Heiner Bastian: Das Gedächtnis des Vergessens

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Heiner Bastian: Das Gedächtnis des Vergessens

Bastian-Das Gedächtnis des Vergessens

Er verwarf alle Vorbilder, Schulen und Ismen, denen andere folgten
Die Bilder seiner Zeitgenossen, die Geister Europas blieben ihm fremd

New York, das Haus am Washington Square boten Aussichten
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaDie ihm groß genug waren

Er glaubte an die „Abbildung jener Welt, die er auch in sich wusste“

Die mondänen Avenuen New Yorks lagen außerhalb seiner Peripherie
Was Edward Hopper über den Dächern der Stadt und in den Fassaden
aaaaaaaaBelangloser Eckläden sah, den Brücken über dem East River
Und einsame Spaziergänger wurden sein Bekenntnis

Das Licht auf der Seite der Häuser und die Abwesenheit des Lichts
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaWaren seine Metaphern
Die er in die tiefen Schatten der Fassaden New Yorks
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaUnd deren Nachtwanderer übertrug

Eine lakonische Bühne unbekannter Träume, deren Chronist er wurde
Vor dem Fenster seines Ateliers war er den Jahreszeiten seiner Einsamkeit gewiss

Wenn er hin und wieder dem Sommer an die Küste Neuenglands folgte
Malte er Leuchttürme, die weißen Strandhäuser von Cape Cod
Und die Schatten der Veranden als Löschblätter der Melancholie

Was er von diesen Aufenthalten behielt, wurden Inseln, die er als
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaEinsamkeit in das Herz von New York mitnahm

Doch seine Werke haben die Wahrheit eines verlorenen amerikanischen Landes gesehen

 

 

 

„In der Nacht werde ich aufschreiben, was ich gesehen /

Und wenn meine Reise endet, wird dir mein Schatten wieder begegnen.“ Heiner Bastians ,Reisen‘ sind eindringliche lyrische Bilder im Dialog zwischen Wirklichkeit und Imagination. Seine Gedichte führen uns an Orte der griechischen Mythologie, der Literatur, der Kunst der Moderne und Nachkriegsmoderne: Begegnungen mit Motiven von Edvard Munch, Picasso, Edward Hopper, Beuys, Cy Twombly, Francis Bacon und Anselm Kiefer. Gegenwärtig in Heiner Bastians Lyrik ist die Sprachphilosophie Wittgensteins, die Lektüre von Homer und Milton, Ezra Pound und Kavafis. Bastians Lyrik ist eine stete Selbstbefragung und die leidenschaftliche Verteidigung des Unbestimmten, ein Echoraum, in dem das „Ich“ seine fremde unwirkliche Spiegelung erfährt.

Insel Verlag, Klappentext, 2024

 

Das Gedächtnis des Vergessens von Heiner Bastian

– Heiner Bastian ist Lyriker, Kunstsammler und Kurator. Sein neuestes Werk, Das Gedächtnis des Vergessens bietet eine gelungene Unterhaltung mit Wort- und Bildkünstlern. Benno Schulz liest daraus das Gedicht „Ich habe Worte gehört“. –

Der 1942 in Ostpreußen, geborene Heiner Bastian hat seit den späten 60er Jahren des letzten Jahrhunderts Lyrik veröffentlicht. Zuerst in Akzente und im Kursbuch, später folgten bis heute eine Reihe von Lyrikbänden. Daneben hat Heiner Bastian eine Reihe von Sachbüchern zur Kunst und zu Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts geschrieben. Und er hat Lyrik übersetzt, unter anderem 1969 von Beat-Autor Allen Ginsberg den Gedichtband Planet News.
Heiner Bastian bereiste in den 1960er Jahren Afrika und landete auf Umwegen 1966 in San Francisco, wo er ab 1967 im legendären Literaturladen City Lights von Beat-Dichter Lawrence Ferlinghetti mitmischte. City Lights, Buchladen und Verlag zugleich, veröffentliche damals eine Reihe von neuen Autoren, unter anderem Allen Ginsberg, dessen epochales Langgedicht Howl zu einem Bestseller wurde.
Diese Umgebung und die Bekanntschaft mit Autoren der neuen Avantgarde dürfte Heiner Bastian grundlegende Inspiration gewesen sein. Wenn man sich die Gedichte von Bastian durchliest, hört man dann auch Lawrence Ferlinghetti im Hintergrund durchs Bild schlurfen, was mit Sicherheit kein Fehler ist.
Das Gedächtnis des Vergessens ist angenehm zugänglich und nimmt Leserin und Leser mit auf eine Reise in die reale und fiktionale Erfahrungs- und Erlebniswelt von Heiner Bastian. Wir begegnen u.a. Edward Munch, der Pythia von Delphi, Picasso, Joseph Beuys und Konstantin Kavavis. Wir lesen Zitate, bisweilen abgewandelt, von Ingeborg Bachmann und Ludwig Wittgenstein oder filmische Reminiszenzen an Jean-Luc Godards Vivre sa vie.
Gut , dass es am Ende des Buches einen Anhang gibt, der uns einiges erläutert. Die Gedichte von Heiner Bastian sind entspannt zu lesen und rufen Dinge auf, die dem Gedächtnis des Vergessens anderweitig verloren gegangen wären. Sehr inspirierend.

