– Zu Jan Wagners Gedicht „saint-just“ aus Jan Wagner: Guerickes Sperling. –
JAN WAGNER
saint-just
To the like effect, or still more plainly, spake young
Saint-Just, the black-haired, mild-toned youth.
Thomas Carlyle: The French Revolution, Vol. III
„das wahre glück: den unglücklichen helfen“.
ein satz von meiner hand. mit idealen,
mein freund, bist du so einsam unter menschen
aaaaawie die axt im wald.
der citoyen prudhon hat ein portrait
von mir geschaffen. mein gesicht darauf
so fein und transparent – fast sieht man sie,
aaaaadie wand dahinter.
die nationalversammlung und das pult,
das seiner redner harrt: ein falsches wort,
ein laut zuviel nur, und der beifall rauscht
aaaaaals fallbeil herab.
Das kurze Gedicht „saint-just“ steht in Jan Wagners 2004 publiziertem Gedichtband Guerickes Sperling.1 Die meisten Gedichte dieser Sammlung handeln von Orten und Landschaften, einige wenige widmen sich historischen Figuren.
Das Bild Saint-Justs in Geschichtsschreibung und Literatur
Louis-Antoine-Léon de Saint-Just war eine der schillerndsten Gestalten der Französischen Revolution. Im August 1767 in Decize als Sohn eines Kavalleriehauptmanns geboren, absolvierte er, nach dem Besuch der Schule und einem halbjährigen Aufenthalt in einer Erziehungsanstalt,2 das Studium der Rechtswissenschaften in Reims und arbeitete zunächst in einer Anwaltskanzlei. Die Feier des einjährigen Revolutionsjubiläums erlebte er in Paris als Vertreter der Region von Blérancourt; dort gelang es ihm, den bewunderten Robespierre für sich zu interessieren. 1791 schrieb er die Abhandlung „Esprit de la Révolution et de la Constitution“, in der er die Tugend verherrlichte und einen strikten Republikanismus vertrat. 1792 wurde er als Abgeordneter von Aisne in den Nationalkonvent gewählt. Als Redner legte er sich die Attitüde „schneidender Unnahbarkeit“ zu.3 Unbarmherzig betrieb er die Hinrichtung des Königs Ludwig XVI. und verfocht ein dezidiert republikanisches Verfassungskonzept. Ende Mai wurde er Mitglied des berüchtigten Wohlfahrtsausschusses. In gewisser Hinsicht vertrat Saint-Just noch radikalere Positionen als sein Lehrmeister Robespierre. Es verstand sich daher, dass er die Anhänger Dantons und Héberts bekämpfte und maßgeblich zu deren Hinrichtung beitrug. Als der Nationalkonvent gegen die von Robespierre geforderte Verschärfung des Terreur opponierte, stellte sich Saint-Just in der Konvents-Sitzung vom 9. Thermidor (27. Juli 1794) mit Entschiedenheit an die Seite Robespierres. Beide wurden verhaftet und ohne Gerichtsverfahren am nächsten Tag guillotiniert. Soweit die nüchternen Fakten.4
Was Saint-Just über die kurze politische Wirksamkeit an der Seite Robespierres hinaus für die Nachwelt und für die Literatur interessant machte, war der von ihm vertretene unerbittliche Republikanismus. Stärker noch als der eher pedantische Robespierre verkörperte er den düsteren Geist des Radikalismus. In seinem öffentlichen Auftreten eignete dem jungen Mann offenbar eine magische Ausstrahlung. Er ging – wie es in einem Artikel heißt – als „Todesengel der Revolution“ in die Geschichte ein.5 Wichtiger als einzelne historische Fakten ist für die zeitüberdauernde Imagebildung allerdings das Bild, das sich die Historiographie und die Literatur von Saint-Just gemacht haben. Hierfür waren vor allem zwei Geschichtswerke bedeutsam: Die überaus einflussreiche Darstellung von Thomas Carlyle The French Revolution: A History (1837) und die monumentale Monographie von Jules Michelet: L’Histoire de la Revolution française (7 Bände, 1847–1853). In beiden Werken erscheint Saint-Just als ebendieser düstere Todesengel, zwar von sanfter Erscheinung, aber, diese geradezu negierend, von gefühlloser Entschlossenheit. Carlyle schildert sein erstes Auftreten:
Young Saint-Just is coming, deputed by Aisne in the North; more like a Student than a Senator; not four-and-twenty yet; who has written Books; a youth of slight stature, with mild mellow voice, enthusiast olive-complexion and long black hair.6
Ein andermal zitiert er Saint-Justs Ausspruch „I carry my head like a Saint-Sacrament.“7 In der entscheidenden Sitzung, in der über die Hinrichtung Ludwigs XVI. entschieden wurde, schloss Saint-Just sich den Argumenten Robespierres an, überbot aber dessen Konsequenz.
