gestern war keine zeit
heut ist kein tag
morgen keine zukunft
„freiheit stärke glück“
refrain: dort für den frieden vögeln
oder hier nur einen runterholen
das ist doch wohl die frage
schrei gegen die wand
schreib es an die wand
schreite durch die wand
„freiheit stärke glück“
refrain: dort für den…
Aber … das hieß soviel wie trotz alledem. Mit Texten von Bert Papenfuß wurde es auch Programm, vorgetragen in überfüllten Wohnungen, Kneipen, Kirchenräumen am Prenzlauer Berg in Berlin oder in Aschersleben. Verse, geschrieben für Rockgruppen wie „Rosa Extra“, dokumentarisch festgehalten in den Akten der „Behörde“, die alles belauschte, in ihren Zuträgern auch sich selbst – und nichts verstand. Gedichte einer anarchisch-jugendlichen Revolte, die schon die kommende „Wende“ ankündigen: „die mAcht wird …. Gestürzt werden.“ Mit TrakTat zum Aber legen wir Band 5 der Gesammelten Texte von Bert Papenfuß vor, Texte der Jahre 1981–1984.
Janus Press, Klappentext, 1996
Stefan Bruns: Zerlegen und Zerhacken
Neue Zürcher Zeitung, 11.6.1996
− Neben Sascha Anderson und Rainer Schedlinski, die 1991 als Stasi-Spitzel enttarnt wurden, war er einer der führenden Köpfe der Prenzlauer-Berg-Szene: Bert Papenfuß. Mit Bernd Imgrund sprach er über seine Stellung in der ehemaligen DDR, seine Schwierigkeiten mit dem wiedervereinigten Deutschland und die gerade erschienenen ersten Bände seiner GESAMMELTEN TEXTE. −
Bernd Imgrund: Die jetzt herausgekommenen ersten drei Bände deiner GESAMMELTEN TEXTE sind bestückt mit Gedichten aus den Jahren 1972 bis 1977. Wie kann ein damals 17jähriger einen bereits derartig elaborierten, individuellen Stil entwickelt haben?
Bert Papenfuß: Ich habe mit 13, 14 Jahren angefangen, nach einer Artikulationsmöglichkeit zu suchen. Zuerst habe ich gemalt und Musik gemacht, aber bald stellte ich fest, daß ich mich durch Schreiben am besten ausdrücken kann. Also habe ich mir mit 16 gesagt, ich werde Dichter, und das habe ich dann halt gemacht.
Imgrund: Was gab es denn in den frühen 70er Jahren in der DDR zu lesen? Liest man deine Gedichte, könnte man eine Ahnenreihe von Dada über die Konkrete Poesie bis zu Ernst Jandl aufstellen.
Papenfuß: Klar kannte ich Dada, Schwitters war wichtig für mich. Es gab eigentlich alles zu lesen, man mußte es sich nur irgendwie beschaffen. Jedenfalls ist das Gejammer, daß wir hier kulturell ausgehungert waren, totaler Quatsch.
Imgrund: Wie bedeutend ist für dich das Lautmalen, der mündliche Vortrag von Gedichten?
Papenfuß: Wir durften ja nicht publizieren, und die Folge davon war, daß wir viele Lesungen gemacht haben, in kirchlichen Räumen, bei Ausstellungseröffnungen oder bei privaten Veranstaltungen. Daraus entwickelte sich eine gewisse Versiertheit im Vortrag, aber ich wollte nie Lautpoesie wie die Konkreten machen, das war mir immer zu kristallin, zu akademisch.
Imgrund: In HARM sprichst du bzw. dein lyrisches Ich einmal von unserer wesenlosen zeit, in SOJA heißt das abgewandelt meiner umwelt gebrichts an geschlechtlichkeit. Ist das zu lesen als Reaktion auf die sterile, vertrocknete DDR-Sprache, als ein Ausdruck dafür, daß Schreiben auch physische Befreiung ist?
