FÜNFZEHNTER GESANG
NACH ALL DEM
1
Das Ende. Feuer flackern über Warschau in den
aaaaaHimmel hoch
Der hüllt bei Tage sich in Rauch, grell in die Nächte
aaaaaflammt das Licht
Das hatten wir schon mal erlebt, vor langer Zeit und
aaaaaanders. Gott
Wies durch die Wüste uns den Weg als Feuersäule in der Nacht
Bei Tag als Wolkensäule. Und mit Freuden ging mein Volk gestärkt
Im Glauben seinen Weg voran, mit seiner ewig jungen Zuversicht
Und jetzt das Ende. Ausgetilgt von dieser Erde sind wir. Schluß
Ganz gleich, ob groß, ob klein, man hat uns diesmal alle umgebracht
Heute haben wir irgendeinen Ersten Mai, genau fünfzig Jahre später. Ist die Lüge über die Auschwitzlüge der Juden in Deutschland wieder salonfähig, talkshowgünstig und straßenreif? Oder doch noch verboten? Keinen Tag dieses Lebens würde ich mehr dafür verschwenden, um meinem deutschen Volk abermals mitzuteilen, daß es grad eben mein jüdisches Volk umgebracht hat. Die magische Zahl 6 Millionen will keiner mehr hören. Das Publikum würde ungnädig gähnen – die einen wissen es, und die anderen wissen es besser. Und ob Du, lieber Leser, Dich beknirschst oder berühmst, es würde meinen Vater nicht wieder lebendig machen. Aber ein Gedicht, ein schönes Gedicht über das Allerhäßlichste auf Erden mag manchen noch bewegen.
Seit zwei Jahren lebe ich mit dem polnischen Juden Jizchak Katzenelson. Die Warschauer Ghettokämpfer hatten ihn mitten im Aufstand auf die arische Seite der Stadt geschmuggelt und ihm honduranische Papiere verschafft. Sie wollten unbedingt, daß wenigstens dieser Mensch am Leben bleibt. Katzenelson war damals genau so alt wie ich heute. Er hatte populäre Lieder und Gedichte geschrieben, Theaterstücke, in jiddisch und hebräisch. Seine Freunde hofften, er könnte später einmal die furchtbare Wahrheit über den Weltuntergang des jüdischen Volkes so sagen, daß die Nachwelt ihm glaubt, obwohl er die Wahrheit spricht.
Auf diese Weise geriet Jizchak Katzenelson in das sogenannte Vorzugs-KZ oder auch Sonderlager in dem französischen Städtchen Vittel am Fuße der Vogesen. Die Deutschen hatten nämlich in diesem großbürgerlichen Kurbad etliche Hotels, luxuriöse Jugendstil-Paläste, mit dreifachem Stacheldraht umwickelt. So war dort ein Internierungslager für US-amerikanische, britische, holländische und lateinamerikanische Bürger entstanden, die man gegen gefangengehaltene deutsche Staatsbürger im feindlichen Ausland eintauschen wollte.
Dort lebte Jizchak Katzenelson ein knappes Jahr unter einem Dach mit anderen Juden aus Warschau – bis er dann doch nach Osten deportiert wurde. Er starb am Tag seiner Ankunft, es war ein Erster Mai in Auschwitz. In Vittel aber war es ihm grad noch gelungen, ein gewichtiges Werk niederzuschreiben: „Dos lied vunem ojsgehargetn jidischn volk“ – ein Poem, ein Epos in fünfzehn Gesängen.
Im Januar ’44 war er damit fertig geworden. Im März schaffte er es, das Manuskript unter den Wurzeln eines alten Baumes zu vergraben. Die Alliierten waren noch nicht in der Normandie gelandet, aber das Buddeln in der frühlingsweichen Erde ging schön leicht. Es duftete schon mächtig nach Befreiung, als der Dichter drei Flaschen versteckte, in die er seine Verse gestopft hatte. Und all das passierte in diesem Vittel, wo das wohlschmeckende Wasser aus der Erde blutet, das wir gelegentlich in Plastikflaschen kaufen.
Der Dichter hatte außerdem eine kleine feine Kopie seines Werkes auf dünnem Papier angefertigt, die in den Ledergriff eines Reisekoffers eingenäht wurde. Mit diesem Koffer verließ im Frühjahr 1944 eine junge Jüdin das Konzentrationslager. Sie durfte mit ihrem britischen Palästina-Paß im Austausch gegen sogenannte Templer-Deutsche nach Erez Israel reisen. Beide Fassungen des Werkes fand ich im Kibbutz der Warschauer Ghettokämpfer, Lochamej Hagetaot, die Flaschen-Version und die Koffer-Version. Und zwei Menschen gehören zu diesen beiden Fassungen: Myriam Nowitsch und jene Ruth Adler, die noch lebt und die ich in Israel besuchte. Sie erzählte so begeistert vom toten Dichter, daß er aus dem Foto über dem Sofa herabschwebte und sich zu uns an den Tisch setzte.
Beide Frauen spielten in einer romanhaften Verwicklung entscheidende Nebenrollen in dieser Geschichte. Die eine barg nach dem Abzug der Deutschen die drei Flaschen und brachte das Manuskript zu Dr. Nathan Eck nach Paris. Der tippte die feine Winzschrift in hebräischen Buchstaben ab und brachte das Werk zu einem jiddischen Drucker. Die junge Ruth Adler aber war heil durch alle Fährnisse gekommen und hatte ihre Kofferversion und ein Testament des Autors zu den Verwandten und Freunden ins Gelobte Land gebracht. Für beide Frauen bedeutete die kurze Begegnung mit dem Dichter offenkundig eine Prägung fürs Leben.
Myriam Novitsch schloß sich dem Kibbutz Lochamei Ha’getaot an und wurde dessen Ehrenmitglied. Seit 1945 widmete sie ihre ganze Lebenskraft dem Aufbau eines Museums der Warschauer Ghettokämpfer und dabei ganz besonders dem Werk ihres geliebten Dichters.
Sein Poem ist mit schwarzen Tränen in einen rauchschwarzen Himmel geschrieben. In diesen Versen ohne alle Hoffnung schimmert eine Hoffnung nur darum, weil da ein verlorener Mensch seine Verzweiflung überhaupt noch in Worte faßte.
Ich habe die herzzerreißenden jiddischen Verse nun in meine kopfzerbrechliche deutsche Sprache gebracht. Der Umstand, daß dieses Gedicht der Opfer ausgerechnet in die Sprache der Täter transportiert werden muß, bekümmert mich dabei gar nicht. Mein Deutsch ist das von Hölderlin und Büchner und Heine und Rosa Luxemburg, es ist meine Muttersprache von Emma Biermann, es ist unsere Vatersprache von Bertolt Brecht und kein Schweinefraß, zusammengemanscht aus Abfällen von Bismarck, Hitler, Honecker, Blödel-Otto, Leni Riefenstahl, Mielke und Stolpe.
Beim Balanceakt zwischen Pathos und Dokument, beim lyrischen Rhythmusklopfen und Methaphernmischen, beim alliteraten Wortefischen und beim altmodischen Reimeschmieden kam es mir manchmal so vor, als hätte ich an eigenen Liedern und Gedichten nur dreißig Jahre lang meine Sprache geübt, um nun endlich die Confessio des Jizchak Katzenelson lebendig an mein Land zu ziehn. Bei all dem trieb mich auch der lebenslängliche Affekt, immer wieder den Tod meines Vaters zu besiegen.
Es sind 225 kreuzweis’ gereimte Vierzeiler. Der Reim funktioniert hier in seinem ursprünglichsten Sinn: das immer nächste Reimwort dient als Gedächtnisstütze. Die Zeiten waren ja nicht nur irgendwie finster, sie waren hell erleuchtet von den Scheiterhaufen, auf denen Menschen und Bücher und beschriebene Papierfetzen verbrannten. Man mußte eben alles im Kopf behalten. So sind die festen Reime wie ein Geländer über eine wacklige hohe Brücke.
Eine mysteriöse Unregelmäßigkeit des Poems machte mir zu schaffen. Von Gesang zu Gesang werden die langen Zeilen lang und länger. In den letzten Gesängen werden sie im Original dermaßen lang, daß sie fast das doppelte Volumen der Verse vom Anfang erreichen. Also habe ich nach dem achten Gesang aus den Vierzeilern einfach Achtzeiler gemacht. Es druckt sich besser, und es liest sich leichter. Der Dichter hatte offenbar einen Großteil seines Poems schon im Kopf, als er es dann im Zimmer 107 des Hotels Providence niederschrieb. Der Hunger, die Kälte, die Ängste, der Schmerz um seine Frau Chana und seine Söhne Ben und Jom, die alle in Treblinka vergast worden waren… die panische Sorge, daß jeder Tag der letzte sein könnte, lähmender Zorn und wilde Trauer – alle Widrigkeiten der Welt trieben ihn an, und so schrieb er vom Oktober 1943 bis zum darauffolgenden Januar sein Poem nieder.
Jetzt sind die deutschen Verse gefügt. Das Poem wird Ware, es kommt als Massenprodukt in das Lager irgendeiner zentralen Auslieferungsfirma und fließt ab in die Läden, eins wie’s andre. Aber sobald es den Markt verlassen hat, geschieht eine wundersame Wandlung: Jedes Exemplar wird in der Hand eines Menschen zu einem unverwechselbaren Buch. Und erst dann entscheidet sich, ob man Perlen vor eine Sau warf, ob man Hundefutter für einen Rezensenten lieferte, dann erst wird sich zeigen, ob Katzenelsons Gedicht Wasser für ein paar Wissensdurstige wurde und ob dieses harte Brot genießbar sein könnte für junge wahrheitshungrige Menschen, die noch gute Zähne haben.
Sie alle kennen das: Wenn in der englischen Welt vom Holocaust die Rede ist, wenn die Israelis von der Schoa sprechen oder wenn wir Deutschen ohne allen ideologischen Euphemismus lieber vom Massenmord am jüdischen Volk reden, dann spukt in allerhand Hinterköpfen immer auch die Metapher von den sechs Millionen Opfern der Endlösung, die sich alle wie die Lämmer und die Kälber zur Schlachtbank führen ließen.
