Kehraus mit Celan
Eine revisionistische Lektüre
Teil 13 siehe hier …
So oder anders beruht dieses assoziative Verfahren auf der magischen Vorstellung, wonach sprachliche Klangähnlichkeit stets eine geheime Bedeutungsverwandtschaft begründe oder eine solche wenigstens signalisiere. Celan nutzt diesen Effekt in Form unterschiedlichster An- und Gleichklänge, mit besonderer Berücksichtigung des Stab- und Binnenreims: «Geengelt | steht die Geschichte | zum geknechteten Knecht», «lötig, läutig», «gerheinigt, gereinigt» (von Rhein/rein), «ein Erbost und Getrost», «entdinglichte Welt, er- | fürchtet, erwirklicht», «Merzende … Entmerzte», «Keinerlei Kleinzeit | Komplize» (k-k-k, ei-ei-ei-ei), «zu einerlei, steinerlei | Freiheit» (erl-erl, ei-ei-ei), «bei den Radiär-Räten». Usf.
Keine der zahllosen Assonanzen bei Celan ist von und in der Sprache vorgeben, jede einzelne wurde synthetisch bewerkstelligt, ist ein Kunstprodukt und will dennoch irgendwie naturhaft sein, gleichsam ursprachlich. Selbst die triviale Reimpaarung Herz :: Schmerz setzt der sonst so innovationsfreudige Autor ein, um die lautliche Übereinstimmung der Begriffe als Beleg für die Übereinstimmung von «leben» und «leiden» auszuweisen. – Auch die Expressionisten, Futuristen, Dadaisten hatten sich dies zum Programm gemacht, freilich nicht in hermetischer Absicht, vielmehr zur Verblüffung und Provokation des Publikums. Celan wiederum tut es durchwegs im Dienst seiner individuellen Dichterrede, die er als Geheimrede mit unbekanntem Code inszeniert – sein Gedicht sagt, so könnte man meinen, indem es sich versagt; indem es dem unmittelbaren sprachlichen Ausdruck (dem Wort als solchem, als Klangereignis, als Wahrnehmungsdatum) Vorrang gibt vor jeder mitteilenden Aussage. Doch «Versagen» kann – als intransitives deutsches Verb – bekanntlich noch etwas anderes bedeuten: scheitern, ausfallen, nicht genügen u.a.m.
In Bezug auf Paul Celans Gesamtwerk sollte, von dieser Mehrfachbedeutung ausgehend, die Nachfrage erlaubt sein, ob und inwiefern seine Gesprächsverweigerung (bei gleichzeitig fortbestehendem Gesprächsangebot) als ein literarisches «Versagen» zu werten ist; die Frage also, ob der von ihm durchgängig so meisterlich praktizierte Hermetismus am Ende nicht doch nur Ausdruck eines Unwillens, sondern auch einer Unfähigkeit gewesen ist? Der Unfähigkeit nämlich, Erfahrenes, Erlittenes, Erkanntes adäquat zur Sprache zu bringen? Oder vielleicht der Unfähigkeit, darüber zu schweigen?
In einem seiner nachgelassenen Gedichte scheint er dies aus der Position eines Supervisors seiner selbst zu bestätigen: «… soviel rennt mich an | mit Gerede, | dass ich zuweilen spreche | wie einer, der redet, | dass ich zuweilen | spreche wie einer, | der schweigt.» Und ein Gleiches besagt ja auch sein Pseudonym (Celan – ein Silbenpalindrom seines Familiennamens Ančel), das durch lautliche Assoziation unverkennbar das lateinische «celare» evoziert, das Wort für «verheimlichen», «verbergen», «verhehlen»: Hier wird der Dichtername zur bedeutungsträchtigen Signatur – Geheimnis und Offenbarung zugleich.
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
Schreibe einen Kommentar