Papenfuß: Die offizielle Sprache in der DDR war nicht verknöcherter als jede andere Machtsprache. Es ist mir völlig einerlei, ob ich das NEUE DEUTSCHLAND von vor 15 Jahren oder die FAZ von heute in der Hand habe. Das ist keine Sprache, in der ich meine Gefühle ausdrücken kann. Ich bin ein Triebtäter, Schreiben ist zwanghaft. Ich muß den ganzen Scheiß, der sich ansammelt, einfach wieder loswerden.
Imgrund: Das korrespondiert mit dem Satz Ich fühle mich nicht als Experimentator, sondern das ist mein Leben, du du mal in bezug auf deine Gedichte geäußert hast. Dagegen steht die im Literaturfeuilleton beliebte Einordnung deiner Arbeiten in die poststrukturalistische Sprachphilosophie. Da wird immer vom Austritt des Sprechenden aus der Sprache und vom Konkurs des Subjekts gesprochen. Siehst du dich auf der Straße von Derrida, Kristeva, Baudrillard?
Papenfuß: Nein, überhaupt nicht. Jenen Satz habe ich gesagt, um mich gerade von diesen Theorien abzurücken. Meine Texte wurden in einen viel zu intellektuellen Kontext gestellt. Diese poststrukturalistische Rezeption ist von mehreren Seiten lanciert worden. Für das westdeutsche Feuilleton war das eine Möglichkeit, mit den Texten überhaupt umzugehen, und auf der anderen Seite haben Sascha Anderson und Rainer Schedlinski das forciert, ich weiß nicht, wieso. Vielleicht, um interessant zu wirken.
Imgrund: In ZORO IN SKORNE, dem einleitenden Text zur Anthologie VOGEL ODER KÄFIG SEIN, haben Jan Faktor, Stefan Döring und du mal versucht, Eure Texte theoretisch zu orten. Da wird von der freiwilligen Isolation, mit Betonung auf freiwillig, geredet und davon, daß nicht durch Alternativ- oder Anti-Haltung Opposition ausgeübt werde, sondern durch Unkontrollierbarkeit. In SOJA favorisierst du die Figur des Schalks.
Papenfuß: Klar, das macht mir Spaß. Ich sitze auch gerne im Elfenbeinturm, aber wenn mir das zu langweilig wird, dann gehe ich halt auf den Marktplatz, um da rumzuschreien.
Imgrund: Und dieses Rollenspiel konntest Du in der DDR durchziehen mit dem Gefühl, dadurch bis zu einem gewissen Grade unkontrollierbar zu sein?
Papenfuß: Diese Vorstellung war natürlich utopisch. Die Paranoia der Überwachung war real, die Stasi stand auch vor meinem Haus. Aber das war so albern, ich hatte keine Lust, deshalb mein Leben umzustellen. Und war schon damals, Anfang der 80er Jahre, klar, daß wir für unsere Aktionen und Texte nicht mehr in den Knast kommen würden.
Imgrund: Wie klar war euch denn, daß Spitzel in euren eigenen Reihen waren?
Papenfuß: Es gab immer mal wieder Verdächtigungen, ab und zu hat sich jemand selber enttarnt, weil er bei der Stasi aussteigen wollte. Als ich 1977 Sascha Anderson kennenlernte, wurde der schon als Spitzel verdächtigt.
Imgrund: Warum hast du dich trotzdem mit ihm eingelassen?
Papenfuß: Ganz einfach, wir haben das nie geglaubt, daß der für die Stasi arbeitet.
Imgrund: Worauf basierten denn die Vorwürfe gegen Anderson?
Papenfuß: Der hat ja damals in Dresden gelebt. In so einer kleinen Stadt kriegt man das mit, wenn einer ständig vorgeladen wird und auch hingeht. Die normale Reaktion war, sich krank zu melden und diese Vorladungen wegzuschmeißen. Das machte man solange, bis die dich entweder in Ruhe ließen oder holen kamen. In dem Fall hat man sich dann eben besonders verstockt angestellt, bis man irgendwann rausgeschmissen wurde.
Imgrund: Wie verlief eure Zusammenarbeit mit den oppositionellen Kirchenkreisen?