Das Gleichnis vom blöden Kalb, dem ängstlichen und hilflosen Rindviehlein, das widerstandslos zum Schlächter trottet, hat mich schon lange geärgert. Es stützt ja jenes Vorurteil, das die kerngesunden Mörder seit eh und je gern in die Welt hineinlügen: selber Schuld! Sogar der deutsche Kinder-Reim suggeriert dieses höhnische Reime-Paar: „Kälber Kälber – selber selber“. Und zwanghaft ergibt sich aus diesem Kälber-Bild die Anklage der armen Schlächter gegen die Geschlachteten: Ihr wolltet es so haben! Eure Schwäche hat uns gereizt, ja gradezu verführt! Ihr habt uns zu den Mördern gemacht, die wir nicht sind.
Vom Kälbchen gibt es ein rührendes kleines Lied. Als ich es mir vor Jahren aus dem Amerikanischen von einer Platte der Joan Baez abhörte und in singbares Deutsch brachte, dachte ich: typisch amerikanische Folklore. Und was für ein Zufall: Später fand ich in einem alten Liederbuch das jüdische Original und las zum ersten Mal den Namen des Verfassers: irgendso ein Katzenelson.
Ich machte mir dann anhand der Urfassung eine neue Übersetzung. Die Melodie haben Sie gewiß schon gehört, den Refrain kennen Menschen auf der ganzen Welt, und sie singen halblaut mit, wenn die göttliche Bob-Dylan- Donna den sinnarmen Kehrreim so bedeutungstief ausatmet: „Dona Dona Dona Dona…“
DAS KÄLBCHEN
Krümmt ein Kalb sich auf dem Karren
Liegt gefesselt mit einem Strick
Schwebt ’ne Schwalbe durch die Himmel
Fliegt dahin im Bogen und zurück
aaaaaWeht der Wind im Weizenfeld
aaaaalacht und lacht und lacht
aaaaaLacht den ganzen Tag, den langen
aaaaaund die halbe Nacht
aaaaaEj, dona dona dona dona
aaaaadona dona dona do
Greint das Kälbchen, grinst der Bauer
Tja, nun bist du nebbich ein Kalb!
Wärst halt besser ein Vöglein worden
Wärst halt lieber worden eine Schwalb
aaaaaWeht der Wind im Weizenfeld…
Blöde Kälber soll man binden
Schleifen, schlachten, so ist es recht
Doch wer Flügel hat, kann frei fliegen
Der wird niemals eines andern Knecht
aaaaaWeht der Wind im Weizenfeld
aaaaalacht und lacht und lacht
aaaaaLacht den ganzen Tag, den langen
aaaaaund die halbe Nacht
aaaaaEj, dona dona dona dona
aaaaadona dona dona do
Dona Dona Dona – was soll das bedeuten? Soll’s die Kurzform von dona nobis pacem sein? Oder war mal wieder irgendeine hübsche Frau gemeint? Inzwischen ist auch das geklärt, im Original heißt es nämlich: Adonai! Adonai! Adonai! Grad so, wie in biblischer Zeit Moses trinkbares Süßwasser aus dem Felsen schlug, so wurde in Amerika das schlagersüffige Dona Dona Dona… aus dem steinealten bibelhebräischen „Adonai“ geschlagen, und das bedeutet auf deutsch: Mein HErr!
Gott im Himmel, könnte ich an Ihn glauben, würde ich zu Ihm in die Welten hoch schrein: HErr! Adonai! O, HErr, warum hast Du in den Zeiten der Nazi-Tyrannei geduldet, daß mein Vater, der sogar ein Kämpfer war, abgeschlachtet wurde wie ein Kalb? Und warum duldest Du nun in der Demokratie auch noch die miese Geschichtslüge, alle Juden hätten sich abschlachten lassen wie die Kälber.
Mit dieser Frage bewegen wir uns in einem tief innerjüdischen Streit. Lichterloh brennt er seit der Kontroverse um Hannah Arendts Thesen über den deutschen Beamten Adolf Eichmann. Hannah Arendt befand in ihrem Essay über die „Banalität des Bösen“, daß die europäischen Juden zu feige und zu gutgläubig waren. Sie formulierte den Vorwurf, daß die sogenannten Judenräte in den Ghettos mit der SS zusammengewirkt und der Vernichtungsmaschinerie sogar noch zugearbeitet hätten.
Wenn wir darüber nachdenken oder sogar streiten, dann gibt es en passant eine welthistorische Neuigkeit zu bedenken. Der Holocaust unterscheidet sich nämlich grundsätzlich von Völkermorden, wie die Welt sie gewöhnt ist. Ein Standardbeispiel: Der türkische Genozid an den Armeniern 1915 wurde damit eröffnet, daß erstmal vorsorglich die gesamte armenische Elite ausgerottet wurde – Wissenschaftler, Politiker, Wirtschaftsbosse, Offiziere, Lehrer, Künstler.
Hitler verfuhr denn auch mit den Slawen nach diesem Modell. Wenn man ein ganzes Volk zuverlässig und auf lange Dauer versklaven will, muß man ihm – das ist nur vernünftig – erstmal sein Organ für die Vernunft abschlagen. Der Okkupant muß den kopflosen Körper des niedergeworfenen Volkes, der ja willig arbeiten soll, am Leben lassen: So verwandelt sich das enthauptete Volk in einen strukturlosen Haufen aus brauchbaren Maloche-Idioten.
Der weite Osten sollte von Hitlers Volk ohne Raum in Besitz genommen werden. Die großen Rittergüter in Polen verschenkte der Führer wie ein Feudalfürst an seine siegenden Generale und an treue Hofschranzen. In der Kornkammer Ukraine, in Weißrussland und dem russischen Rest von Europa sollten deutsche Wehrbauern mit ihren Arbeitssklaven angesiedelt werden. Albert Speer, Hitlers Hyperarchitekt, gab uns nach zwanzig Jahren Haft eine korrekte Auskunft über die Pläne der Nazis: Allein für die Schaffung einer ersten Infrastruktur, also für den Straßenbau, sollten nach gewonnenem Krieg gleich mal 15 Millionen Zwangsarbeiter verbraucht werden, die nach kurzer Zeit durch frische Kräfte ersetzt werden würden.
Ganz anders die sogenannte Elite der Juden in Osteuropa. Sie wurde nicht sofort liquidiert. Im Gegenteil: einflußreiche Rabbiner und Wissenschaftler, geachtete jüdische Bürger und Politiker, die angesehenen Köpfe der jüdischen Gemeinden wurden, wo immer es ging, als Obrigkeit belassen und von den deutschen Behörden mit der Autorität für die korrekte Organisation des Völkermordes betraut. Die sogenannten Judenräte stellten unter Verwendung ihres Knowhows die Listen für die Deportationen zusammen, jüdische Ordnungskräfte sorgten für das pünktliche Erscheinen der Ausgewählten auf den Sammelplätzen für die Deportation.
Die Ursache für diese neuartige Vorgehensweise ist erklärbar: Die Deutschen wollten grundsätzlich keine jüdischen Arbeitssklaven gewinnen. Sie wollten jeden Juden vertilgen, gleichgültig, ob reich oder arm, assimiliert oder nicht, getauft oder mit Schläfenlocken, egal ob links rechts, unterwürfig rebellisch, Schriftgelehrter oder Amores, ungebildeter Säcketräger aus Galizien, ganz gleich, ob literarische Salonpflanze aus Paris, ob Ostjude oder Westjude, egal.
Allerdings waren die alles verharmlosenden Kulissen, die sprachlichen, die bürokratischen und die visuellen, mit deren Hilfe die jüdischen Massen auf dem Weg in die Gaskammern oder in die ausgehobenen Massengräber im Wald bis zuletzt getäuscht wurden, raffiniert und tief gestaffelt. Alle drei Tage mußten Arbeitshäftlinge in Treblinka eine dichte Sichtblende aus frischen Zweigen 3 Meter hoch in den Stacheldraht flechten, dort wo die Züge ankamen. Massenmörder wie Himmler und Eichmann waren keine phantasielosen Einfaltspinsel. Womöglich ist also die geistreiche These der Hannah Arendt von der Banalität des bösen Schreibtischtäters zu simpel. War zum Beispiel dieses irreführende Zauberwort „Duschraum“, wie Amos Oz vermutet, die poetische Erfindung eines Genies? War es das womöglich wirkungsmächtigste Kurzgedicht aller Zeiten, das schöpferische Phantasieprodukt eines verhinderten Postexpressionisten, eine nazibraune Blume des Bösen? Konnten dermaßen erniedrigte Gefangene nach einer langen Reise im Viehwaggon, zusammengepfercht mit stinkenden Kadavern, kotbeschmutzt und verdurstet, konnten solche halbtoten Kreaturen überhaupt der verlockenden Aufforderung widerstehen, sich endlich wie zivilisierte Menschen unter eine Dusche zu stellen?
Vor den falschen Duschräumen stand groß die Losung:
Sauberkeit! Hygiene! Läuse sind gefährlich für Deine Gesundheit.
Es war eine clevere Idee, den Opfern schon vorher die Haare abzuschneiden, und es war ein grandioser Trick, sie sich alle vorher und freiwillig selber ausziehn zu lassen. Die geniale Lüge mit den Duschräumen ersparte den Nazis eine zusätzliche Armee von Judenmördern. Die Hoffnung der Opfer aufs Überleben machte die Arbeit in der Massenmordfabrik so bequem.
Gab es also den jüdischen Widerstand oder nicht? Und welche Rolle spielte er? Und dann noch die Frage: hat überhaupt „selber Schuld“, wer sich nicht wehrt? Jeder Bankräuber-Geisel raten wir doch zu, daß sie stille hält…
Das Poem von Jizchak Katzenelson ist für mich eine entscheidende Stimme in diesem Streit. Der Dichter zeigt beides: die Hilflosigkeit der überrumpelten und getäuschten Opfer, aber eben auch den heldenhaften Widerstand der Ghettokämpfer. Im Finale seines Werks jauchzt und kreischt und brüllt und schluchzt Katzenelson den Aufstand. Er berichtet, wie die letzten sechzigtausend noch lebenden Juden sich erhoben und den Todeskampf wagten gegen einen übermächtigen Feind.
Als der Hirtenknabe gegen den Riesen Goliath kämpfte, da trug David wenigstens eine Steinschleuder im Gürtel. Und er hatte seinen Gott als Verbündeten im Rücken. Gott buhlte damals noch um Anerkennung bei den Menschen und gab sich Mühe mit allerhand Wundern und Zeichen. Aber nun, gegen Wehrmacht und SS, hatten die Juden keine Chance. Es fehlte den Aufständischen nicht an Mut und Entschlossenheit, sondern an Waffen, an Sprengstoff für selbstgebastelte Bomben, an Essen, an Trinkwasser und vor allem: an weltlichem wie an göttlichem Beistand.