An oration admired almost to ecstasy by the Jabobin Patriot: who shall say that Robespierre is not a thorough-going man; bold in Logic at least? To the like effect, or still more plainly, spake young Saint-Just, the black-haired, mildtoned youth.8
Dieses Zitat hat Jan Wagner seinem Gedicht als Motto vorangestellt und bezieht sich daher auf die traditionelle Ikonographie.
Jules Michelet zeichnet ein ähnliches Bild. In Saint-Justs Rede über die Notwendigkeit der Hinrichtung des Königs erstaunte die Grausamkeit:
Par un contraste choquant, elles sortaient, ces paroles froidement impitoyables, d’une bouche qui semblait féminine. […] Mais le plus étrange était son allure, d’une roideur automatique qui n’était qu’à lui. La roideur de Robespierre n’était rien auprès. Tenait-elle à une singularité physique, à son excessif orgueil, à une dignité calculée? Peu importe. Elle intimidait plus qu’elle ne semblait ridicule. On sentait qu’un être tellement inflexible de mouvement devait l’être aussi de cœur. Ainsi, lorsque, dans son discours, passant du Roi à la Gironde et laissant là Louis XVI, il se tourna d’une pièce vers la droite, et dirigea sur elle, avec la parole, sa personne tout entière, son dur et meurtrier regard, il n’y eut personne qui ne sentit le froid de l’acier.9
Ce discours eut sur le procès un effet énorme, un effet que Robespierre sans doute n’avait pas deviné lui-même; autrement, il eût hésité à donner au jeune disciple l’occasion de planter le drapeau si loin en avant. La brutalité violente de l’idée, la forme classiquement déclamatoire, la dureté magistrale, tout enleva les tribunes. Elles sentirent la main d’un maître, et frémirent de joie.10
Diese offenkundige Selbstinszenierung war nur Ausdruck seines radikalen Denkens, das sich auch in seinen Schriften und Reden rigoros manifestiert. Die bekannten, leicht im Internet abrufbaren Sentenzen bestätigen den Eindruck, den sein öffentliches Auftreten verhieß. Sie entstammen seinen Abhandlungen und Reden.11 An seiner Entschlossenheit lässt er keine Zweifel aufkommen:
J’ai laissé derrière moi toutes ces faiblesses; je n’ai vu que la vérité dans l’univers.12
Les circonstances ne sont difficiles que pour ceux qui reculent devant le tombeau.13
Le jour où je me serai convaincru qu’il est impossible de donner au people français des moeurs douces, énergiques, sensibles, et inexorables pour la tyrannie et l’injustice, je me poignarderei.14
Er betont mehrfach, dass ein Revolutionär nicht auf halbem Wege stehen bleiben dürfe:
Ceux qui font des révolutions dans le monde, ceux qui veulent faire le bien, ne doivent dormer que dans le tombeau.15
Ce qui constitue une République, c’est la destruction totale de ce qui lui est opposé.16
Ceux qui font des révolutions a moitié n’ont fait que se creuser un tombeau.17
Von der Befreiung der Menschen aus den feudalistischen Zwangsverhältnissen erhofft er sich eine Ausbreitung der Liebe zur Tugend und des allgemeinen Glücks:
Que l’Europe apprenne que vous ne voulez plus un malheureux ni un oppresseur sur le territoire français; que cet exemple fructifie sur la terre; qu’il y propage l’amour des vertus et le bonheur! Le bonheur est une idée neuve en Europe.18
Die wenigen Zitate erweisen Saint-Just als einen radikalen Republikaner, der nicht davor zurückschreckte, die Feinde der Republik zu vernichten. Es gab bei ihm keine Divergenz zwischen Theorie und Praxis.
In Deutschland hat Friedrich Nietzsche in seinem 1862 entstandenen Gedicht dieses Bild des grausamen Todesengels aufgegriffen und die Deutung Saint-Justs als eines teuflischen Dämons initiiert.
SAINT-JUST
Du kennst den bleichen, hagern Mann:
den Schultern schmiegt das schwarze Haar,
das lange, glatte leicht sich an,
und Blicke wirft er wunderbar,
so tief und seltsam, schmerzdurchwühlt,
als hielt’ sein Herz ein arger Bann.
Und was das Auge weint und fühlt,
das lodert, wie ein Flammenstrom,
und glüht, ein schrecklich Opferfeuer,
in seiner Rede stolzem Dom,
erst leise, fernher, wie ein scheuer
Lichthauch die Wände übergießt,
bis im hochroten, grellen Schimmer
rings alles ineinanderfließt
und toll im Hexentanzgeflimmer
gliederverzerrt vorüberschießt.
Du stehst erstarrt und folgst von ferne
zum Abgrund, drein er ruft: Ihr müßt!
