Dichtung als Schwarzkunst
Teil 12 siehe hier …
Das Bedeutungsregister der Farbe Schwarz ist ebenso breit aufgefächert wie jenes von Weiss, hat aber eine grössere Affinität zur Begriffs- und Gefühlswelt als zu konkreten Dingen.
Konkret verbindet sich die Vorstellung von Schwarz am ehesten mit Kohle, mit Blei, mit Ebenholz, mit dem Raben, mit Kirschen und mit besonders dunklen oder besonders «heissen», also begehrlichen oder sehnsüchtigen Augen. Dazu kommen, schon weniger konkret, der Schatten, die Nacht, die Ohnmacht. Indes scheint das eschatologische Bild der «schwarzen Sonne», das in der europäischen Dichtung zwischen Gérard de Nerval und Ossip Mandelstam zahlreiche Varianten kennt, im deutschsprachigen Bereich kaum Spuren hinterlassen zu haben.
Einen kleinen lyrischen Katalog alltäglicher Vorstellungen und Redewendungen mit Bezug auf Schwarz bietet Karl Krolow in einem seiner späten Gedichte («Schwarz», 1992):
Schwarz wie Anarchie.
Unter Nägeln das Schwarze.
Ich vergass es nie:
schwarzer Marmor wie
versteinerte Melodie
sich löste als Lied der Parze.
Und schwarz die Augen, die sie
hatte unterm Knie
das Muttermal. Und des schrie
jemand um Hilfe. – Verzieh
je jemandem was?
Lass mich am Leben, lass
mir die sanfte Onanie.
Dasein, das traf ins Schwarze.
… Fortsetzung am 28.9.2024 …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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