Die meisten Polen auf der arischen Seite wandten sich ab, mancher Christ sah dem Leiden der semitischen Gottesmörder mit katholischem Wohlgefallen aus dem Küchenfenster zu. Und wo war Gott selbst? Vielleicht grübelte er im Halbschlaf über die eitle Frage, ob das Universum ein perpetuum mobile des Bösen sei.
Die Ghettokämpfer hatten keine schweren Waffen, sie besaßen einige Pistolen, wenige und schlechte Gewehre. Benzinflaschenumgürtet stürzten sich junge Frauen vom Balkon und setzten so die Panzerfahrzeuge der Wehrmacht in Brand. Weil es den Blitzkriegern bald zu gefährlich wurde, in die Häuser zu gehn, legten biedere deutsche Feuerwehrleute gemeinsam mit der SS vorsorglich von Haus zu Haus Feuer. Die Dokumente beweisen es: Der uniformierte Herrenmensch fühlte sich wie ein Kammerjäger im Schutzanzug, wenn er systematisch das Ungeziefer vernichtet.
In Kellern, die sie zu Bunkern ausgebaut hatten, hielten die jüdischen Kämpfer unter den brennenden Häusern aus. Sie ertranken in den Abwässern, sie erstickten mit den Ratten in der Kanalisation unter der Stadt. Verbrannt, ausgeräuchert, zerrissen von Granaten, von Maschinengewehrgarben niedergemäht – das Ghetto war am Ende alles in einem: Erschießungsmauer, Massengrab, Gaskammer und Krematorium. Aber diese kämpfenden Juden starben als aufrechte und ungebrochene Menschen. Ihr allerletztes Gefecht war nicht die geschichtsoptimistische Verheißung „C’est la lutte finale“ aus dem Lied L’INTERNATIONALE, es war der finale Todeskampf eines Volkes.
Es gab kaum ein Entkommen. Und wer es doch schaffte, wer sich durch irgendein Schlupfloch auf die arische Seite retten konnte, der fiel den „Schmalzowniks“ in die Hände. Das waren Polen, die sich darauf spezialisiert hatten, Juden im arischen Straßengewimmel zu identifizieren. Diese Spürnasen zerrten ihr Opfer in einen Hauseingang, rissen ihm die Hose von den Knochen und inspizierten einen Ausweis, den man nicht so leicht fälschen kann: die Vorhaut. Entweder sie erpreßten von solch einem elenden Menschen Geld (im Jargon: „Schmalz“) und Schmuck, oder sie lieferten den Juden für ein Kopfgeld bei der Gestapo ab, für ein paar Pfund Zucker und Mehl.
Es gab aber auch andere, die in Katzenelsons großem Gesang nicht vorkommen: Polen, die in ihrer Wohnung Juden versteckten und mit durchfütterten. Wer das Gedicht von Katzenelson liest, sollte dies im Hinterkopf haben. Sogar, wenn solche reine Menschenliebe mit ein bißchen Spekulation und praktischem Geschäftssinn verdreckt war – gemessen an dem, was ihm drohte, war jeder dieser Polen ein Retter der Welt. Er mußte doppelt zittern: vor den Deutschen und vor den lieben Nachbarn. Die Rache der „Herrenmenschen“ an einem polnischen „Untermenschen“, wenn er „jüdisches Ungeziefer“ bei sich versteckte, war besonders brutal: Zur Abschreckung wurde immer auch seine gesamte Familie mitliquidiert.
Die Motive solcher Helfer waren so verschieden, wie eben Menschen sind. Ob es gelebtes Christentum war oder polnischer Nationalstolz, ob es aus der Tapferkeit eines schlichten Gemütes kam oder aus dem Vernunftdenken eines linksfühlenden Hitzkopfes – wichtig bleibt, daß es doch ein paar Tausend Gerechte gab, die alles wagten, um ihren jüdischen Bruder zu retten.
Aber der Dichter war nicht in einer Situation, in der man gerechte und ausgewogene Allerweltsliteratur absondert. Und so klagte und fluchte Katzenelson an der Stelle, wo es ihm besonders wehe tat: Zorn, Schmerz und Scham über die Lumpen unter den eigenen Leuten. Es ist eine traurige Wahrheit, und sie muß gesagt werden: Im Warschauer Ghetto hat es auch zweitausend jüdische Polizisten gegeben, sie waren bewaffnet mit Knüppeln. Sie machten die Dreckarbeit für die Besatzungsmacht. In der Zeit vom 22. Juni bis zum 21. September ’42, als auf Befehl der Gestapo erst sechs, dann zehn, dann tagtäglich bis zu fünfzehntausend Juden in die Todeszüge gestopft werden sollten, war es die jüdische Polizei, die in Warschau auf Menschenjagd ging.
Diese Polizisten trugen, schreibt Katzenelson, ihren Davidstern auf der Armbinde wie ein Hakenkreuz. Solche Elenden hofften, als beflissene Mitmörder zu überleben. Sie zerrten die Menschen aus den Wohnungen, schleiften die Opfer brutal die Treppen herunter. Wer sich wehrte, wurde ohne Erbarmen blutig geschlagen und auf dem sogenannten Umschlagplatz zur allerletzten Fahrt in die Viehwaggons geprügelt.
Jeder dieser Männer mußte drei, später sogar sieben Menschen pro Tag für das Vernichtungslager Treblinka liefern. Wer diese Kopfzahl nicht erreichte, wurde selbst mit aufgeladen. Mancher jüdische Polizist lieferte in panischer Todesangst die eigenen Eltern aus, um sein Soll zu erfüllen. Und mancher betäubte sich mit der Lüge, es sei nicht klar, wohin die Reise gehe. Was für eine zynische Korrespondenz: Es ging den Juden in diesem Punkte so ähnlich wie der Bevölkerung in Deutschland: Alle wußten, und nur wenige wollten wissen.
Unter den Juden im Warschauer Ghetto fanden sich Kollaborateure verschiedenen Grades. Es gab jüdische Gestapospitzel und kleine Profiteure, die sich an abenteuerlichen Handelsgeschäften mit der arischen Seite bereicherten. In dem Poem von Katzenelson ist auch von solchen Gangstern und Ganoven die Rede, und so wäre es ein Fehler, hier über dermaßen bittere Wahrheiten zu schweigen. Aber es ist womöglich auch ein Fehler, in diesem Deutschland offen über die Handvoll Juden zu sprechen, die sich den nationalsozialistischen Massenmördern dienstbar machten.
Das weiß ich doch: Manche weißhaarigen SS-Veteranen und auch ihre nachgewachsenen Enkel hören solche traurigen Wahrheiten allzu gern. Ein Schweigen über dieses peinliche Kapitel wäre in diesem geschichtsdummen Land vielleicht klüger. In der Bibel steht: Ein Narr sagt, was er weiß, und ein Weiser weiß, was er sagt. Aber ich denke, im Zweifelsfalle mag es der harmlosere Fehler sein, wenn wir kindlich die Wahrheit ausplappern – ohne schlaue Spekulation auf Wirkungen, die langfristig doch immer anders sind, als man dachte.
In einer Strophe seines Poems wütet der Dichter: Es sei besser, zehn jüdische Kollaborateure sterben, als ein SS-Mann. Er verurteilte seine Leute mit einer Radikalität, die keinem zukommt, der nicht selber in solchen Feuern war. Katzenelson verstand, aber Verständnis hatte er absolut nicht dafür, daß manche Juden in ihrer Todesangst mit den Mördern zusammenarbeiteten.
Keiner – und schon gar nicht in Deutschland – sollte sich hochziehn an der Niedrigkeit einzelner Juden. Ihre Schande soll nicht den Blick auf die wahren Verbrecher verdecken: Die Beamten der GESTAPO, die SS-Leute und Wehrmachtssoldaten, die kriminellen Totschläger der Dirlewanger-Truppe und die wohlerzogenen Normaldeutschen der ORPO, der Ordnungspolizei und der Feuerwehr. All diese bayerischen Frisöre und hessischen Klempner und hanseatischen Lateinlehrer und sächsischen Schneider standen geschniegelt und gebügelt mit blankgewichsten Stiefeln daneben, sie gaben knappe Befehle und schielten nach kleiner Beute, sie lachten lässig mit der Zigarette im Hals und steckten die Daumen hinter das Koppelschloß mit der Aufschrift: Gott mit uns! So überwachten sie lässig die Arbeit der jüdischen Treiber bei der Judenjagd.
Der Dichter und sein ältester Sohn Zvi hatten Arbeit in einer Rüstungsfabrik im Ghetto ergattert. Aber als er eines Abends in die Wohnung zurück kam, war seine Frau Chana mit den beiden Kleinen nicht mehr da. Katzenelson schrieb allein zwei wildverzweifelte Gesänge über diese menschenfleischfressenden Güterzüge, die zwischen Warschau und dem Todeslager pendelten.
In Treblinka reichten vierzig SS-Leute aus, um mit vorbildlicher Effektivität eine dreiviertel Million Juden fabrikmäßig zu ermorden. Diese vierzig Mann vollbrachten ihr Werk mit Hilfe von noch einmal achtzig Hiwis (so nannte man hilfswillige Wachleute, rekrutiert meist aus der Ukraine und aus den baltischen Ländern). Dabei wurde in Treblinka, 80 Kilometer von Warschau, nicht mit dem schnell wirkenden Zyklon-B-Gas gemordet, sondern mit Auspuffgasen großer Dieselmotoren, die in die Gaskammern geleitet wurden. Das Sterben dauerte dort 20 bis 30 Minuten.
Außerdem gab es in Treblinka in wechselnder Besetzung ein Arbeitskommando von Funktionshäftlingen, den „Hofjuden“. Sie wurden gezwungen, die ineinander verkrallten Toten aus den Gaskammern zu zerren und das Reisegepäck volkswirtschaftlich auszuschlachten und korrekt für den Versand ins Reich zu sortieren. Die Kleidungsstücke wurden dann, wie es im offiziellen Jargon hieß: „an notleidende deutsche Volksgenossen“, verteilt. Dabei kam es vor, daß an solchen Mänteln und Jacken noch der angeheftete gelbe Judenstern war. Es waren jüdische „Frisöre“, die den ankommenden Frauen die Haare abscheren mußten, Rohmaterial für die Weiterverarbeitung in der deutschen Kriegsindustrie.
