Zsófia Balla: Schönes, trauriges Land

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Zsófia Balla: Schönes, trauriges Land

Balla-Schönes, trauriges Land

DAS AUGE DER WELT

Was ich sehe, glaube ich nicht.
Die Welt ist gut, nur täuschen mich
die Augen; wie ein rundes Aquarium
sind sie: drinnen die Tatsachen, das Licht,
närrische Goldfische kreisen wunderlich.

 

 

 

Zsófia Balla,

1949 im ehemals ungarischen, heute rumänischen Klausenburg geboren, gehört einer ungarisch-jüdischen Minderheit an, deren Lebens-, Verfolgungs- und Todesgeschichte die Lyrikerin nachhaltig geprägt hat, wie auch die nationalkommunistische Diktatur und ethnische Unterdrückung unter Ceauseşcu nicht ohne Einfluß auf sie geblieben sind. Die existentiellen Fragen im weitesten Wortsinn stehen daher auch im Mittelpunkt ihrer poetischen Erkundungen. Liebe und Haß, Heimat und Heimatlosigkeit, Illusion und Lethargie, Opportunismus und Aufbegehren, Philosophie und Kunst finden sich in ihren hier versammelten Gedichten und Prosastücken ebenso thematisiert wie die Unbegreiflichkeit des Holocaust, den die Großeltern in Auschwitz nicht überlebt haben.

Suhrkamp Verlag, Klappentext, 1998

 

Ortlosigkeit, Ortssuche

− Zsófia Ballas Gedichte Schönes, trauriges Land. −

Sie wurde 1949 als Ungarin jüdischer Abstammung im siebenbürgischen Klausenburg (rumänisch Cluj) geboren, absolvierte ein Musikstudium, begann 1965 zu schreiben, arbeitete beim Rundfunk und in Zeitschriftenredaktionen, hatte wegen ihrer oppositionellen Tätigkeit jahrelanges Berufs- und Reiseverbot und übersiedelte 1993 nach Budapest. Verfasserin von zwölf Lyrikbänden, die mehrfach ausgezeichnet wurden, gehört Zsófia Balla zu den bedeutendsten Dichterinnen ungarischer Zunge. Was ihr Selbstverständnis angeht, geben Verszeilen wie diese lakonisch-schmerzlich Auskunft: „Glitschig, gleich einem Lamm. / Polnisch blute ich und jüdisch, / das ist der Strom, auf dem ich treibe.“
Den düsteren Hintergrund von Ballas Orts- und Identitätssuche bildet der Holocaust: die Deportation und anschliessende Ermordung ihrer Grosseltern in Auschwitz. Über dieses Trauma legte sich die Diskriminierung, die ihr als Vertreterin einer doppelten Minderheit unter Ceausescus nationalkommunistischer Diktatur widerfuhr. Zugehörigkeit erscheint illusorisch, das Weggehen als „Todessprung“. Im Zwiespalt zwischen Flucht und Bleiben schreibt Balla:

Wieder und wieder kehre ich zurück.
Ich will nichts anderes sein
(Angst habe ich)
Als das, was ich sein möchte.

Wie ich lebe, das ist meine Heimat.

Leitmotiv von Ballas Gedichten, die Hans-Henning Paetzke ausgewählt und schnörkellos übersetzt hat (leider fehlen Quellenangaben, mithin Datierungen), ist die tastende Selbstvergewisserung einer „Schicksallosen“. Anhand von Bildern, Erinnerungen, Naturbeobachtungen werden die Koordinaten eines Ichs entworfen – und verworfen. „Ein zweiseitig abgestempeltes Blatt bin ich“, Der Körper / bin nicht ich.“ Zum elegischen Ton gesellt sich mitunter ein sarkastischer:

Wo mein Weltbürgerliches sitzt und
wo mein Nationales, weiss ich schon nicht mehr.
Brustwärts? Hinterwärts? So? ,So‘;
Kosmopolitisch sind vielleicht meine Augen,
der Mund ist national.
Alles andere osteuropean: Laufen.

(„Schlaflosigkeit bei Tage“)

Zu den eindrücklichsten Texten des Bandes gehören drei poetische Prosaskizzen. „Gras“ handelt vom „Neuanfang im Tod“, von den blendend grünen Halmen auf dem Lagergelände von Auschwitz, von Grassuppen und Graszigaretten. „Wespennest“ steht unter dem Motto: „Wer die Heimat wechselt, sollte sein Herz wechseln.“ In „Briefkammer“ schliesslich geht es um die Evokation einer traumatisierenden Totgeburt, die mit musikologischen Betrachtungen zu Stücken aus Bachs „Matthäus-Passion“ kontrapunktisch verknüpft wird. Keine Frage: Zsófia Ballas überragendem Talent stehen noch viele Sprachregister zur Verfügung.

Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Zsófia Balla in der Fernsehsendung Záróra am 28.2.2010.

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