«Thomas Mann», sagt ein Kritiker in der TV-Runde, «wäre auch ohne den Zauberberg Thomas Mann gewesen.» – «Er wäre aber», wirft der Diskussionsleiter ein, «nicht zu Thomas Mann geworden.» Ohne den Zauberberg und die übrigen Romane, ohne die Erzählungen, die Essays, die Tagebücher, so könnte man demnach vermuten, wäre der Name «Thomas Mann» nicht zum Pseudonym für sein Werk geworden. Glauben wir doch, wenn wir den Zauberberg oder Tod in Venedig lesen, tatsächlich «Thomas Mann» zu lesen. Der Autorname wird, als Metonymie verwendet, gleichsam zum Werktitel, steht dann also nicht mehr für die zivilrechtlich oder biographisch fassbare Person des Autors, sondern nur noch für das, was jene Person geschaffen, hinterlassen hat und was sie, eben deshalb, selbst nicht sein kann.
Bekannt ist allerdings die Tendenz mancher Autoren, sich mit ihrem Werk zu identifizieren und darauf zu beharren, ohne zu schreiben nicht leben zu können – die Schreibbewegung wird auf solche Weise als Überlebensgeste praktiziert und womöglich überschätzt.
Vielleicht gewinnt von daher das absurde Bonmot Heinrichs des Seefahrers unversehens einen Sinn: navigare necesse est, vive re non est; oder frei ins Deutsche extrapoliert: schreiben heisst geschrieben werden.
Wer keinen Zauberberg und keinen Joseph-Roman geschrieben hat, wird demzufolge auch kein «Thomas Mann» geworden sein und ist als solcher nicht zu lesen. Möglich aber doch, dass irgendwo – in dieser Zeit – ein Mann namens «Thomas Mann» ein zufriedenes Leben führt, zufrieden schon deshalb, weil er nie einen Zauberberg geschrieben, vielleicht auch nie den Zauberberg gelesen hat.
aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern
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