Gewiß, es gab auch, selten genug, SS-Leute, die moralische Skrupel hatten und beim Morden schlapp machten. Wie oft habe ich in heillosen Streitdiskussionen den populären Refrain des Mitläufer-Liedchens gehört: „Hätte ick nich mitjemacht, hättn se mich umjebracht!“ Darum sei am Rande erwähnt, daß alle vierzig SS-Leute sich freiwillig für den Dienst in Treblinka gemeldet hatten. Diese teutonischen Kriegshelden genossen drei wichtige Privilegien. Sie erhielten mehr Sold, sie durften alle zwei Monate auf Heimaturlaub. Und vor allem: Sie mußten nicht an die Front.
Der Leser soll wissen, daß es kein einziges Beispiel irgendeines SS-Mannes im Tausendjährigen Reich gibt, der irgendwo irgendwann vors Kriegsgericht kam, wenn er sich weigerte, beim Massenmord an wehrlosen Menschen mitzuwirken. Keiner, der sich als zu weich erwies, Frauen und Kinder in eine Grube herunterzuschießen, wurde zum Tode verurteilt oder auch nur degradiert. Das Einzige, was solch einem Verweigerer blühte: Er mußte mit der Waffe in der Hand, wie alle anderen Soldaten, an die Front. Dort mußte er dann freilich gegen Menschen kämpfen, die auch irgendeine Metallbeförderungsmaschine in der Hand hatten.
Immer wieder klebten illegale Plakate in den Straßen des Ghettos:
Juden! die Züge vom Umschlagplatz fahrn in den Tod!
Aber abgerissen wurden sie nicht von der Besatzungsmacht, sondern von Juden, die sich wutverzweifelt an die Hoffnung klammerten, es gehe mit den Viehwaggons wirklich in ein anderes Land, in ein neues Leben, zwar unter harten Bedingungen, aber doch in irgendein Arbeitslager. Solche Menschen rechneten immer noch viel zu rational, sie glaubten: Dieser Herr Hitler kann nicht so dumm sein und Millionen williger Arbeitskräfte vernichten, die er doch dringend braucht, wenn er Millionen deutscher Männer als Soldaten an die Front schickt. Diese Rationalisten unterschätzten den ideologischen Fanatismus des Führers, der niemals nur den banalen Endsieg im Sinn hatte, sondern bis zum Zusammenbruch seines Reiches immer auch das unverwüstliche Ideal eines judenfreien Europas.
Am 2. April ’45, also unmittelbar bevor Adolf Hitler in den Selbstmord desertierte, diktierte er seinem Sekretär Martin Bormann:
In einer moralisch mehr und mehr durch das jüdische Gift verseuchten Welt muß ein gegen dieses Gift immunes Volk schließlich und endlich die Oberhand gewinnen. So gesehen wird man dem Nationalsozialismus ewig dafür dankbar sein, daß ich die Juden aus Deutschland und Mitteleuropa ausgerottet habe.
Die Realität überforderte die Phantasie der meisten Opfer. Man wollte nicht glauben, daß es nur und nur in den Tod geht. Ich kenne das auch aus den Erzählungen hier in Hamburg. „Die können uns doch nicht alle umbringen…“ – „Doch!“ sagte 1941 mein Großvater, der Elektriker John Biermann zu seiner Frau Louise und zu meinem Onkel Karl und meiner Tante Rosi. In den Tagen, als die Hamburger Juden sich auf der Moorweide sammelten, als sie sich zum Abtransport vom Sternschanzenbahnhof auf den Rampen des Hamburger Schlachthofs mit ihren Köfferchen und Bündeln bereit machten, da sagte der alte Mann:
Doch, doch! Die werden uns noch alle erschießen.
Seine Leute schimpften über solche Schwarzmalerei, keiner wollte ihm glauben. Und er behielt ja auch unrecht, denn die allermeisten Juden wurden nicht in Einzelabfertigung mit einer Kugel erschossen.
Die Täuschung funktionierte schon lange vor dem letzten Schritt durch eine Stahltür mit Gummidichtung, über der das Wort Duschraum stand. Die vierzigtausend Hamburger Juden zahlten bei der Deutschen Reichsbahn sogar brav die verbilligte Karte einer einfachen Gruppenreise ohne Retour, bevor sie in die Waggons kletterten. Als sie dann in die Gaskammern gingen, wurden sie aufgefordert, ihre Schuhe zusammenzubinden, damit sie sie nachher wiederfinden… In den Frankfurter Auschwitz-Prozessen wurde deutlich, daß die menschenfreundliche Schauspielerei der SS-Ärzte bis an die Schwelle der Gaskammern reichte. Und die Funktionshäftlinge des Lagers hüteten ihre Zunge. Es winkten auf diesem Weg in die Vernichtung zu viele Zeichen dafür, daß es zwar in ein schweres Leben, aber nicht in den sicheren Tod geht.
Aber gab es wirklich keinen nennenswerten Widerstand? Wenn ich Raul Hilberg lese, kommt es mir so vor, als ob auch er immer nur das große Kälberlied singt. Das bleibt sein Verdienst: Als erster hat er eine akribische Enzyklopädie über die Vernichtung der europäischen Juden zusammengetragen. In seinem dreibändigen Standardwerk ist er auch unserer heiklen Frage nachgegangen. Die Tatsache, daß es so gar keinen Widerstand unter den Juden gegeben habe, erklärt Raul Hilberg etwa so: Diese Juden hatten halt nur die tausendjährige Erfahrung immer mal wieder aufflackernder Pogrome, mit denen man eben leben mußte und… konnte.
Ich würde sagen: Das ist eine Art Gewittertheorie des Antisemitismus. Die Blitze schlagen ein, es donnert – und morgen scheint wieder die Sonne. Man kann nichts anderes tun, als sich zu verstecken, wegzulaufen, sich zu ducken. Es blieb nichts anderes übrig, als die vom Blitz erschlagenen Juden mit einem Kaddisch zu begraben und die niedergebrannten Häuser wieder aufzubaun. Und in der Tat war es eine jüdische Tradition, trotz aller Greuel immer wieder geduldig und hoffnungsstark auf bessere Zeiten hinzuarbeiten.
Diese sanfte Strategie hatte sich ja auch bewährt. Im 19. Jahrhundert machte die Judenemanzipation deutliche Fortschritte. Die Ghetto-Mauern fielen, immer mehr Juden assimilierten sich. Im Ersten Weltkrieg kämpften und starben deutsche Juden treuergeben und freudig fürs Vaterland. Seit an Seit mit den Gojim kämpften sie in der Armee des deutschen Kaisers gegen Gojim und Juden in französischen Uniformen.
Das ganze Judenproblem schien sich welthistorisch zu verflüchtigen. Der Gegensatz zwischen West- und Osteuropa, zwischen arm und reich, zwischen gebildet und ungebildet erschien tausendmal wichtiger als der zwischen Davidstern und Christenkreuz oder Hakenkreuz. Als 1933 die Weimarer Demokratie zerbrochen war, gab es Juden in Deutschland, die bereit waren, sich auch unter Hitler als loyale Staatsbürger zu bewähren.
Es gab akkulturierte deutsche Juden, die mit Verachtung auf die minderwertigen Ostjuden schauten. Es gab hier Juden, die schon lange kein Wörtchen mehr aus dem verachteten jiddischen Jargon im Hochdeutsch ihrer Kinder duldeten. Und sie tauften ihre Kinder nicht mehr Moses, sondern Moritz, nicht David, sondern Dagobert. In den zwanziger Jahren wurde unter Juden in Deutschland sogar der Name Siegfried besonders populär. Ein jüdischer Selbsthasser wie Karl Kraus hatte einen gradezu sportlichen Ehrgeiz, zu beweisen, daß er höher über die deutsche Sprachlatte springen konnte als die Deutschen, obwohl er doch auf einem jüdischen und auf einem österreichischen Bein daherkam.
Es gab sogar deutsche Juden, die Hitlers Antisemitismus für eine harmlose Jugendtorheit oder für eine Finte im Wahlkampf hielten. Eine Minderheit deutschnationaler Juden betrachtete den Aufstieg Hitlers mit Verständnis und Hoffnungen und sogar mit Sympathie – manch schwacher Mensch hätte sich gern eingereiht in die unaufhaltsamen Marschkolonnen der Nazis.
Diese Wahrheiten sind mehr oder weniger bekannt und müssen hier dennoch so penetrant wiederholt werden, weil sie alle in dieselbe Kerbe haun, die eben falsch ist. Die ganze Kälber-selber-Schuld-Arie liefert ein schiefes Geschichtsbild.
Die Soldaten der Roten Armee haben gekämpft und geblutet. Die westlichen Alliierten haben geblutet und gekämpft. Aber kein Volk hat sich so tapfer gegen die deutschen Massenmörder gewehrt wie… die Juden – als Interbrigadisten im Spanischen Bürgerkrieg, als Ghettokämpfer in Osteuropa, als Partisanen in den russischen Wäldern und in den polnischen Sümpfen gegen die Wehrmacht.
Jüdische Häftlinge kämpften und starben als Saboteure in der Todesfabrik Auschwitz. Man denke nur an die tapferen Frauen, die in der Munitionsfabrik „Union“ tagtäglich in kleinen Mengen so viel Pulver zusammenklauten, daß es dann für die Sprengung eines Krematoriums ausreichte. Im Januar 1945 wurden vier dieser Jüdinnen gehängt.
In der Achten britischen Armee kämpfte die Jewish Brigade Group. Als die englischen Häfen zerbombt waren und die deutschen U-Boote die Zufahrtsrouten kontrollierten, brach der Nachschub für die britischen Armeen ab, die in Nordafrika vor dem Ansturm der Truppen des General Rommel zurückweichen mußten. Dreißigtausend Juden kämpften damals als Freiwillige in der britischen Armee, und zweihunderttausend Juden in Palästina besorgten fast den gesamten Nachschub für die britischen Afrika-Armeen.