Über dir schwinden schon die Sterne:
du folgst dem teuflischen Saint-Just.19
Bekräftigt wurde in Deutschland das negative Bild in der populären, 1935 erschienenen Robespierre-Biographie von Friedrich Sieburg. Er vergleicht Saint-Just mit einem „stählernen Wind“,20 einer eiskalten Rächergestalt21 und kommt zum Gesamturteil:
Niemals wird die Welt mit ihrem Staunen über diesen Jüngling zu Ende kommen, niemals wird sie sich zwischen der scheuen Bewunderung seiner Größe und dem Entsetzen über seine Unmenschlichkeit entscheiden können. Saint-Just ist nicht von dieser Welt, aber niemand kann sagen, ob er dem Reich des Todes entstiegen ist, um die Menschen an die Hinfälligkeit ihrer Lust und ihrer Hoffnungen zu mahnen […].22
Noch in jüngster Zeit hat die englische Historikerin Marisa Linton Saint-Just auf ähnliche Weise charakterisiert:
For many people, Saint-Just, even more than Robespierre, embodies the revolution itself: young, full of feverish energy, courage and idealism, but, like the revolutionary Terror, capable of sacrificing human lives, including his own, to make the ideal a reality.23
Übersteigert hat diese Metaphorisierung als Todesengel der Schriftsteller Martin Mosebach in seiner Rede zur Verleihung des Büchnerpreises, wenn er Parallelen zieht zwischen dem „Reichsführer-SS“ Heinrich Himmler und Saint-Just als einem der für den „Großen Terror“ von 1794 Verantwortlichen. Dieser Vergleich hat – zu Recht – heftigen Widerspruch ausgelöst. Guillotine und Gaskammer liegen doch auf zwei verschiedenen Ebenen, ganz abgesehen davon, dass die Ziele beider ganz unterschiedlich waren: rassistisch verblendet der eine, republikanisch fanatisiert der andere.24 Ein Schlaglicht auf die Bedeutung Saint-Justs wirft immerhin die Tatsache, dass sich noch in neuerer Zeit eine fast 850 Seiten starke Dissertation seinem Wirken widmet.25
Diese knappe Musterung der Rezeptionszeugnisse demonstriert, in welcher Deutungstradition sich ein Dichter notwendig befindet, der sich der historischen Gestalt Saint-Justs zu nähern versucht.
Sach-Kommentar
Das Gedicht ist ein Monolog Saint-Justs. Er spricht darin einen Freund an und charakterisiert sich und seine politische Position.
Die erste Strophe wird von einem Zitat Saint-Justs eröffnet. Rudolf Bussmann geht in seiner Interpretation des Gedichts im Rahmen der Internet-Serie „Wochengedicht“ stillschweigend davon aus, dass es sich bei diesem „schönen Zitat“ um einen authentischen Satz von Saint-Just handelt, identifiziert es jedoch nicht.26 In den Schriften und Reden Saint-Justs findet sich dieses Zitat nicht. Jan Wagner, nach Herkunft und Modus des Zitats befragt, ob es sich um ein wörtliches Zitat handle oder um eine Art „Komprimierung“ von Saint-Justs altruistischen Idealen, antwortete:
[…] Und so gern ich Ihnen verraten würde, wo ich das Zitat seinerzeit gefunden habe (war es womöglich Carlyle, dessen Werk ja auch vorab genannt wird?) – ich weiß es nicht mehr, kann den Schreibprozeß bei diesem Gedicht heute nicht mehr nachvollziehen, ja, ich vermag nicht einmal mit Sicherheit zu sagen, ob ich den Satz nicht doch tatsächlich selbst formuliert und Saint-Just in den Mund gelegt habe. (Brief vom 25.4.2016)
Offenbar ist es ein fiktives Zitat. Sein altruistischer Inhalt widerspricht nämlich allem, was Saint-Just geschrieben und geredet hat. Saint-Just war ein Theoretiker und Pragmatiker der Macht, der eine auf den Prinzipien der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – basierende Republik mit allen Mitteln errichten wollte. Zu diesem Zweck ging er gnadenlos über Leichen. Dass ihn das Wohlergehen oder gar das Glück von Individuen hätte interessieren sollen, liegt gänzlich außerhalb seines Denkens. Zwar scheint der aus seiner im Konvent gehaltenen Rede vom 3. März 1794 stammende Satz „Le bonheur est une idée neuve en Europe“ in diese Richtung zu deuten.27 Doch bezieht sich sein Konzept des „bonheur“ auf das Wohl der im Staat versammelten Gemeinschaft und nicht auf das humanitäre Wirken des Einzelnen.28 Für das Glück der Gesellschaft spielt das Individuum keine Rolle. Was für eine Funktion hat aber das Saint-Just in den Mund gelegte Zitat im Gedicht selbst? Er charakterisiert sich als einen Idealisten. Die Einsamkeit des Idealisten vergleicht er mit der redensartlichen „axt im walde“. Wer sich wie die Axt im Wald aufführt, gilt als unhöflich und ungehobelt. Das ist keine Ironie, sondern bittere Selbsterkenntnis und spricht die zerstörerische Komponente im Idealismus an: Der Idealist muss erst destruieren, ehe er konstruktiv wirken kann. Saint-Just verficht hier die Auffassung von der Notwendigkeit der Gewalt. Zuerst muss „aufgeräumt“ werden, ehe die ethischen Ideale in die Praxis überführt werden können. Die Einsamkeit ist der Preis, den er für seine durch Gewalt geprägte „Methode“ zahlen muss.