Papenfuß: Wir haben viele Lesungen im Rahmen von Kirchenfesten gemacht, aber ich habe die Scheiß-Kirchentage und Friedenspfeifen immer gehaßt, mit denen konnte ich nie ernsthaft reden. Mich störte dieses Moralische, Weltverbesserische.
Imgrund: Bei diesen Veranstaltungen Ende der 70er, Anfang der 80er, die häufig in Privatwohnungen abgehalten wurden, sei Politik weitgehend ausgeklammert gewesen, liest man häufig. Trotzdem müßt ihr doch irgendeine konkrete Vorstellung von einer anderen Gesellschaft gehabt haben.
Papenfuß: Ich war damals Anarchist, und das bin ich auch heute noch. Natürlich war ich immer auch politisch, ich habe mich immer zu aktuellen Themen geäußert. Dieses Berufen auf eine unpolitische Haltung, das setzte später ein. Das kam auch von Anderson und Schedlinski, die wahrscheinlich ihren Führungsoffizieren klarmachen wollten, laßt die in Ruhe, das sind keine Staatsfeinde, sondern Dichter, die bleiben bei ihrer Sache.
Imgrund: Anarchismus ist ein Begriff zwischen revolutionärer Militanz und absoluter Gewaltlosigkeit. Was hast du dir denn du rausgepickt?
Papenfuß: Da gibt’s nichts rauszupicken. Wenn es um kollektive Strukturen geht, dann Bakunin, wenn es ums Individuum geht, dann Stirner, Rudolf Rockers Anarchosyndikalismus für den Aufbau von Industriestrukturen – da irgend etwas ausschließlich zu vertreten, ist völliger Quatsch. Genauso ist das mit der Gewaltlosigkeit: Wenn es in einer bestimmten Situation nicht ohne Gewalt geht, dann ist eben Militanz angesagt. Anarchist sein heißt für mich, jenseits irgendwelcher festgeschriebenen Direktiven oder Theorien auf jede Situation frei und angemessen zu reagieren. Und danach sieht man weiter.
Imgrund: Das läuft dann doch auf einen individuellen Anarchismus hinaus und nicht auf einen gesellschaftlichen?
Papenfuß: Ja, das stimmt. Ich gehe manchmal zu Stirners Grab.
Imgrund: Also war der Weg des dezidierten politischen Oppositionellen à la Lutz Rathenow oder Wolf Biermann für dich nie eine Alternative?
Papenfuß: Nein. Die Leute haben mich von Anfang an gestört. Die Sentimentalität von Biermann konnte ich nie leiden, mit dessen Texten konnte ich auch ästhetisch nichts anfangen, mit dieser Liedermacherei bei Kerzenschein.
Imgrund: Was heißt das?
Papenfuß: Meine Gefühle wurden von diesen Leuten nicht artikuliert. Diese ganze ältere Generation war ja stark von Brecht beeinflußt, überall wurden Brecht-Vorträge gehalten, das war widerlich. Ich habe nie etwas gefunden an dieser vorgeschobenen Klarheit, die bei Brecht so gelobt wurde. Das stimmte doch hinten und vorne nicht. Beobachte Deine eigenen Gefühle und Deine Umwelt, und Du weißt, daß das alles menschenverdummende Vereinfachung ist. Das führt nur zu Sentimentalismus und Borniertheit in alle Richtungen.
Imgrund: Nun scheint Biermann das ja ähnlich zu sehen. Mit Anspielung auf deinen Generals-Vater verglich er Deine Attacken auf die deutsche Sprache mit dem Gemetzel von Soldaten in der Schlacht.
Papenfuß: Ich fand das schon ganz witzig. Im Nachhinein tut mir nur leid, daß ich mich dazu herabgelassen habe, gegen Biermann zu polemisieren. Das war’s einfach nicht wert.
Imgrund: Wenn du schon Biermanns Texte langweilig findest: Kannst du ihn dann zumindest als Symbol des Widerstands würdigen?
Papenfuß: Ist doch alles Quatsch! Im Vergleich zu Biermann war vielleicht Lutz Rathenow ein Widerstandskämpfer. Biermann war Nomenklatura. Das war allen Leuten, auch in der sogenannten oppositionellen Szene, völlig klar.