Als deutsche Truppen vom 20. Mai bis zum 1. Juni 1941 unter gewaltigen Verlusten um die Insel Kreta kämpften, den strategischen Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer, da bluteten auf Seiten der Alliierten besonders viele jüdische Kämpfer. Dreitausend Juden aus Palästina kämpften freiwillig in dieser Schlacht. Hunderte von ihnen fielen im Kampf, 1.700 gerieten in deutsche Gefangenschaft. Ihr hoher Einsatz hatte einen praktischen Grund: Eine Eroberung Palästinas durch die Nazis hätte zur Vollendung der Endlösung geführt. Jüdische Kämpfer ließen sich als Fallschirmspringer der Royal Air Force an allen Fronten hinter den Feindlinien absetzen. Eine von ihnen ist die ungarische Jüdin Hanna Szenes, die vor ihrem Tod ein kleines großes Gedicht schrieb, das heute in Israel die Kinder in der Schule lernen:
HANNA SZENES
Der Span sei gepriesen
aaada er verbraucht ward
aaaaaadie Flamme zu entzünden
Gepriesen sei die Flamme
aaadie sich verzehrt im heimlichen Schlag
aaaaaadem heftigen des Herzens
Das Herz sei gepriesen
aaadas stark genug war, stille zu stehn
aaaaaaum der Ehre willen
Gepriesen sei der Span
aaada er verbraucht ward
aaaaaadie Flamme zu entzünden
Es gab also den jüdischen Widerstand. Dabei rede ich noch gar nicht von den ungezählten Juden, die, wie auch mein Vater, als Kommunisten im Widerstand kämpften und die ihre „Jüdischkeit“ vergessen hatten oder verdrängt. Viele dieser Juden, merkten erst auf dem Weg in die Gaskammer, wo ihr toter Gott wohnt. Ja, es ist wahr, die meisten Juden waren wehrlos ausgeliefert, aber andere kämpften mit dem Mut der Hoffnungslosen und mit der radikalen Seelenkraft eines gequälten Volkes, das seine geschichtlichen Wurzeln lebendiger weiß als andere Völker.
Wer aber ist eigentlich und wer gilt als Jude? Shakespeares Shylock? der liebenswürdige Einstein? der Wanderrabbi Jesus? der Judenverachter Marx? die ermordete Rosa Luxemburg? der Judenhasser Weininger? der messianische Lubawitscher Rabbi Schneerson? der neurotische Woody Allen? die Stalinisten Slansky und Rajk, die Stalin ermorden ließ? der verzweifelte Ilja Ehrenburg im Zwielicht der Macht? der geniale Cockney Chaplin mit seinem beschnittenen Erzeuger? Ist Wladimir Wolfowitsch Ejdelschtajn ein Jude? Dieser großrussische KGB-Agent nennt sich seit kurzem Schirinowski und sagt:
Meine Mutter ist eine Russin und mein Vater ist ein Ju… rist.
Nach der Halacha, dem Gesetz religiöser Juden, kann als Jude nur geboren werden, wer eine jüdische Mutter hat. Bei den deutschen Nazis galt aber der paternalische Aspekt. Ich war also nach dem Nürnberger Blutschutzgesetz („Reichsgesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“) ein Mischling ersten Grades und hätte mich nach dem Fahrplan der Endlösung mit dem Ermordetwerden noch bis 1946 gedulden müssen.
Rasse, Religion, Kultur, Geschichte, Knoblauch, Vorhaut, Nase, Lippen, Zinswucher, Ethik, Pejes, Gebetsriemen. Ich weiß nicht, was ein Jude ist. Und seit ich in Israel so viele und grundverschiedene Freunde fand, weiß ich es noch weniger. Solche stillfrommen Juden, die ihr Leben lang Thora und Talmud in der Jeschiwa studiert haben, wissen es erst recht nicht. Sind die penetrant lauten links-zionistischen Muskeljuden in Israel noch Juden? Sie denken nicht darüber nach.
Das typisch Jüdische, was wäre denn das? Sollte es der schöpferische Geist sein? Den haben auch andere. Ist es der Glaube an den einen Gott? An den glauben auch Mohammedaner. Oder ist es vielleicht die raffiniertere Form des Fremdenhasses: die Fremdenliebe? – Diesen Trick beherrschen die verrückten Christen noch besser als die meschuggenen Juden, denn sie wollen nicht nur den Fremdling achten, sondern sogar ihre Feinde lieben.
Ist es die politische Wendigkeit des deutschen Amerikaners Henry Kissinger, der auf manchem arabischen Schoß schuckelte? Haben die japanischen Bankhaie andere Zähne als der jüdischen Broker an der Börse in New York? Ist das Volk der Juden etwa eine Brutstätte für die Aufzucht naturwissenschaftlicher Genies, da doch die Nobel-Preis-Jury in Stockholm so auffällig viele Menschen aus diesem winzigen Volk auszeichnet? Ich denke, diese ganze Ideologie der aufkommenden Judenvergötterung ist ein After-Antisemitismus, ist der modernere Versuch, den Juden ihre Menschlichkeit abzusprechen. Erst sollten die Juden ein Ungeziefer in Menschengestalt sein und jetzt unmenschliche Übermenschen. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Ich glaube, ein Judenkind ist nicht besser, klüger und cleverer als andere Menschenkinder. Die philosemitische Form des Antisemitismus pocht ja auf all diese vermeintlich angeborenen Vorzüge der Juden, um diese Leute dann umso eleganter in die Moral-Pfanne haun zu können.
Immerhin eine Besonderheit kann ich klar erkennen: Das Gedächtnis der allermeisten Juden für die aufregenden Geschichten ihrer Geschichte geht tiefer als bei anderen Völkern. Die Geschichten des Alten Testaments sind für das jüdische Volk eine Art Familienalbum. Solche erbaulichen Märchen wie die Flucht durch das Rote Meer aus der Sklaverei in Ägypten werden den Kindern alljährlich zu Pessach so lebendig weitererzählt, daß sie selber noch nasse Füße kriegen. Auch die nichtreligiösen Menschen Israels kennen die endlosen Klagen über die Bitternis des Exils in Babylon vor ein paar tausend Jahren. Wenn die Judenkinder ihren Karneval feiern, nämlich das Purim-Fest, dann wird mit einer naiv-blutrünstigen Freude der Sieg über den persischen Minister Haman gefeiert. Er wollte das ganze Volk der Juden vertilgen. Jedes jüdische Rotzlicht kann dir erzählen, wie toll es war, als die schöne Esther das Massaker abwendete und stattdessen ein Massaker an den Judenfeinden in Gang setzte. Alle zehn Söhne des gefürchteten Ministers wurden gleich mitgehenkt und dazu prophylaktisch mal eben 75.000 Menschen erschlagen.
Die Erinnerung an die Katastrophen der Geschichte bleibt lebendig. Wenn die Juden sich mal eine neue Thora zusammenstellen würden, dann könnten sie Katzenelsons Poem ohne Problem zwischen die populäre Geschichte vom Hiob und das Buch Ester setzen. Und so ist auch „dos lied vunem ojsgehargetn jidischn volk“ nichts als ein neu es Element in der Tradition dieses lebendigen Geschichtsbewußtseins. Der Holocaust ist keineswegs eine neue identitätsstiftende Religion oder Ersatzreligion, wie sich goische Juden und jüdische Gojim im Feuilletonwald zuraunen.
Eine klare und treffende Anmerkung zu dieser diffusen Juden-Frage findet sich bei Hannes Stein. Er schrieb im Modestreit mit Michael Wolffsohn und Rafael Seligmann einen Satz, der nicht mit dem Papier einer Tageszeitung verschwinden soll.
Entgegen einem landläufigen Vorurteil gab es zu keiner Zeit eine homogene jüdische Gemeinschaft. Die Juden bildeten immer nur eine heterogene Gesellschaft, die weder ethnisch noch kulturell zu definieren war. Zusammengehalten wurden sie nicht so sehr durch ,substantielle Werte‘ – die jüdischen Werte sind nicht substantiell, sondern universal. Was die Juden über die Jahrhunderte verband, war keine Heilsideologie, kein totalitärer gemeinsamer Nenner, sondern das gemeinsame Studium der Geschichte. Zu dieser Geschichte gehört auch der planmäßige und industrielle Mord an sechs Millionen jüdischen Frauen, Männern und Kindern.
Aus allem, was ich von Katzenelson las und aus dem, was ich über ihn von Menschen hörte, die ihn kannten, geht hervor, daß er weiß Gott kein religiöser Mensch war. Wohl kannte er die biblischen Geschichten mindestens so gut wie mancher Rabbi und gebrauchte sie bestimmt lebendiger als allerhand bleiche Talmud-Schüler. Die religiösen Regeln seines Volkes waren dem Dichter geläufig wie das Luftholen. Jizchak Katzenelson war mit allen hebräischen Wassern gewaschen, seine Lieblingspropheten Hesekiel und Jesaia kannte er vorwärts und rückwärts. Er rezitierte bei mancher Gelegenheit und bis zu seinem Tode diese Texte mit einer Inbrunst, die verführerisch, begeisternd und ansteckend war. Aber ich glaube, der glaubte an keinen Gott. Er war mehr ein frühsozialistischer, ein linker Zionist. Dies zu erwähnen ist nur von Interesse, weil dieser Dichter dennoch eine gradezu zärtliche Liebe auch für fromme chassidische Träumer und versponnene Gottessucher hatte.
Juden hatten niemals den Ehrgeiz – auch nicht den indirekten –, andere Menschen zu ihrem Judengott zu bekehren. Toleranz gehört zur Substanz des jüdischen Glaubens. Diese grundsätzliche Duldsamkeit nach außen wirkt wohltätig auch nach innen. Mit Liebe und Respekt schreibt Katzenelson in seinem Poem über die orthodoxen Jidden. Katzenelsons Haltung war sogar mehr als nur Duldung. „Toleranz“, schrieb Goethe, „sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“
Katzenelson war ein tief Gläubiger ohne Gott. Am Ende treffen wir uns alle wieder in der Liebe zu den Lebendigen. Auch meine ungläubigen Lippen beten immer noch voller Inbrunst zum Menschen, dem Gott all meiner Gläubigkeit. Diese Haltung fand ich wieder bei Jizchak Katzenelson, und sein wildverzweifeltes Gedicht bestärkte mich. Für seine letzten Lebensmonate, in diesem elenden Zimmer 107, war es Katzenelson gelungen, sich wenigstens zwei Bücher zu besorgen: Eine Bibel und einen Band mit Gedichten des jüdischen Klassikers Chaim Nachman Bialik.
