalität auf, die in fortgeschritteneren Gesellschaften [Frankreich, England?] bereits untergegangen und verstummt sind?

Ganz im Sinne des epistemologischen Ansatzes von Michel Foucault fordert Fues, die Besonderheiten des Alltagslebens, worin die fundamentalen Codes einer Kultur versteckt und versenkt sind, näher zu betrachten, um herauszufinden, ob der „verachtete deutsche Roman zwischen 1670 und 1770“ nicht doch eine Bedeutung, eine Funktion, einen Wert für seine Epoche hat und wie diese Bedeutung, diese Funktion, dieser Wert aufzufassen und zu verstehen sind.

Mit der gleichen Akribie geht Wolfram Malte Fues in seiner Lyrik zu Werke. Diese ist selbst für geübte Lyrikleser nicht selten eine Herausforderung im besten Sinne. Es lohnt sich jedoch, den avantgardistischen Expeditionen Fues’ zu folgen und die aufgerissenen poetischen Räume mit eigener Lebens- und Leseerfahrung zu füllen. Manfred Pabst (NZZ am Sonntag, 2.2.2020) wies anlässlich Fues’ Gedichtband Unsanfte Bilder (2019) auf Schönheiten aber auch Gefahren dieser Poesie hin: Fues bringe „die Sprache in ihrer Materialität zum Leuchten“. Farbe, Form, Klang und Bedeutung überlagerten sich zu komplexen Gebilden, die nie stillstehen. Ausgefallene Wortschöpfungen und Wortkombinationen führten unsere Wahrnehmung aufs Glatteis, kleinste Veränderungen brächten die Übereinkünfte des Verstehens ins Gleiten und Rutschen, Wortfelder erwiesen sich als „vermintes Gelände“.
Der vorliegende Gedichtband bestätigt diese Erfahrungen mit Fues’ Poesie. Wer In alternder Luft nur den Schwanengesang eines gealterten Dichters erwartet, sieht sich beim Hineinlesen eines anderen belehrt. Die Gedichte sind im Jetzt verankert, sind weniger Abgesang als Streitschriften. Reflexionen über das Neusprech und die Neuen Medien finden sich in zahlreichen Texten. Schon im Eröffnungsgedicht „Jetzt. Dreht sich“ simuliert ein Smartphone den Gesang der Vögel. Im Gedicht „Like and Dislike“ schnippen die Klickfinger und wedelt der „Schwanz vom Schlosshund der week-end-queen / den Schnee von morgen ins Meinungsbild“ und ist vom medialen Shit-storm die Rede.
Die Texte des Bandes berühren nahezu alle Themen, die auch den Philosophen und Wissenschaftler zu Widerspruch oder Einlassung anregen. Im Gedicht „Mind-mapping“ (rückschauende geistige Kartierung eigener Lebenserfahrung) werden die „Leerzeichen“ „Kerbe für Kerbe schnitt- / spürig schmerzsüchtig schärfer / schlitzen / das Vielleicht / zwischen heute und heute / spinnen E-Garn für Fadenschein ab…“ Das Gedicht endet mit dem Wort „nachtdenklich“. Neologismen wie „schnittspürig“ und „nachtdenklich“ provozieren Bilder, erweitern den poetischen Raum und bieten dem Leser die Möglichkeit, sein eigenes Leben ins Gedicht zu bringen.
Das Gedicht „ReHa“ pendelt zwischen religiöser und soziologischer Konnotation:

Streichriemen, heiliges Öl
Schaumschale, Weihrauch, Blutstein
ArGe ALZ…

Wortspiele nähren die Lust am Text:

Jung
ist die Welt, in Erwartung
der Fermate von Messe zu Messer
schön wie am ersten Tag
nach dem letzten ihrer Erschöpfung

öffnen sich alle Türen
auf der fugenlos folgenlos
zertifizierten Erde…

Im Subtext des Gedichts „Das Wort zum Tag“ schimmert Medienkritik auf:

Das Wort zum Tag für die Wort-
Klone von Tagen. Das Band
bauscht sich zum Fuchsschweif
mascht ihn nach innen. Es
bindet Worte an Tage, von denen
das Wort zum Tag kein Wort
hören will.

Etymfäule. Wortwuchs
während der werdende Tag
unter die Lautdecke schlüpft
wortloses Glück
von den Rändern über sich ziehend.

Einige Gedichte finden Anknüpfungspunkte in der Geschichte – wie „Louis Auguste Blanqui“ oder „Spanien erinnernd“. Das Gedicht „Der Vogelfelsen der historia naturalis“ erinnert an eine der frühesten Reaktorkatastrophen (Sellafield 1957). Im Gedicht „Weinland vom Ende der Welt“ tauschen „Glückshändler Sinnfänger Zwielicht-Propheten / die Enden der Welt um die Wenden der Welt / zu buchstäblich wechselnden Kursen.“
In alternder Luft ist eine geistige Achterbahnfahrt durch die Räume von Poesie, Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Fues überlässt jedoch bei aller Weite der Themen und Perspektiven nichts dem Zufall. Die Gedichte sind bis ins kleinste Detail durchdacht und ziehen den Leser beim Mehrmals-Lesen immer tiefer in das Denken des Autors hinein. Wie die Essays, stellen auch die Gedichte von Wolfram Malte Fues Fragen in den Raum und enthalten sich einer Antwort. Es werden keine Behauptungen aufgestellt, es wird kein Kanon angeboten. Eher ist es eine Aufforderung, neu zu denken – vorwärts und rückwärts.

Axel Helbig, Nachwort

 

 

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