Matthias Ehlers, WDR, 6.9.2024

Hinter dem Schleier

– Heiner Bastians neue Gedichte streben ins Große und Magische, verharren aber doch in der Sprachverwirrung. –

Es muss ihn geben: diesen einen Punkt am Anfang aller Zeiten, in dem noch alles eins war, dieser Ursprung, der Helligkeit und Finsternis gebar. So sehr sich die Naturwissenschaften auch um seine Erforschung bemühen – gänzlich greifen lassen wird er sich mit ihren Methoden wohl nie. Anders verhält es sich mit den Möglichkeiten der Lyrik, die keinen Gesetzen von Zeit und Raum unterliegt und sich selbstbewusst zum Äther, der göttlichen Sphäre, aufschwingen kann.
Dafür bietet der 1942 geborene Autor Heiner Bastian, der durch das Kuratieren von Ausstellungen etwa zu Anselm Kiefer oder Joseph Beuys bekannt wurde, alles auf, was die Dichtung hergibt. Insbesondere Pathetik! Ihr hoher Ton lässt „mythische Landschaften“ wiedererblühen, feiert das „Licht, das sich im Licht begegnet // Verwandelt in eine einzige Sprache, in den Farben der Imagination / in der alles Jetzt ist“. Mehr geht nicht, Ausrufezeichen. Nur wie sieht das eigentlich aus, wenn sich Licht begegnet, in Worte transformiert und in der Farbpalette der Vorstellungskraft aufgeht?
Zugegeben, Magie zu analysieren, ist immer eine schnöde Angelegenheit. Bisweilen deckt aber erst der genaue Blick manch falschen Zauber auf. Er macht sich bemerkbar in überladenen Wendungen wie den „Schatten der Veranden als Löschblatt der Melancholie“, oder in diversen Stilblüten. Denn welchem Verständnis folgt ein „Schrei, der jedes Bild ausleuchtet“ und sich als „das Dunkel eines schwarzen Vakuums“ erweist? Leider wird genau in solch verschwurbelten Konstruktionen offensichtlich, was Heiner Bastian eigentlich ironisch über sein Textsubjekt sagt:

Ich bin mein Sprachengewirr, die Chimären, die sich
Nicht auflösen

Zumindest einige Eindrücke treten daraus deutlich hervor, beispielsweise ein durch den Poseidon-Tempel wandernder Schatten oder der Faltenwurf des Kleides der dem Meer entsteigenden Aphrodite. Verlässt man diese teils arkadischen Gefilde, gelangt man mitunter zu Sujets der modernen Kunst.
Dann verlieren wir uns in der Einsamkeit in Edward Hoppers Gemälden oder im unbehaglichen Kosmos eines Edvard Munch. Den roten Faden stellen zwischen diesen Texten wiederkehrende Motive dar: Wind und Wüste, Schatten und Sterne, Götter und Vergänglichkeit. So entsteht eine Art Rondo, das dem Hauptthema des Bandes Das Gedächtnis des Vergessens Rechnung tragen will: die Renaissance von Wahrheit und Schönheit aus dem Dunstkreis der Antike.
Dass wir dabei an die Grenze des Verbalisierbaren stoßen, weiß Bastian. Darum spricht er mehrfach von „den Bildern einer Sprache, die keine Worte hat“. Es bleiben uns also nur Annäherungen, Versuchsanordnungen, um dem Numinosen gewahr zu werden. Wie diese Dichtung belegt, sind dafür weder ein weihevoller Habitus noch eine Vielzahl an Symbolen erfolgversprechend. Im Gegenteil: Sie verschleiern nur, was mehr Klarheit bedurft hätte.

Björn Hayer: Frankfurter Rundschau, 4.8.2024

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Nora Eckert: Zauberworte und Traumbilder
literaturkritik.de, Januar 2025

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram + Kalliope
Porträtgalerie: Keystone-SDA

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00