Als mir die alte Ruth Adler in Ramat Hascharon erzählte, mit welcher Seelenstärke der todtraurige Dichter damals in Vittel auf all die Verzweifelten wirkte, da kratzte sie aus ihrem Gedächtnis ein paar Zeilen hervor, die Katzenelson oft vor sich hinsang: hebräische Verse von Bialik, ein Liebesgedicht. Gab es eine feste Melodie? Ich habe mir aus den aufgeschnappten Wortfetzen ein kleines Lied gebaut.
Dies Lied werde ich der alten Frau zur Gitarre vorsingen, wenn wir wieder an ihrem Tisch unter dem Foto des Dichters zusammensitzen. Dort wird dann das neue Buch liegen, mit dem Faksimile der Koffer-Version, die sie seit damals nie wieder sah: vergilbte Blätter mit der Handschrift des geliebten Menschen. Und dann wird sie mein hitziges Deutsch lesen. Dabei könnte das vereiste Deutsch ihrer Jugendzeit in Dresden auftauen. Sie wird sich daran erinnern, wie Jizchak Katzenelson ihr in diesem Hotel mit dem irren Namen „Vorsehung“ die neu entstandenen Strophen vorlas, und dann wird sie vergleichen.
NIMM MICH
Nimm mich unter deinen Fittich, liebes Mädel
Mutter, Schwester, Schätzchen, halt mich fest
Schutzdach sei dein Flügel für mein’ Schädel
Für Gebete ohne Gott
aaafür Gebete ohne Gott
aaaaaasei du mein Nest
Wolf Biermann, Vorwort
Nach allem, was ich las und nach all dem, was ich von Lebendigen, die ihn kannten, aufschnappte, war Jizchak Katzenelson ein Mensch, den die Juden in ihrer jiddischen Sprache „a mensch“ nennen. Und das heißt auf deutsch übersetzt nicht etwa ein Mensch, sondern bedeutet: ein guter Mensch, ein menschlicher Mensch – mitfühlend, heiter, neugierig, hilfsbereit und ein bißchen verrückt.
Katzenelson unterschied sich aber auch von allerhand guten Menschen: Er war heftiger und tatkräftiger. Das Leben tat ihm mehr weh, und er hielt mehr aus. Und das hörte ich von allen, die ihn erlebten: Er war offenbar ein begeisterter Begeisterer, ein großer Tröster und Verführer und Ermutiger – also ein lieber Menschenfresser.
Er schrieb hebräische Gedichte und Lieder und Theaterstücke. Er lebte vom Unterrichten und lebte fürs Unterrichten. Er ging auf zwei kräftigen Beinen durchs Leben, ganz Pädagoge und ganz Poet. Er geriet dabei nicht ins Humpeln, will sagen: er tat beides mit ganzer Seele. Und das Heiligste im Leben warn ihm nicht die ewigen unzerstörbaren Kunstwerke, weder die fremden noch die eigenen, sondern er liebte die verletzlichen Kinder, die eigenen wie die fremden. Seine Eltern hausten in einem Kaff in Weißrußland, nahe der Stadt Minsk. Als er 1886 auf die Welt kam, war er der Erstgeborene. Abraham, sein jüngster Bruder, war 20 Jahre jünger und fast schon wie sein Sohn. Bald zog die Familie um nach Lodz. Der Vater gründete einen reformierten Cheder, das ist eine Thora-Schule für Kinder. Aber das Lernen interessierte diesen Lehrer offenbar viel mehr als das Lehren.
Als Geldverdiener war der Alte eine Null, aber als Privatgelehrter und Literat eine große Nummer. Immerhin: Katzenelsons Vater Jakob Benjamin beteiligte sich an der Herausgabe der ersten hebräischen Enzyklopädie in Warschau.
Ein Sonderling war dieser Vater und ein verkrachter Dichter mit einer hölderlinschen Griechenlandliebe. Weil ihn die romantisierenden Shakespeare-Übersetzungen von Schlegel und Tieck ärgerten, verließ er für zwölf geschlagene Jahre die liebe Frau und seine hungrigen Kinder und reiste in die Schweiz, um ausgerechnet dort den Elisabethaner im Original zu studieren und zu genießen.
Weil kein Geld im Haus war, arbeitete der junge Dichter Jizchak schon nach der Bar-Mizwa als Kaufmannsgehilfe und danach als Lehrling in einer kleinen Textilfabrik, die einem Verwandten gehörte. Dennoch gelang es ihm, sich umfassend und tief zu bilden. Shakespeare gehörte zur näheren Verwandtschaft, Chaim Nachman Bialik und Scholem Alejchem waren seine Onkels. Petrarca, Gogol, Puschkin, Dante und Goethe waren seine Großväter, Plutarch sein Urgroßvater, Hiob war sein Urahne und Heinrich Heine sein Cousin. Religiös war Katzenelson nicht – aber als Autor der Bibel war und blieb Gott sein wichtigster literarischer Lehrmeister.
Mit der Ungläubigkeit der Juden ist das so eine Sache. Ich hörte einen hübschen Witz in den USA. Der kleine Junge kommt aus der Schule und erzählt seinen Eltern begeistert, daß der dreifaltige Christengott aus dem Vater, dem Sohn und dem heiligem Geist bestehe. Der jüdische Vater schreit:
Es gibt nur einen Gott, und wir glauben nicht an ihn.
Die Mutter des Dichters, Hinda, kam aus der Rabbinerfamilie Davidson. Sie war Lehrerin und brachte die Kinder durch. In einer Zeit, als gar nichts zu Essen da war, eröffnete sie eine Armenküche und fütterte so die eignen Kinder mit durch. Sie war eine unkonventionelle und tatkräftige Frau. Sie muß „unbeschreiblich weiblich“ gewesen sein. Aber zugleich hatte sie in der Familie die Hosen an und wurde deshalb respektspöttisch „Zar Nikolaj“ genannt.
1896, unter dem Eindruck des ersten Dreyfusprozesses, hatte Theodor Herzl seine Schrift Der Judenstaat verfaßt. Der aufkommende Zionismus und die Ideen des Sozialismus prägten das geistige Koordinatensystem, in dem diese Familie sich bewegte. Der kleine Katzenelson schrieb früh Gedichte, die auch publiziert wurden.
Solche Menschen wollten eine autarke jüdische Kultur schon in der Diaspora etablieren, und sie brannten darauf, sich selbst oder zumindest die kommende Generation auf ein Leben in Erez Israel vorzubereiten. So beschlossen die Katzenelsons um die Jahrhundertwende, mit ihren Kindern nur noch eine tote Sprache lebendig zu reden: Hebräisch. Als die Eltern beobachteten, daß die kleinen Brüder sogar schon in der uralten Sprache von Kain und Abel aufeinander losgingen, waren sie entzückt und befanden, daß das zionistische Sprachexperiment geglückt war.
Viele Juden, besonders in der osteuropäischen Diaspora, träumten um die Jahrhundertwende von einer Rückkehr ins Heilige Land. „Nächstes Jahr in Jeruschalajim…“ Und weil sie wild entschlossen waren, daß dieser Satz keine fromme Floskel bleibt, stürzten sie sich auch mit Feuereifer in die Sprache ihrer Urväter. Damit der Leser sich von der damaligen Stimmung unter jungen Juden ein lebendiges Bild machen kann, werde ich ein berühmtes Lied einfügen, das bis heute eine Art Hymne in Israel ist. Alle dort kennen es. Ein Saul Tschernichowski, der 1875 geboren wurde und 1943 in seinem Gelobten Land starb, schrieb dieses „Sachki Sachki!“ mit 17 Jahren in Odessa. Ich lernte das Lied von Amos Oz und seiner Frau Nili im blühenden Städtchen Arad, also mitten in der Negev-Wüste.
Ich hatte – wie immer – zufällig meine Gitarre dabei und drückte mir das bißchen a-moll und d-moll und E-7 schnell in die Finger der linken Hand, eine slawische Weise. Nili Oz sang mit ihrer verwehten Mädchenstimme, und Amos, der humorvolle Spötter, sprach die Strophen mit einem heilig feierlichen Ernst. Ich verstand nichts. Aber ich sah, wie ihn die Worte trafen, als kämen sie zum allerersten Mal an sein Ohr, und das hat mich angerührt.
Das großsprecherische Pathos des Originals ist uns fremd geworden. Aber all zu kleinsprecherisch wollte ich die deutsche Fassung nicht machen. Die Worte klingen genau so leidenschaftlich wie das große Lied des Eugène Pottier. Sozialistische Gerechtigkeitsideale und Völkerfrieden. Die sozialistische Internationale hat nicht das Menschenrecht erkämpft. Die Verdammten dieser Erde wachten nach der Revolution im GULAG auf und verhungerten.
Im allerbescheidensten Sinne aber, auf das Land Israel beschränkt, hat Tschernichowskis pathetisch zusammengereimter Menschheitstraum sich als wahrhaft prophetisch erwiesen. Die israelischen Kibbuzim sind die einzigen Inseln, auf denen sozialistische Ideale praktisch gelebt werden. Es sind keine Inseln der Seligen in einem Narrenparadies. Aber immerhin: Tel-Aviv ist auf Sand gebaut und steht doch fest. Das mag der Grund sein, warum das Lied des jungen Träumers in Israel populär blieb. Wenn dort einer dieses Lied anstimmt, dann bleiben alle nach außen hin lässig sitzen, aber innerlich erheben sie sich feierlich. Man kennt und singt alle Strophen, obwohl Tschernichowski dies Gedicht im hohen Ton eines biblischen Hebräisch schrieb.
Saul Tschernichowski
CREDO
Liebchen, du verlach das Träumen
Ich, der Träumer, sag dir: Lach!