Indem Jan Wagner dem tradierten Saint-Just-Bild vom eiskalten Engel die Selbstsicht vom Idealisten gegenüberstellt, relativiert er es zugleich. Historisch belegte Außensicht und dichterisch hypostasierte Innensicht ergänzen einander, konstituieren erst ein Ganzes. Das gewonnene ,Selbstbild‘ ist von den historischen Fakten nur scheinbar abgekoppelt – vielmehr erschließt es in intuitiver Annäherung eine transfaktuale Dimension.
Die zweite Strophe widmet sich dem Aussehen des Revolutionärs. Es gibt von Saint-Just mehrere Porträts und eine Büste. Das bekannteste Bild hat Pierre-Paul Prud’hon (1758–1823) gemalt. Es zeigt das Gesicht eines jungen Mannes mit wachen Augen und voller brauner Lockenmähne. Beim hoch geschlungenen Halstuch hatten bereits seine Feinde spekuliert, er trage sie, um dahinter Skrofeln zu verbergen:
L’énorme cravate serrée, que seul il portait alors, fit dire à ses ennemis, peutêtre sans cause, qu’il cachait des humeurs froides. Le col était comme supprimé par la cravate, par le collet roide et haut; effet d’autant plus bizarre que sa taille longue ne faisait point du tout attendre cet accourcissement du col. Il avait le front très-bas, le haut de la tête comme déprimé, de sorte que les cheveux, sans être longs, touchaient presque aux yeux.29
Was meint die Wand? Bussmann deutet sie metaphorisch „als Wand, gegen die Saint-Just anrennt“ oder „an die er selber seine Gegner anrennen lässt“.30 Zunächst handelt es sich jedoch um die „Leinwand“, die wegen der transparenten Farbgebung des Bildes durch die zart aufgetragene Ölfarbe durchscheint. Natürlich kann man diese vordergründige Beobachtung um eine geistige Dimension ausweiten und die „Wand“ als geistige Wand, als Mauer, die einen starken Wall gegen die Feinde der Republik bildet, interpretieren. Zwingend ist diese Deutung nicht. Eher bietet sich die Wand als Symbol für das Unbeschriebene bzw. Unbemalte an, als ein Reinzustand der Materie, aus dem erst der Maler mit seinen feinen Pinselstrichen ein Bildnis erschafft. Insofern bezeichnet die Wand das Nichts, das sich vor der Erschaffung des Saint-Just-Porträts dem Betrachter zeigt. Der Maler ist der Schöpfer des Image, auch er prägt die historische Rezeption der Saint-Just-Gestalt.
In der dritten Strophe kommt Saint-Just auf seine Hauptaktivität als Redner zu sprechen. Es gibt für den Redner zweierlei zu beachten: das Auditorium und das Rednerpult. Er weiß, angesichts der emotional aufgeheizten Zuhörer, dass hier jedes Wort eine Rolle spielt – und zwar bereits in seiner ersten Rede, als er für die Hinrichtung Ludwigs XVI. Plädierte:
Ses paroles, lentes et mesurées, tombaient d’un poids singulier, et laissaient de l’ébranlement, comme le lourd couteau de la guillotine.31
Seine Art und Weise zu sprechen erweckte den Eindruck unerhörter und gefühlskalter Grausamkeit.
Natürlich resultiert die Saint-Just zugeschriebene Reflexion über die Gefährlichkeit der Rednerposition aus dem Wissen um sein Ende. In der Sitzung des Nationalkonvents vom 9. Thermidor kam Saint-Just nicht mehr über die ersten Sätze seiner (posthum hochgelobten) Rede hinaus, ehe er niedergeschrien wurde. Der Beifall, den er sonst für seine scharfen Reden erntete, verkehrte sich in wütenden Widerstand, verwandelte sich quasi in ein Fallbeil. Der Tod durch die Guillotine war damit programmiert.