Imgrund: Warum ist Biermann denn deiner Meinung nach ausgewiesen worden?
Papenfuß: Weiß ich nicht. So gut kenn ich mich in der DDR-Kulturpolitik nicht aus. Da mußt du mal Margot Honnecker fragen, die hatte lange Zeit ihre schützende Hand über Biermann. Außerdem hat der sowieso schon vor seiner Reise in den Westen gewußt, daß er, wenn er sich nicht völlig konform verhält, ausgebürgert wird. Für mich was das kein Zeichen des Widerstands, das war nichts. Kann ich mich gar nicht mehr dran erinnern. Ich weiß nur noch, daß in der Zeit Punk-Rock aufkam, das hat die Biermann-Affäre für mich doch sehr stark überschattet.
Imgrund: Punck-Rock begann 1977, das war auch die „Hoch-Zeit“ der RAF in Westdeutschland. Was haben deren Aktionen bei euch für eine Resonanz gefunden?
Papenfuß: Die Aktionen der RAF, da waren wir uns mit Honnecker einig, stießen bei uns auf Sympathie…
Imgrund: unverhohlene oder klammheimliche?
Papenfuß: Unverhohlene, das konnte man hier ja machen. Aber an gute Informationen über die theoretischen Schriften der RAF zu kommen, war in der DDR sehr schwierig. Die bezog ich eigentlich nur aus den SPIEGEL-Artikeln. Diese Artikel waren schon wichtig. Andererseits war das auch wieder so weit weg, daß wir da keinen richtigen Zugang zu hatten.
Imgrund: Hattet ihr unter den arrivierten DDR-Schriftstellern irgendwo eine Lobby?
Papenfuß: Ja, es gab eine Lobby. Für mich haben sich z.B. Gerhard Wolf, Christa Wolf und Karl Mickel eingesetzt, andere hatten mehr Kontakt zu Heiner Müller. Diese Leute waren überhaupt ziemlich solidarisch, die haben ständig unser Zeug gekauft, haben uns Geld gegeben, haben Einladungen in den Westen befördert. Als ich 1986 in die Akademie der Künste eingeladen wurde, hat Heiner Müller direkt gesagt, das ist druckreif, AUFBAU-VERLAG, druckt das mal, was dann dazu führte, daß sie zehn Jahre nach Erhalt 1988 meine Manuskripte als Buch veröffentlichten. Und das, obwohl ich ein halbes Jahr vor diesem Auftritt einen Ausreiseantrag gestellt hatte, den ich aber kurze Zeit später wieder zurückzog.
Imgrund: Warum?
Papenfuß: Das Leben im Westen erschien mir zu anstrengend, ich kannte das inzwischen ja, viele Freunde waren schon drüben. Ich wollte keinen Rummel um den „befreiten Ostdichter“, genauso schreckten mich diese westliche Literaturförderung und der ganze Dreck ab.
Imgrund: Das siehst du heute anders?
Papenfuß: Naja, heute habe ich keine andere Wahl.
Buchkultur: Bei Thomas Kling, der in westdeutschen Dichterkreisen eine ähnliche Position wie du innerhalb der Prenzlauer-Berg-Szene innehat, ist eine deiner Arbeit vergleichbare Tendenz hin zu längeren Texten zu beobachten. Hat man nach zwanzig Jahren als experimentierender Nischenlyriker das Bedürfnis, sich ausführlicher mitzuteilen.
Papenfuß: Ich glaube nicht, daß Kling oder ich jetzt immer längere Texte schreiben werden. Es geht für mich immer um den möglichst präzisen Ausdruck, und der ist knapp. Längere Texte entstehen immer aus einer konfusen Wut heraus, auch gegen mich selbst, wenn sich mal wieder zuviel aufgestaut hat.
Imgrund: Was hältst du von folgendem Gedanken: In einem Überwachungsstaat wie der DDR kommt es auf klandestine Knappheit an, während du jetzt in einer Überflußgesellschaft lebst, die sich auch auf dein lyrisches Schaffen auswirkt.