Weil ich doch an Menschen glaube
Weil ich mir noch Hoffnung mach
Meine Seele lechzt nach Freiheit
Goldne Kälber brauch ich nicht
Dir glaub ich, und ungebrochen
Glaub ich an des Geistes Licht
Dieses Licht sprengt eitle Ketten
Es verschleucht des Herzens Not
Wer da schafft, soll nie mehr hungern
Brot genug! und auch Seelenbrot
Lach, weil ich an Freundschaft glaube
An dein Herz, das blüht und reift
Das mein Hoffen teilt und stachelt
Freude spürt und den Schmerz begreift
Ja, ich träum sogar ’ne Zukunft
Doch ein Schwärmer bin ich nicht
Friede kommt und macht die Völker
Doch am Ende noch brüderlich
Endlich kommt mein Volk nach Hause
Neue Menschen wachsen nach
Frei von Haß und frei von Ängsten
Frei von all unsrer Sklavenschmach
Wir wolln schaffen, lieben, leben
Wirklich im Gelobten Land
Häuser baun, nicht in den Wolken
Aber in den Wüstensand
Und dann denkt ein neuer Sänger
Blumen sich voll Anmut aus
Meinem Grab entsprießt dann die Rose
Für sein’ schönsten Liederstrauß
Die politischen Erschütterungen der Februarrevolution 1905 in Rußland gingen auch an der großen Industriestadt Lodz nicht vorbei. Als das zaristische Regime sich an den geschlagenen Aufrührern rächte, floh Jizchak Katzenelson nach Warschau. So entwischte er nicht nur seinen Häschern, sondern geriet in das Zentrum einer sich entwickelnden hebräisch-jiddischen Literaturszene. Er traf dort berühmte Literaten und Dichter wie Isaak L. Perez, David Frischman, Salman Schneur und H.D. Nomberg, die ihn beachteten.
Jizchak Katzenelson gründete dann und leitete in Lodz eine hebräische Privatschule, in der Jungen und Mädchen mit modernen Lehr- und Erziehungsmethoden vom Kindergarten bis zum Abitur gebracht wurden. Die Schule florierte, und so gelangte die Familie endlich zu einem bescheidenen Wohlstand. Ansonsten engagierte Katzenelson sich für das jüdische Waisenhaus in Lodz und knüpfte zusammen mit ähnlichen Schulen ein festes Netzwerk.
Für seine Schüler brauchte er brauchbare Schulbücher. Also verfaßte er moderne Kinder-Lieder und neue Gedichte und kleine Theater-Szenen. Er schrieb auch biblische Geschichten so auf, wie er sie für den säkularen Unterricht brauchte – all sowas gab es ja in der hebräischer Sprache noch nicht.
1910 waren seine ersten hebräischen Gedichte in Warschau unter dem Titel Dimdumim erschienen – zu deutsch: Die Dämmerungen. Er schrieb aber auch Feuilletons, lebendige Geschichten über die Leute in den jüdischen Schtetlach.
Sein Drama Anu chajim umetim war das erste hebräische Stück, das vom jüdischen Theater Habima in Moskau gespielt wurde. Nebenbei gründete er 1912 in Lodz ein hebräisches Theater und schuf populäre Stücke – mit denen die Schauspieler in ganz Osteuropa auf Tournee gingen. Es muß ein lebendiges Leben gewesen sein. Die Photos aus dieser Zeit, die ich im Archiv des Kibbuzes Lochamej Hagetaot fand, zeigen einen wohlgenährten reifen Mann mit Glatze: Ein selbstbewußter Schuldirektor und erfolgreicher Theaterimpresario, ein potenter Schriftsteller und ein geachtetes Mitglied der jüdischen Gesellschaft, kurz: ein Mann in den besten Jahren. Das Familienphoto zeigt: der ruht in der Liebe zu seiner schönen jungen Frau und seinen drei prächtigen Söhnen.
Katzenelson wurde oft mit Hiob verglichen, und das ist schon deshalb absurd, weil dessen schlimme Geschichte ja gut ausging:
Und Hiob starb alt und lebenssatt.
Aber in seiner guten Zeit ging es Katzenelson so gut wie dem Hiob in dessen guter Zeit, also bevor Gott die brutale Schamlosigkeit beging und wie ein süchtiger Spieler mit dem Teufel um des frommen Mannes Seele pokerte.
Die Floskel, Katzenelson sei auf dem Foto mit seiner jungen Familie ein Mann „in den besten Jahren…“ soll bedeuten: Katzenelson war schon etwas älter, als er endlich heiratete. Sein Neffe Benni verriet mir auch warum: Der Dichter hatte seine Jugendjahre in einer romantischen Liaison mit einer reifen Frau genossen. Es war die schöne Mutter der Gattin seines Bruders. Über seine Geliebte schrieb er den komischen und hinreißenden Satz:
Keine deutsche Frau war so tief ergriffen von Beethoven wie du, Esther Dombrowska…
Aber das normale bürgerliche Leben nahm seinen Lauf. Der Schuldirektor heiratete dann seine hübsche und kluge Sekretärin Hanna, und er schwamm mit ihr im Glück durch einen Blumenstrauß aus Odessa, gemalt von Marc Chagall.
Zwei Mal in den dreißiger Jahren besuchte er auch im Gelobten Land seinen Bruder Abraham im Kibbuz Shefaim und seine berühmten Cousins Jizchak Tabenkin und Berel Katzenelson. Berel galt als der zionistische Kautsky, und Tabenkin war ein führender Kopf der Kibbuz-Bewegung. Als sie den Dichter drängten, mit seiner Familie bei ihnen zu bleiben, sagte er: Ich hab noch in Polen zu tun – und fuhr zurück. Das zionistische Palästina war sein Traum, aber das antisemitische Polen war sein Leben.
Mit dem Überfall der Deutschen auf Polen hatten diese heiteren Jahre ein Ende. Acht Tage nach Kriegsbeginn eroberten die Deutschen Lodz, wo der Dichter 35 Jahre gelebt hatte.
Anders als in Warschau liquidierte die Gestapo in Lodz erstmal die jüdische Führungsschicht und zerschlug jüdische Organisationsstrukturen, die sie im Warschauer Ghetto benutzte, um den Massenmord eleganter zu organisieren. Katzenelson versteckte sich bei verschiedenen Freunden, denn er wurde von der Besatzungsmacht gesucht. Nach drei Monaten hörte er endlich auf seine Frau und floh nach Warschau.
Die Gestapo requirierte seine Schule als ihr Hauptquartier. Als die Stadt Lodz judenrein gemacht und nun unter dem Namen Litzmannstadt dem Deutschen Reich zugeschlagen worden war, gelang es seiner Frau Hanna (1900–1942) mit den drei Söhnen Zvi, Ben Zion und Jom auch nach Warschau zu entkommen. Katzenelson war selig, daß er wieder mit seinen liebsten Menschen zusammen war – und es machte ihn zugleich todtraurig, daß er ihren elenden Zustand nicht wenden konnte.
Viele polnische Juden versuchten damals, in die zerbombte Hauptstadt zu fliehn, denn dort hofften sie, in der Solidarität einer riesigen jüdischen Bevölkerung besser geschützt zu sein. Aber von überall strömten die Flüchtlinge in die Trümmerstadt und verschlimmerten noch den Hunger und die Wohnungsnot. Die Familie vegetierte in wachsendem Elend und geriet mit all den anderen Juden Schritt für Schritt in eine lähmende Niedergeschlagenheit. Die neue Situation hatte dem Dichter die Sprache verschlagen. Aber langsam rappelte er sich wieder auf, so wie andere auch. Er begann gegen den verordneten Tod anzukämpfen. Er verband sich enger mit der sozialistischen und zionistischen Jugendorganisation DROR (zu deutsch: Freiheit). Er las mit neuen Augen seine geliebten Hiob und Jesaja und Hesekiel und haderte mit ihnen. Er warf ihnen vor, daß sie gar keine Propheten seien, sondern Schwätzer. Er verübelte es ihnen, daß sie den Untergang des jüdischen Volkes mit keiner Silbe vorhergesagt haben. Dabei hatten er selbst und die allermeisten Juden nicht die Phantasie gehabt, aus den Grausamkeiten der deutschen Besatzer, aus den Massenerschießungen und wachsenden Schikanen zu folgern, daß es einen Plan zur Ausrottung des ganzen jüdischen Volkes geben könnte. Man nahm es mehr als die deutsche Version eines traditionellen Antisemitismus, wie man ihn auch von den Polen und den Russen gewöhnt war. Denke nur an das Lied von Mordechaj Gebirtig über den polnischen Pogrom von 1938:
Es brent, briderlech, es brent…
Das war ja noch vor dem Einmarsch der Deutschen.
Was später „Endlösung“ genannt wurde, überstieg den finstersten Erfahrungshorizont der Juden. Man erwartete Massaker, aber keinen Völkermord.
Der euphemistische Terminus „Wohngebiet der Juden“ für das Ghetto täuschte die Allermeisten. Im Nachhinein notierte Katzenelson seinen Eindruck aus der ersten Zeit nach der Besetzung Polens:
In den ersten Monaten nach Ausbruch des Hitlerkrieges wurde ich Zeuge von Greueltaten, von Deutschen verübt, die ich nicht zu Papier bringen kann, weil es keine Worte gibt, die deren Grausamkeit angemessen widergeben. Damals wurden täglich nur hie und da eine Anzahl Juden ermordet, so daß es aussah wie beiläufige, zufällige Untaten, obgleich sie auf Befehl ausgeführt wurden, in Übereinstimmung mit einem sorgfältig vorbereiteten Plan.
Im Laufe des Jahres ’42 wurden Katzenelsons Gedichte und Texte immer düsterer, immer bitterer und voll böser Ahnungen. Am Sederabend 1942, als das Pessachfest gefeiert wurde, traf Katzenelson sich im Ghetto mit Lehrern. Die Haggada wurde gelesen, das ist der Bericht über die Flucht der Juden aus der ägyptischen Knechtschaft. Wie üblich wurde des Propheten Elias gedacht, des Trösters der Elenden und des Boten der Hoffnung auf den Erlöser. Aber Katzenelson sah schwarz. Er sagte den jungen Leuten in einer kleinen Rede, die überliefert ist:
Richtet euch darauf ein, daß diesmal mit unserem Propheten Elias auch der Engel des Todes kommt und uns, anders als wir immer hofften, erlöst.
Am Vorabend des hohen Trauertages (Tischa be Aw), an dem die Juden der Zerstörung Jerusalems gedenken, kam das, was alle erwartet hatten: Die Räumung des Warschauer Ghettos. Als am 22.Juli ’42 die Deportationen losgingen (in der Nazi-Sprache: „Aktion zur Übersiedlung“), hörte auch der heimliche Schulbetrieb im Ghetto auf. Etwa eine halbe Million Juden wurden nach und nach auf dem Umschlagplatz in die Waggons gepfercht und gingen ins Gas von Treblinka.