Jan Wagners poetologische Ansichten
Jan Wagner hat sich in verschiedenen Essays mit der Poetik des modernen Gedichts beschäftigt. Versammelt sind seine wesentlichen Ausführungen in dem 2011 erschienenen Essayband Die Sandale des Propheten. Wagner ist studierter Anglist; das erklärt auch seine Vorliebe für englische und amerikanische Lyriker, insbesondere für Walt Whitman und William Carlos Williams.32 Mit Williams teilt er den unverkrampften Umgang mit der poetischen Tradition. In Deutschland trennte man jedenfalls immer rigide zwischen ungebildeten Naturtalenten und poetae docti, wobei das „doctus“ sowohl in formaler wie in inhaltlicher Hinsicht definiert werden kann. ,Formal gelehrt‘ meint also einen Lyriker, der auf tradierte Formen wie Sonett, Villanelle oder antike Odenforrnen zurückgreift, ,inhaltlich gelehrt‘ einen Lyriker, der in den Wissenschaften firm ist oder sich eben mit philosophischen oder wissenschaftlichen Themen beschäftigt. Beispiele für formale Gelehrsamkeit bieten Odendichter wie August von Platen oder Josef Weinheber, Beispiele für inhaltliche Gelehrsamkeit der vielgenannte Gottfried Benn oder der mathematisch-naturwissenschaftlich engagierte Hans Magnus Enzensberger. In Deutschland hatte sich gegen die ausschließlich formale Gelehrsamkeit, die früher zur rhetorischen Ausbildung eines jeden Dichters gehörte, bereits im 18. Jahrhundert eine Opposition gebildet. Seit dem Sturm und Drang, in dem das Genie-Ideal aufkam, galt nämlich die formale Beherrschung von Kunst nur als Handwerk und wurde manchmal geradezu in einen Gegensatz zum naturgewachsenen Genie gestellt. Diese strikte Zweiteilung ist in der angelsächsischen Tradition unbekannt.33
Ähnlich Durs Grünbein verhält sich Jan Wagner offen gegenüber der europäischen Lyrik-Tradition. Was er als für die neue Lyriker-Generation typisch hält, das gilt auch für ihn selbst; er ist ein Kenner „der Traditionen, die technisches Unvermögen und Naivität vermeiden hilft“, und er befleißigt sich einer „Unverkrampftheit im Umgang mit einst unvereinbaren Gegensätzen“.34 Im selben Essay spricht er von der „Feinmechanik des Gedichts“, deren Reflexion dem Schreibprozess vorangehen soll.35 Wagners zufolge verhindert dieses Verfahren den Einbruch von Willkür und ermöglicht ein paradoxes Nebeneinander spielerischer und strenger Form-Elemente.36 Besonders im Essay „Vom Pudding“ entwickelt er sein eigenes poetologisches Credo. Form ist eine für Wagner zentrale Kategorie: Die Zeiten des streng fixierten (und lehrbaren) Formenkanons sind für ihn zwar vorüber, dennoch hat Form, richtig verstanden, auch für moderne Lyrik eine bindende Funktion. Form bedeutet für ihn zum einen das Arsenal aller „Regeln und Regelmäßigkeiten, die nicht der individuelle Dichter, sei er nun ein Genie oder ein Konstrukteur, aufstellt, sondern die als Summe aller zuvor gemachten formalen Erfahrungen an ihn weitergereicht werden: der Formenkanon also mit den klassischen Kategorien Vers, Metrik und Strophe, kurz, die lingua franca all derer, die sich mit Dichtung auseinandersetzen, theoretisch oder praktisch.“37 Zum andern gibt es für ihn die „innere Form, die formale Stimmigkeit eines jeden Gedichts, unabhängig von etablierten Maßstäben, nur […] dem eigenen Vorhaben verpflichtet und dem Verhältnis der einzelnen Zutat zum Gedichtganzen“. Als drittes Element dieses Form-Verständnisses nennt Wagner „all die Techniken, die dafür sorgen, daß es zur gültigen Bündelung von Bild, Klang und Idee auf engstem sprachlichen Raum, daß es also zum Gedicht kommt, mit anderen Worten die Metaphorik, die Motive und ihre Entwicklung, die gedankliche Verknüpfung“.
