– Zu Christine Lavants Gedicht „Seit heute, aber für immer“ aus Christine Lavant: Der Pfauenschrei. –
CHRISTINE LAVANT
Seit heute, aber für immer
Seit heute, aber für immer,
weiß ich: Die Erde ist wirklich warm –;
ich gebe der Nessel den Brand zurück
und dem Igel die Stacheln.
Seit heute ist alles mein Schutzpatron
und die ganze Welt eine Weidenwiege,
darin uns der Windstoß zusammenschaukelt
und unsren Atem verknotet.
Unter den Gedichten der Christine Lavant sind viele, die vor Zorn und Empörung beben, die wie Fluchgebete klingen: Schreie einer Kranken, zeitlebens von Schlaflosigkeit Gepeinigten; Aufschreie vor Gott und gegen Gott; Lästerungen und Loblieder.
Unverkennbar ist die persönliche Bildsprache, die oft das Skurrile und Gewaltsame streift: nur der Lavant gehören die beinernen Misteln und diebischen Rosenkranzbeeren, die schwankende Hirnschale, die durch Weihrauchwolken treibt, die Zungenwurzel und der Wespenkrug, die heillosen Messen mit klirrendem Brot und eisigem Wein:
in jeder Hand eine salzene Wunde, in jedem Aug eine süße Feige und die Zunge hinterm Gaumen.
Unverkennbar ist der Rhythmus, in dem, vielleicht vermittelt durch den heimischen Kärntner Dialekt, älteres Deutsch nachschwingt (so sehr die frühe Lyrik der Lavant von Rilke und Trakl „erweckt“ wurde): ich wüßte für diesen manchmal assoziativ gleitenden, manchmal dumpf gleichmütig pochenden Rhythmus nur ein Gegenstück in unserer Literatur: die Parzivalstrophe Wolframs.
Hier nun, in diesem kleinen Gedicht, ist nichts von dem Dumpfen, Drängenden, Kataraktischen typischer Lavant-Strophen. Ausgeglichen, beruhigt, wie auf ausgespannten Flügeln kommen die Verse daher. Wirkt sonst das kleine zitternde Ich wie ausgeliefert an die Natur („fremdblütig im Herzen der Nacht, staubtrocken unter dem Regen“), erscheinen die Spuren Gottes „hinter siebenmal Nebel“ für diese gläubige Christin „verweint und verweht und vernesselt“, so sind diese beiden Vierzeiler durchlichtet von Zuversicht: Sicherer geworden, lächelnd und gelassen schaut das Ich in die Welt, verkostet ihre Wärme, gibt der Nessel den Brand, dem Igel die Stacheln zurück.
Kunst wie meine, ist nur verstümmeltes Leben, eine Sünde wider den Geist, unverzeihbar. Das Leben ist so heilig, vielleicht wissen Gesunde das nicht. Ich weiß es ganz. Deshalb werde ich mich vermutlich nie umbringen. Ich hab ja auch Zeiten, wo ich grundlos glücklich bin. (an Gerhard Deesen, 27. März 1962)
Grundloses Glück – es spiegelt sich in diesem scheuen Liebes-, ja Ehegedicht („seit heute, aber für immer“), das man in Christine Lavants Werk fast übersieht, weil es so empörungslos gelassen, so selbstverständlich zustimmend dasteht.
Ein schwankendes Glück freilich – aus Weide, Atem und Wind geflochten. Die starken Farben, die harten Töne, die bohrende Rhythmik – sie sind auch im Werk dieser gläubigen Magd und guten Sünderin dem täglichen Inferno, der pünktlich wiederkehrenden Verzweiflung vorbehalten. Und nur vor diesem Hintergrund gewinnen diese Verse das Lichte, Schwebende, Kaum-Glaubliche, die Seligkeit und Stille, die sie unvergeßlich macht.
Hans Maier, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Siebter Band, Insel Verlag, 1983
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