Dass der Mensch, wie Blaise Pascal notiert, das ist, was den Menschen «unendlich übersteigt», bleibt eine der tiefsten, wiewohl unbegreiflichsten Wahrheiten über den Menschen; ebenso tief und unbegreiflich und doch so naheliegend sein Gedanke, wonach das Unbegreifliche zugleich das Sinnreichste sei. Im Denken des (dem Menschen) Wesentlichen gibt es keinen Fortschritt – die Alten, die Fernen, die Dortigen und Jenigen haben alles, worum es im Leben wesentlich geht, immer schon «wahr» genommen, und die kleine Form der Sentenz, des Aphorismus, des Fragments, der Parabel hat zu dessen sprachlicher Fassung ausgereicht. Dass Pascals Gedanken trotz all den unsäglichen Sophistereien, den desolaten Gedenkenspielen und paradoxalen Gottesbeweisen, die doch kaum je einen noch heute relevanten Wirklichkeitsbezug aufweisen, kaum je ans Leben rühren, so grandios, so absolut tröstlich sein können, hat mit jenem unbegreiflichen Sinnreichtum zu tun und damit, wie er, ohne begrifflich festgemacht zu werden, zur Sprache kommt. Noch so gern fühle ich mich nach der Lektüre solcher Gedanken als «unendlich überstiegner Mensch» der Menschheit wieder zugehörig. Der ewig leidende Pascal, der ewig verzweifelnde Kafka, der ewig hadernde Cioran – sie gehören zu jenen dunklen Gestalten, von denen ich mich am ehesten erhellt fühlen kann. Das tiefste Ungemach des Lebens zu konterkarieren durch die disziplinierte Geste des Schreibens, es zu transzendieren kraft formaler Bewältigung, das ist ihr bleibendes Werk.
aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern
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