Wagner sagt sich damit nicht etwa gänzlich vom Inspirationsmodell los, aber er betont in geradezu rhetorisch-barocker Argumentation die Bedeutung des Handwerkszeugs auch für den modernen Lyriker. Oberster Maßstab bleiben für den Lyriker jedoch Innovation und Stimmigkeit des komplexen Sprachgebildes.38 In der Gegenwartslyrik erkennt er zwei Gruppierungen: zum einen die sprachorientierten Lyriker, zum andern die inhaltsbetonten. Bei den einen ist „die Spracharbeit ein sichtbarer programmatischer Bestandteil des endgültigen Gedichts“, sie widmen sich der „Darstellung des dichterischen Prozesses“, „der Reflexion des Materials Sprache, ihrer Möglichkeiten und Unmöglichkeiten“ und sie befassen sich mit Sprachexperimenten. Bei den andern spielen die „Welthaltigkeit“ und die Adressatenschaft die größere Rolle. Der Selbstreferenz der einen steht bei den andern die Weltreferenz gegenüber. Sie kann sich auf unterschiedliche Weise manifestieren, in Sujets aus Geschichte, Natur oder Alltagsleben. Welche Variante der Lyriker auch bevorzugen möchte, entscheidend für Wagners Poetik ist die Aussage:
[ … ] jedes gute Gedicht bedeutet eben auch, daß es auf Originalität, auf Verrückung, auf eine spürbare Verschiebung des Blickwinkels bedacht ist. Das ist auf inhaltlicher wie auf sprachlicher Ebene möglich, im Idealfall geschieht es auf beiden.39
Der Dichter sollte, auf welchem Weg auch immer, „poetisches Neuland“ betreten, er sollte vom Bekannten „ins Unbekannte, Unerhörte, Neuartige“ zielen.40
Jedes Gedicht ist eine Irritation, weil es die Dinge so faßt und sagt, wie sie nie zuvor gefaßt und gesagt worden sind.41
Dabei erscheint ihm der „Verzicht auf die tradierten Formen“ wie eine „Einbuße an Freiheit“. Ähnlich wie Oskar Pastior, John Ashbery, Durs Grünbein oder Norbert Hummelt stellt Wagner sich damit in die Reihe der Lyriker, die bewusst auf die überlieferten Formen zurückgreifen. Nicht um sie unverändert zu reproduzieren, sondern um sie produktiv weiter zu entwickeln. Die Erkenntnis, dass das „Wissen um die Eigenarten dieser alten Formen […] den gestalterischen Freiraum“ erweitert, ist für Wagner ein gestalterisches Prinzip, das für ihn dem reinen Sprachexperiment ergänzend zur Seite steht. Es handelt sich für ihn nicht um eine regressive Alternative zur freien Form, sondern um eine „selbstverständliche Erweiterung des freien Formbegriffs“.42 Die Innovation, die für ihn unabdingbar zum Wesen neuerer Lyrik gehört, manifestiert sich in solchen poetischen Praktiken als Veränderung der tradierten Form, als „Überraschung“, als „Widerspruch“ oder als „Regelbruch“. Im gleichen Sinn argumentiert Wagner im Essay „Das Stück Eis auf dem Ofen“. Hier deklariert Wagner:
Ein Gedicht ist beides zugleich, kunstvolles Regelwerk und kunstvoller Regelbruch.43
Er weiß aber auch um die Gefahren einer solchen Einstellung, weil sie leicht Freunde im falschen Lager anzieht – nämlich die Epigonen, die auf „Wiederherstellung des Status quo von Anno dazumal“ drängen, und weil sie sich der Missachtung durch die fortschrittsgläubigen Literaten aussetzt. Er plädiert daher für ein „Nebeneinander der Stile und Möglichkeiten.44 Der Lyriker soll für das Neue aufgeschlossen sein, zugleich aber auch die Traditionen im Blick behalten.
Die äußere Form des Gedichts
Folgt man Jan Wagners Terminologie, so handelt es sich beim Gedicht „Saint-Just“ um ein Beispiel aus der „inhaltsbetonten“ Sprechweise. Das Sujet stammt aus der Geschichte. Die Form des ungereimten Strophengedichts ist von der Tradition vorgegeben. Genau genommen legt Wagner eine Sapphische Ode zugrunde, die aus drei elfsilbigen Versen und einem fünfsilbigen Vers besteht. Freilich ist in der antiken Prosodie die Folge langer und kurzer Silben streng geregelt. In der seit Klopstock eingebürgerten Umsetzung antiker Sprechweise in deutsche Sprechweise, wonach antike lange Silben im Deutschen betonten Silben und antike kurze Silben im Deutschen unbetonten Silben entsprechen, besteht die Betonungsfolge der Sapphischen Ode aus folgendem Muster, wobei das metrische Zeichen – in griechischer und lateinischer Sprache eine lang gesprochene Silbe, das Zeichen ∪ eine kurz gesprochene Silbe bezeichnet.
– ∪ | – ∪ | – ∪ ∪ | – ∪ | – ∪
– ∪ | – ∪ | – ∪ ∪ | – ∪ | – ∪
– ∪ | – ∪ | – ∪ ∪ | – ∪ | – ∪
– ∪ ∪ – ∪
Es gibt im antiken Versmaß auch die ambivalente Silbe ∪, die lang oder kurz gesprochen werden kann. August von Platen hat auch diese im Deutschen nachzubauen versucht. Im Allgemeinen aber werden solche ambivalenten Silben im Deutschen wie unbetonte Silben behandelt.