Papenfuß: Ich will es nicht hoffen. Auf die DDR zu reagieren, das hat mir noch Spaß gemacht, aber dem ganzen Mediengeflunker will ich mich nicht stellen. Der Feind ist zu groß. Dagegen ist jetzt wirklich Subversion gefragt, nicht Frontalangriff. – Ich würde, wäre ich heute noch mal 16, nicht mehr Dichter werden. Meine Ablehnung diesem westlichen System gegenüber könnte ich nicht mehr mit dieser defensiven Dichterpose äußern. In der DDR war das anders, die haben Literatur noch als Politikum genommen.
Imgrund: Übersieht man die Literatur, die der Prenzlauer Berg und vergleichbare Szenen in der DDR hervorgebracht haben, so stellt man fest, daß es sich dabei nahezu ausschließlich um Lyrik, Essays und Kurzprosa handelt. Habt ihr den Roman bewußt links liegengelassen?
Papenfuß: Ich habe nie den Wunsch verspürt, eine Erzählung oder einen Roman zu schreiben. Das werde ich mit Sicherheit auch nie tun. Es gibt eben Dichter und Schriftsteller.
Buchkultur, 1993
– Zur Leipziger Buchmesse 1996 fand in der Oper ein Abend mit Lesungen von Günter Grass (1927–2015) und dem Polen Tadeusz Różewicz (1921–2014) statt, die miteinander befreundet waren.
Ich konnte zur Eröffnung sprechen und auch zwei Autoren vom Prenzlauer Berg, Bert Papenfuß und Detlef Opitz, mit neuen Texten vorstellen. –
nicht an die nachkommen
richte ich meine Worte
ich wende mich an die politiker
die mich nicht lesen
die bischöfe
die mich nicht lesen
die generäle
die mich nicht lesen
die sogenannten „einfachen leute“
die mich nicht lesen
ich wende mich an alle
die mich nicht lesen
nicht hören nicht kennen
nicht brauchen
sie brauchen mich nicht
aber ich
Mit diesen Versen – er überschrieb sie „Pathetischer scherz“ – stellte sich Tadeusz Różewicz als Dichter vor, als einer, der von den Nachkommen keine Nachsicht erwartet und nur den Anspruch erhebt, als Dichter Zeuge zu sein. Zeuge für Situationen und Verhältnisse, für menschliches Leben und Sterben, Zustände, die ihm eigentlich „unaussprechlich“ erscheinen und über die er doch sprechen muss, als Zeuge eines Krieges, in dem er gegen die Deutschen mit den Eisernen Kreuzen kämpfte, Zeuge für alles, was darauf folgte und danach kam, „in der welt / die die götter verlassen haben“, und er erinnert Paul Celan und seine „Todesfuge“, erinnert Hölderlins „wozu Dichter in dürftiger Zeit“ – Sie werden es hören –, Verse ohne Beschwichtigung, ohne Trost, ein Kritiker, lese ich, nannte ihn den „Dichter der erstickten Stimme“. Keine Prosodien, keine schönen Metaphern, lediglich Zeuge, Zeuge der Liebe, die den Tod besiegt. In seinem eben erschienenen Band, in dem er frühe Gedichte der Nachkriegszeit mit späten Gedichten aus den letzten Jahren zusammenführt, hat er seine Texte schmerzhaft-ironisch unter das Paradoxon gestellt:
letztendlich ist
die verständliche dichtung
unverständlich
Ich halte mich an diesem Abend der Worte und Klänge mit den Stimmen sehr verschiedener Dichter an ihr Vertrauen in die Zeugenschaft des Wortes. Es verbindet den Polen Różewicz, der in Wrocław lebt, und Günter Grass, den Deutschen aus Danzig, über ihre persönliche Freundschaft hinaus: Zeuge sein, Zeuge für ein Land, eine Stadt, ein Haus.
