Freilich

Titelbild von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Felix Philipp Ingold: Gegengabe“

Der Grossinquisitor hat und gibt Recht insofern, als er im Interesse der Mehrheit sprechen kann – er gilt die Mehrheitsbedürfnisse ab (Brot, Spiele), befreit das, was man «die Menschen» nennt, aber auch als «das Mensch» bezeichnen könnte, von lästiger Verantwortung und grundsätzlichen Entscheidungszwängen. Damit erkauft er sich seine ungeheure Machtfülle, kann er als Diktator zum Wohltäter werden. Die Volkstrauer um Stalin war gross, Stalins Andenken lebt, seine Schergen beziehn Pension, seine Opfer sind noch immer nicht gezählt und fast schon vergessen.

Gerechtigkeit kommt gegen das Recht von Macht und Mehrheit nicht an. Wahrheit, Schönheit, Pflichterfüllung machen keinen Spass, wiegen weniger als Meinungen, Vorurteile, frag- und kritiklose Verständigung. Wassilij Rosanow: «Gerechtigkeit, Pflicht, Schönheit, Wahrheit, vom Menschen so lange um ihrer selbst willen geliebt, haben ihre Anziehungskraft für sein Herz verloren, und er hat damit begonnen, verstandesmässig die für ihn vorteilhaften Seiten davon nutzbar zu machen …» Gesagt vor hundert Jahren; und heute noch wahrer.

Gegenzug? Aber wo sind, unter den Menschen, jene, die aus dem Verzicht ihren Reichtum, aus dem Nicht-haben-, dem Nicht-wissen-wollen eine Stärke machen?

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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Trägheit

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