– ∪ | – ∪ | – ∪ ∪ | – ∪ | – ∪
– ∪ | – ∪ | – ∪ ∪ | – ∪ | – ∪
– ∪ | – ∪ | – ∪ ∪ | – ∪ | – ∪
– ∪ ∪ | – ∪
Wie handhabt Wagner die Sapphische Ode? Dass es sich um eine solche handelt, geht eindeutig aus der Anordnung der Zeilen hervor: Vers 1 bis 3 sind sogenannte Sapphische Hendekasyllabi [Elfsilbler] (genauer zwei trochäische Dipodien mit eingeschobenem Daktylus), Vers 4 ein Adoneus, eine akatalektische Dipodie aus Daktylus und Trochäus. Aber sind sie es in Wirklichkeit? Tatsächlich hält sich Wagner lediglich an die Silbenzahl, die Betonungsfolge weicht jedoch gravierend von der Ordnung der Sapphischen Ode ab.
Skandiert man die Zeilen nach ihrer natürlichen Wort-Betonung durch, ergibt sich ein jambisches Schema, mit kleinen Abweichungen:
„das wáhre glǘck: den únglǜcklìchen hélfen“. ∪ – ∪ – ∪ – ∪ ∪ ∪ – ∪
ein sátz von méiner hánd. mit ídeálen, ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
mein fréund, bist dú so éinsam únter ménschen ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
wíe die áxt im wáld. – ∪ – ∪ –
der citoyen prudhon hat ein portrait ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
von mir geschaffen. mein gesicht darauf ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
so fein und transparent – fast sieht man sie, ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
die wand dahinter. ∪ – ∪ – ∪
die nationalversammlung und das pult, ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
das seiner redner harrt: ein falsches wort, ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
ein laut zuviel nur, und der beifall rauscht ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
als fallbeil herab. ∪ – ∪ ∪ –
Die freie Verwendung antiker Versmaße ist ein konstitutives Prinzip von Jan Wagners poetischer Praxis. Das Saint-Just-Gedicht ist eines der ersten, das er in der Sapphischen Strophenform (aber nicht im Sapphischen Versmaß!) geschrieben hat. Später hat er dieses antike Metrum genauer nachgebildet, gewissermaßen konventioneller.45 So erhebt sich doch die Frage, wieso er hier Unvereinbares zusammenzwingt, nämlich jambisches Versmaß und Sapphische Strophenforrn. Wieso bedient er sich einer traditionellen Strophenform, wenn er sie nicht erfüllt? Er hätte, so könnte man einwenden, doch eine völlig andere, neue Strophenform wählen oder neu erfinden können. Was für die Verwendung vorgegebener Versmaße gilt, gilt auch für die rhetorischen Stilmittel. Doch gerade in diesem Gedicht wird von Klangmagie und Metaphorik nur sparsam Gebrauch gemacht. Dazu gehört die umgekehrte Assonanz „Beifall und Fallbeil“, die einen inneren Bezug zwischen deklamatorischer Wirkung und tödlicher Konsequenz stiftet; ebenso der bereits im Zusammenhang mit Saint-Justs Selbstcharakterisierung erwähnte Vergleich „wie die axt im walde“. Prosodisch subtil ist die Abweichung von der Abweichung im letzten Vers. Der Schlussvers der Sapphischen Strophe ist eigentlich ein Adoneus, also die Kombination von Daktylus und Trochäus. Bereits in der ersten Strophe wird die jambische Betonungsfolge durchbrochen, indem „wie die axt im wald“ entweder als katalektische trochäische Tripodie (– ∪ – ∪ –) zu lesen ist oder als Anapäst mit darauf folgendem Jambus (∪ ∪ – ∪ – ). Im letzten Vers der zweiten Strophe handelt es sich um eine katalektische jambische Tripodie, also die Folge von zwei vollständigen Jamben und einem halb ausgeführten Jambus, in der dritten Strophe eigentlich um die Kombination eines Jambus mit einem Anapäst (∪ – ∪ ∪ –). Da aber das Wort „fallbeil“ einen Haupt- und einen Nebenakzent enthält, gibt es im Vers zwei Hauptakzente und einen Nebenakzent (∪ – ∪ ∪ –), wobei die Hebungsballung das Heruntersausen des Fallbeils gleichsam klanglich darstellt.