Zeuge für eine Zeit. Zeuge für die Sprache in ihrem Widerstand gegen Missbrauch und Entstellung, gegen Befehle und Verordnungen jeglicher Art, gegen politische, ideologische, nationalistische Observanz und Obstruktion – gegen „ferfestigung / ferfestigter zungen“, wie es bei Bert Papenfuß heißt, um damit die Brücke zu schlagen zu den mehr als eine Generation jüngeren Autoren, Detlef Opitz und Bert Papenfuß, die bei allem, was sie sicher von Różewicz und Grass unterscheidet, doch auch etwas mit ihnen verbindet: das Misstrauen in die offizielle Sprache, die wir täglich über uns ergehen lassen mit ihren ausgelaugten Sprachfloskeln und Verlautbarungen, statements und talks, gegen die sie sich mit ihren Worten wehren, gegen die Festlegungen und Festungen überall um und in uns.
sterile kraft beschattet
die räume der sprache
sagt Tadeusz Różewicz.
Auf die Frage, ob er seine Stücke mit dem absurden Theater des Westens in Verbindung bringe, soll er geantwortet haben:
Sie waren nicht nur in Polen, sondern in ganz Osteuropa die einzig realistischen Stücke, realistische – nicht soz-realistische.
Wer erinnert sich nicht ihrer Aufführungen in Ostberlin um die Mitte der 8oer Jahre, um ihm verständnisvoll zuzustimmen.
Ich spreche nicht von faktischer, sondern von poetischer Zeugenschaft. Die freilich wirkliche Anteilnahme voraussetzt. Man muss mit Günter Grass durch die Straßen seiner Heimatstadt Danzig gegangen sein, um unmittelbar zu erfahren, dass er dort, wo er jeden alten und neuen Stein kennt und auch zu unterscheiden weiß, ganz bei sich und zugleich heimisch geblieben ist. Er hat seinen Kaschuben einen Platz in der Weltliteratur eingeräumt, nicht mehr und nicht weniger, und Deutsche wie Polen, die ihm ebenda die Ehrenbürgerschaft verliehen, finden in seinen Büchern und durch sie Gestalt in der europäischen Geschichte dieser Zeit. Es hat sich gezeigt, dass sie alle Zerreißproben souverän überstehen, ja, dass Zerreißwut sie erst recht bestätigt.
Nein, da war kein Brückenschlagen nötig, weil er dort – „wo Grenzen Flüsse widerlegen“, wie es in seinem Lobgedicht auf die Ostsee heißt –, weil er dort, wo es für ihn keine Grenzen gab, längst, und bevor es die obligaten wie obstruktiven Grenzbeamten hier wie dort erlaubten, seinen Platz im Zeugenstand eingenommen hatte.
Wir hören ihn heute mit Gedichten, mit denen er ja einst vor seinen Romanen begonnen hat; Gedichte, die, wie seine graphischen Blätter, seine Prosa immer begleiten, heiter intonieren, spöttisch variieren, apodiktisch akzentuieren, wie in den Versen, die die Sprache beim Wort nehmen:
KINDERLIED
Wer lacht hier, hat gelacht?
Hier hat sich’s ausgelacht.
Wer hier lacht, macht Verdacht,
daß er aus Gründen lacht.
Wer weint hier, hat geweint?
Hier wird nicht mehr geweint.
Wer hier weint, der auch meint,
daß er aus Gründen weint.
Wer spricht hier, spricht und schweigt?
Wer schweigt, wird angezeigt.
Wer hier spricht, hat verschwiegen,
wo seine Gründe liegen.
Wer spielt hier, spielt im Sand?
Wer spielt, muß an die Wand,
hat sich beim Spiel die Hand
gründlich verspielt, verbrannt.
Wer stirbt hier, ist gestorben?
Wer stirbt, ist abgeworben.
Wer hier stirbt, unverdorben,
ist ohne Grund gestorben.
Günter Grass und Tadeusz Różewicz – es gibt in ihren Gedichten Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten. Ihr dichterischer Dialog heute Abend zu Beginn der Leipziger Buchmesse 96 – man spricht ja sonst nur bei der Begegnung bekannter Politiker davon –, es ist schon ein historischer Moment.
Laßt uns
Vergeßt uns
und unsere generation
lebt wie menschen
vergeßt uns
schreibt Tadeusz Różewicz in einem seiner hoffnungslos-traurigen Gedichte des Jahres 1956, es ist ziemlich genau die Generationswende, um die Autoren wie Bert Papenfuß und Detlef Opitz geboren werden, hineingeboren in einen Gesellschaftszustand, der ihnen keine andere Wahl zu bieten scheint, es sei denn, sie wagen den Absprung, den Ausstieg aus allen Konventionen, denen der Herkunft, der Erziehung, der vorgezeichneten sicheren Existenz und denen der geübten, verordneten Sprache mit allen ihren festgeschriebenen Normen und Regeln.
Sie setzen genau an der Stelle ein, als Ingeborg Bachmann sich fragte:
haben wir mit unserer sprache verspielt, weil es kein wort mehr gibt, auf das es ankommt?
Ihre Antwort war ihr Verstummen als Lyrikerin.
Deshalb brachen junge Dichter, die jetzt zu Ihnen sprechen, im letzten Dezennium der DDR mit allen herrschenden Kommunikationskonventionen, den Schreibkonventionen nach Geheimrat Duden, der regelmäßigen deutschen Grammatik mit ihrem braven Grundkonsens: Subjekt Prädikat Objekt.
„gegen ferfestigung / ferfestigter zungen“, sagt Papenfuß und schreibt ferfuehren, ferachten, ferneinen immer mit diesem scharfen stimmlosen f und hält sich den Teufel an Gesellschaftswissenschaft und Schulweisheiten.
Aus reinem Spaß am Spiel, aus trotzigem Affront, Jux und Dollerei? Die Frage geht ins Leere, wie etwa die, warum junge Leute sich zu gewissen Zeiten zu Punk- oder Rockmusik bewegen, zu der Papenfuß natürlich Texte verfasst. Er sagt:
Ich sehe mich nicht als Experimentator an der Sprache, sondern das ist mein Leben.
Als sein erster Gedichtband erscheinen konnte, es war schon gegen Ende der DDR, und heute weiß man, dass auch solche Texte die dreist-aufrührerischen Sprechchöre und Spruchbänder von 89 vorskandierten, gab er ihm den Titel dreizehntanz, weil er mit dreizehn Manuskripten dreizehn Jahre warten musste, bis dieses Buch erscheinen konnte.
Aus penibel festgehaltenen Aktennotizen wissen wir heute genau, warum das so war: „verbildetes politisches Allgemeinwissen“, heißt es da, und dass „der zukünftige Mentor viel Geduld aufbringen müsse, ihn von […] einer Mischung aus kindischer politischer Gegnerschaft in pubertärer Punk-Lyrik verarbeitet mit einem Schuß Dadaismus und […] hemmungsloser Verachtung gegenüber der deutschen Grammatik […] abzubringen“. Resümee:
Die Sonettkunst von Becher sollte er studieren […]. Das was er bisher vorgelegt hat, ist für unser kostbares und knappes Papier zu schade.
Wir haben diese Empfehlungen allen künftigen Mentoren, die sich heute nicht im Verborgenen, sondern gern in öffentlichen Medien tummeln, dem 5. Band seiner gesammelten Texte beigelegt. Er hat den Titel TrakTat zum Aber, und an diesem widerständigen „Aber“ hat sich und wird sich vermutlich bei diesem Autor kaum etwas ändern.
Karl Mickel nennt Papenfuß einen Meister nicht-syntaktischer Grammatik. Und er führt dazu aus:
Unsern Satzbau haben geprägt die Spuren meißnischer Kanzleisprache im Lutherdeutsch; die große Vernunftphase, die Aufklärung, hat die letztlich lateinischen Wurzeln nochmals gekräftigt. Schiller nennt den Satz: der Period[…]; potz Luther, Schiller & Mann [Thomas Mann]: ich liebe dieses kalte Feuer. Aber es geht auch anders.