„saint-just“ als Rollen- und als Porträt-Gedicht
Das Gedicht lässt sich in die Tradition des Rollengedichts und des Porträtgedichts stellen. Beim Rollengedicht in seiner Grundform handelt es sich um eine monologische Ich-Rede, die einer fiktiven, einer abstrakten oder einer individuell-historischen Person in den Mund gelegt ist.46 Da das Subjekt der Ich-Aussage im Rollengedicht eine erzählte Figur ist, lässt sich, wie in der Ballade, von einem Erzähler der Rollen-Situation sprechen. Die Lyrik hat in diesem Fall sogar eine mimetische Aufgabe: Der Autor „leiht“ einer Figur seine „Stimme“ und präsentiert sie als eine redende. Ein Rollengedicht kann szenisch umgesetzt werden. Als Sprechhandlung liefert es eine Selbstdarstellung redender, reflektierender oder handelnder Figuren.47 Während Rollengedichte, die Repräsentanten bestimmter gesellschaftlicher Gruppierungen oder Berufsstände48 und Vertretern mentaler oder psychischer Zustände49 in den Mund gelegt sind, in der deutschen Literatur häufig begegnen, finden sich Rollengedichte historisch individueller Persönlichkeiten selten, etwa Conrad Ferdinand Meyers „Cäsar Borjas Ohnmacht“ oder Stefan Georges „Goethes lezte [!] Nacht in Italien“. Hier knüpft Jan Wagner an. Sein Rollengedicht „saint-just“ offeriert freilich ein anderes als das in den historischen Quellen überlieferte Bild. Saint-Justs Selbstsicht ist gleichsam gegen die „offizielle“ Rezeption gerichtet. Der eiskalte Todesengel entpuppt sich als ein altruistischer Menschheitsbeglücker, der sich nicht als Fanatiker, sondern als Idealist begreift.
Hinsichtlich seiner inhaltlichen Struktur gehört das Gedicht zur Gruppe der Porträtgedichte. Porträtgedichte sind erzählende bzw. berichtende Gedichte, in denen der Sprecher die Taten der bedichteten Person aufzählt, wertet und allenfalls darüber reflektiert. Für das Porträtgedicht ist der biographische Rahmen konstitutiv. In der deutschen Literatur finden sich erste Beispiele im Barock, etwa in den rühmenden Gedichten auf Gustav II. Adolf von Schweden oder in den Schmäh-Gedichten auf den unterlegenen General Tilly.50 Die erste Grund-Variante steht in der Nähe des Panegyrikus, die zweite in der Nähe des Pasquills. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden solche objektiven, die res gestae großer Persönlichkeiten besingenden Gedichte immer zahlreicher, nicht zufällig begegnen sie wieder bei Conrad Ferdinand Meyer und bei Stefan George. Auch im Œuvre von Georg Heym, einem von Jan Wagner geschätzten expressionistischen Lyriker,51 gibt es zahlreiche Personengedichte, die bestimmte Situationen aus dem Leben berühmter historischer Persönlichkeiten gestalten (Robespierre, Savonarola, Columbus). In neuerer Zeit hat sich Hans Magnus Enzensberger diesem Genre verschrieben. Insbesondere seine im Gedichtband Mausoleum versammelten 37 „Balladen aus der Geschichte des Fortschritts“ bereichern das Genre um eine Reihe eindrucksvoller Stücke.52 Die dokumentarischen Einsprengsel oder Original-Zitate verstärken den Anschein der historischen Authentizität, die den realhistorischen Charakter der Protagonisten verbürgen soll. Der Erzähler verwendet den neutralen Bericht und die Reflexion, den Kommentar oder die oft am Schluss stehende lakonische Quintessenz. In einer narrativ angelegten Ballade oder einem Porträtgedicht besteht die Aufgabe des Erzählers, der einen ganzen Lebenslauf berichten soll, in der Selektion der einzelnen Stationen und der Verdichtung dieser Szenen zu repräsentativen und prägnanten Bildern.
Jan Wagners Leistung ist die Synthese beider Typen, des Rollengedichts und des Porträtgedichts. Das Saint Just-Gedicht reflektiert nicht nur eine bestimmte Situation im Leben der historischen Figur, wie Meyers oder Georges Gedichte, es verdichtet vielmehr ihr Denken und Handeln zu einem Selbstporträt. Damit bereichert Wagner das moderne Porträtgedicht um eine neue Variante – mit einem ambivalenten, nach offizieller Lesart keineswegs sympathischen Helden. Offenbar stellt Wagner sein Gedicht in die Tradition von Lessings ,Rettungen‘ mit der Zielsetzung, historisch verkannten Persönlichkeiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Auch die metrische Gestaltung weicht von der Norm der vorgegebenen antiken Odenform ab. Es entsteht ein Widerstreit zwischen Metrum und natürlicher Betonung. Manifestiert sich Saint-Justs revolutionäre Gesinnung in der Verletzung der tradierten Form? Oder relativiert die malträtierte Form die positive Selbstwahrnehmung und soll so der positiv vorgestellte Held dadurch dekonstruiert und wieder auf den Boden der Geschichtsrealität zurückgebracht werden? Jedenfalls bietet das auch in Wagners Œuvre singuläre Gedicht ein Beispiel für sein poetologisches Programm – das Verrücken des scheinbar Verfestigten – und bestätigt sein Credo vom gelungenen Gedicht als einer Irritation.
Gunter E. Grimm, aus: Christoph Jürgensen, Sonja Klimek (Hrsg.): Gedichte von Jan Wagner. Interpretationen, mentis Verlag, 2017
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