Ich habe dieses Zitat des Dichters Mickel natürlich nicht ohne Hinterlist gewählt, gibt es mir – zwanglos – die Möglichkeit, auf unseren Autor Detlef Opitz zu sprechen zu kommen, der sich nun eben diesem Lutherdeutsch widmet und mit der kräftigen Sprache dieses Mannes auch seiner inkomensurablen Figur: Luther, der Ketzer, der Reformator, der, wie unser Bundespräsident eben in Eisleben verkündet hat, nun tatsächlich allen Deutschen gehört, ein Mann, der seine christlichen Auffassungen von Gott und der Welt in deftigen Tischgesprächen offenbarte und den sich unser Autor dreist an seinen Tisch holt, den man sich auch als runden Tisch vorstellen kann, wie ihn Cranach gemalt hat, einen runden Abendmahlstisch. Man sehe und bestaune ihn im Lutherhaus zu Wittenberg, wo ihn uns Friedrich Schorlemmer, ein Rund-Tisch-Geselle ganz anderer aufrührerischer Zeit, stolz gezeigt hat. Zeitgeist also, aus dem dieses Buch sich herleitet, um mit der Gestalt – im Widerspiel zur Gegenwart – eine Epoche zum Tanzen zu bringen, weil uns dieser Luther doch nicht nur zu Jubiläumsjahren wichtig und wert sein sollte, ihn immer wieder zu Lob und Streit herauszufordern, wie es unser Scriptor will, in einem außergewöhnlichen Buch, in Sprüngen über die Jahrhunderte hinweg, zusammenfügt, was nicht leicht zusammengehört, Roman als Dialog, Erzählung, Historie und Legende, Märchen und Parabel, Collage und Persiflage, respektierlich, despektierlich, frech und froh und doch bei allem Spiel und Spektakel mit der Sprache, mit dem Hut in der Hand, Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, um nun doch einen seiner literarischen Vorfahren herbeizurufen.
„Klio, ein Wirbel um L.“ Auf furiose Weise kommt der freie, ungehemmte Umgang mit der Sprache, wie ihn mit Papenfuß die Prenzlauer-Berg-Connection fleißig geübt hat, auf unerwartete Weise zum Zuge, wenn er in die Sprach- und Sprechweise der Lutherzeit eintaucht, sie hernimmt, verballhornt, aber auch in ihrer verqueren und kräftigen Anmut aufklingen lässt, getreu dem Wahrspruch, frei nach Martinus:
Ein feste Burg ist unser Wort und Gott ein Wünschelgänger.
Rede im Leipziger Opernhaus anlässlich der literarisch-musikalischen Soiree zur Leipziger Buchmesse 1996, aus Gerhard Wolf: Herzenssache. Memorial – Unvergessliche Begegnungen, Aufbau Verlag, 2020
Sprachgewand(t) – Ilona Schäkel: Sprachkritische Schreibweisen in der DDR-Lyrik von Bert Papenfuß-Gorek und Stefan Döring
Heribert Tommek: „Ihr seid ein Volk von Sachsen“
Mark Chaet & Tom Franke sprechen mit Bert Papenfuß im Sommer 2020 und ein Auftritt mit Herbst in Peking beim MEUTERLAND no 16 | 1.5.2019, im JAZ Rostock
Kismet Radio :: TJ White Rabbit presents Bertz68BirthdaySession_110124_part 2
Lorenz Jäger: ich such das meuterland
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.1.2016
Zeitansage 10 – Papenfuß Rebell
Jutta Voigt: Stierblut-Jahre, 2016
Thomas Hartmann: Kalenderblatt
MDR, 11.1.2021
Nachruf auf Bert Papenfuß bei Kulturzeit auf 3sat am 28.8.2023 ab Minute 27:59
Bert Papenfuß liest bei OST meets WEST – Festival der freien Künste, 6.11.2009.
Bert Papenfuß, einer der damals dabei war und immer noch ein Teil der „Prenzlauer Berg-Connection“ ist, spricht 2009 über die literarische Subkultur der ’80er Jahre in Ostberlin.
Bert Papenfuß, erzählt am 14.8.2022 in der Brotfabrik Berlin aus seinem Leben und liest Halluzinogenes aus TrakTat zum Aber.
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