Als die Deutschen plötzlich forderten, daß täglich nicht sechs-, sondern zehntausend Juden sich zur „Umsiedlung“ – also zur Reise in den Tod bereithalten sollten, nahm der Vorsitzende des Warschauer Judenrates Adam Czerniaków sich das Leben. „Mehr“, sagte Marcel Reich-Ranicki, der in dieser Zeit für den Judenrat im Ghetto als Übersetzer arbeitete, „mehr kann man von einem Menschen nicht verlangen“. Czerniaków hatte im Grunde auch die Funktionen eines Bürgermeisters inne: Versorgung, Armenküchen, kommunale Hygiene, Polizei. Er mußte die Befehle einer mörderischen Besatzungsmacht befolgen oder quittieren. Unter seiner Leitung hatten seit dem Einmarsch der Deutschen 25 verschiedene Abteilungen gearbeitet mit insgesamt 6.000 Angestellten.
Er wurde angefeindet und von der Untergrundbewegung scharf kritisiert. Juden wie Katzenelson trauerten diesem Mann nicht besonders nach, denn sie hielten ihn für ein willfähriges Werkzeug in den Händen der Deutschen. Nach allem, was man inzwischen weiß, seine Tagebücher wurden gefunden und auch veröffentlicht, war er ein zutiefst aufrichtiger Mensch, der an einem tragischen Konflikt zerbrach. Katzenelsons Verachtung gegen die jüdische Polizei war grenzenlos. Aber ganz am Anfang, als das Ghetto eingerichtet wurde, sah alles noch nicht so menschenfeindlich aus.
Am 21.12.1940 notierte der betagte Lehrer Chaim Aaron Kaplan:
Die Bewohner des Ghettos fangen an zu denken, sie seien in Tel-Aviv. Kräftige, zuverlässige Polizisten aus den Reihen deiner Brüder, zu denen du in Jiddisch reden kannst… Ein jüdischer Polizist, ein Mann mit menschlichem Feingefühl… einer von unseren eigenen Brüdern.
Später wurden die Polizisten verflucht. Und als die Deportationen nach Treblinka losgingen, waren diese jüdischen Polizisten der Schrecken des Ghettos.
Katzenelson erinnerte sich am 22. Juli ’43 in seinem Tagebuch so an das Ghetto:
Diese Polizisten – und zwar ohne Ausnahme – waren das Niedrigste vom Niedrigen, verdorben bis ins Mark, von niederträchtigster Gesinnung. Jeglicher Kontakt mit ihnen ist widerlich. Sie sind genau das richtige Menschenmaterial für die Deutschen. Diese Sorte Mensch war eine reiche Beute für sie. Gleich und Gleich gesellt sich gern. Die Raubtiere, die Deutschen kneteten diesen verfaulten Teig, schoben ihn in ihren Ofen, und raus kam jener häßliche verdrehte Bastard, der sogenannte jüdische Polizist, bar jeglicher Jüdischkeit und bar jeglicher Menschlichkeit. Er ist ein deutsches Produkt, Geist vom Geiste dieses mörderischen Volkes.
Obwohl der alte Jizchak Katzenelson zu den „unproduktiven Elementen“ gehörte, die zuallererst von der Polizei zum Umschlagplatz geschleift wurden, gelang es ihm, mit Hilfe von Freunden, einen der begehrten Arbeitsplätze in einem der kriegswichtigen Betriebe im Ghetto zu ergattern. Er besaß auch einen Arbeitsausweis, der ihn vor Deportationen retten sollte. Als Vater und Sohn am 14. August ’42 aus der Fabrik kamen und merkten, daß Hanna und die beiden Kleinen, Ben Zion und Jom, deportiert worden waren, geriet Katzenelson in einen vernunftseisigen Wahnsinn. Er schrieb nun wie besessen und fast nur noch in der verachteten jiddischen Sprache.
Am 18. Januar brach die erste Revolte im Ghetto aus. Katzenelson wurde mit einer Gruppe junger Kämpfer der DROR von den Deutschen belagert. Er soll in diesem Moment gesagt haben:
Ich bin glücklich, daß ich zusammen mit den Chaluzim sterben werde. Wir gehn zugrunde mit der Gewißheit, daß das jüdische Volk auf immer und ewig leben wird.
Es gelang den Eingeschlossenen, zwei deutsche Soldaten zu töten und für diesmal den Angriff auf ihr Haus zurückzuschlagen. Die Episode erzählt der Dichter denn auch in seinem Großen Gesang.
Kurz vor dem großen Ghettoaufstand, der am 19. April ’43 begann, hielt Katzenelson eine Rede:
Wir müssen kämpfen. Wir müssen das Glück genießen, wenn schon, dann im Kampf unterzugehn…
Als der Aufstand endlich losging, war Katzenelson erleichert und tief befriedigt. Er sah ja nur noch die Alternative, abgeschlachtet zu werden oder im Kampf zu fallen.
So war es selbstverständlich, daß er und sein Sohn im Ghettoaufstand mitkämpften. Und dies ist genau der Moment, wo das Poem endet. Der bewaffnete Widerstand war in diesem modernen Drama die Katharsis – wie im Leben, so im Kunstwerk. Die dramatische Logik dieses großen Klageliedes verlangte als Finale einen Bruch: das Ende der Klage.
Aber das Leben des Dichters war mit dem Ghettokampf noch nicht am Ende. „Antek“ Jizchak Zuckermann, ein legendärer Kommandeur der ZOB (Jüdische Kampf-Organisation), die Kämpfer der Jugendorganisation DROR und die Kämpfer der HECHALUZ beschlossen, den alten Katzenelson und seinen Sohn Zvi auf die arische Seite zu schaffen. Ein provisorisches Versteck wurde für die beiden in der Marszalkowska-Straße 118 vorbereitet. Ein Schmuel Schejnberg hatte Beziehungen zum Schop „Toebbens“. Diese Fabrik war eine jüdische Insel im polnischen Teil Warschaus. Dorthin wurden Sohn und Vater und noch ein paar „Prominente“ durch arische Straßen geführt, die früher zum Ghetto gehört hatten. Von dort aus konnte man leichter in den arischen Teil der Stadt schleichen. Ein polnischer Torwächter versteckte Katzenelson und schleuste ihn in einen Keller, der mit Geldmitteln der jüdischen Gemeinde unter dem Gewächshaus des polnischen Gärtners Mizceslaw Wolski in der Grojecka-Straße gebaut worden war. Dort saß Katzenelson drei Wochen zusammen mit 25 anderen Menschen bis Mitte Mai.
Dort erfuhr K. von einem Daniel Gusik, daß es die Chance gebe, echte südamerikanische Pässe zu besorgen, in die man seinen Namen eintragen könne. Diese Pässe hatten Juden in der Schweiz von verschiedenen hilfsbereiten südamerikanischen Botschaften und Konsulaten ergattert und sie dann nach Polen geschickt, um bestimmte Menschen aus dem Ghetto zu retten.
Als die Pässe endlich in Warschau ankamen, waren die allermeisten Juden, für die diese Pässen bestimmt waren, längst umgebracht. Die Gestapo hat sich also diese Pässe gekrallt und ließ sie auf der arischen Seite in Warschau im Hotel Polski von jüdischen Mittelsmännern verkaufen.
Mit diesem Köder lockte die Gestapo wohlhabende Juden aus ihren Verstecken im arischen Teil der Stadt und machte noch einen Gewinn. Außerdem hatten die Deutschen ein Interesse daran, sogenannte Austauschjuden zu sammeln, die man gegen internierte Deutsche im feindlichen Ausland eintauschen wollte.
Ein Paß kostete 500 bis 1.500 US- Dollar oder 100.000 Zloty. Ein Kontingent wurde von der Gestapo direkt an Juden und ihre Familien kostenlos verteilt, die sich als Oberpolizisten oder Spitzel im Ghetto besonders verdient gemacht hatten. Ein Teil der Pässe wurde aber auch von der Widerstandsbewegung für ihre Leute von den Mittelsmännern der Gestapo erpreßt oder gekauft.
Obwohl Antek Zuckermann mißtrauisch und gegen die Tour mit den Pässen war, nahm Katzenelson für sich und seinen Sohn die Papiere aus Honduras. Wir wissen heute, daß er im Keller unter dem Gewächshaus wahrscheinlich überlebt hätte. So starb er womöglich, grad weil er seine Überlebenschancen verbessern wollte. Aber das ist eine Rechnung mit zu vielen unbekannten Größen. Man könnte genauso gut sagen: Er überlebte als Dichter seines Volkes, weil er sich in Vittel die Frist verschaffte, die er noch brauchte, um das Poem über den Untergang seines Volkes zu schreiben. Wer kann wissen, ob Katzenelson im Bunker unter dem Gewächshaus sein unsterbliches Poem überhaupt zustandegebracht hätte.
Am 22. Mai ’43 kam Katzenelson zusammen mit sechzig anderen Paßbesitzern aus Warschau im Vorzugs-KZ Vittel an. (Offiziell war es ein ILAG: Internierten-Lager Vittel. Front Stalag Nr. 194.) Die Zusammensetzung der Gruppe muß herzzerreißend heterogen gewesen sein. Wenn ich an die Passagen in Katzenelsons Poem denke, in denen er die jüdischen Verräter schildert, kann ich mir des Dichters Gemütsverfassung vorstellen, denn er mußte nun mit all den falschen Lateinamerikanern aus Warschau unter dem einem Dach des Hotels PROVIDENCE leben. Reiche Juden, jüdische Kollaborateure und jüdische Kämpfer. Eine dramatische Konstellation zum Verrücktwerden ! Dort hausten an die dreihundert polnische Juden mit solchen dubiosen Pässen, unter ihnen 67 ganze Familien.
Gemessen am Vegetieren im Warschauer Ghetto ging es Katzenelson nun gradezu luxuriös. Er hatte Muße, sich heftig über Lappalien zu ärgern, darüber, daß sein Sohn Zvi rauchte und sich in ein nichtjüdisches Mädchen verliebte. Er notierte:
Während der letzten zehn Monate hatte ich nicht ein solch geräumiges Zimmer, geschweige denn eins mit solch einem Bett zum Schlafen drin. Und trotzdem habe ich viel größere Angst vor Bedrückungen als je vorher.
In sein Vittel-Tagebuch notierte er eine Beobachtung aus dem Fenster des Providence:
Ich sehe gegenüber jüdische Frauen. Sie reden ordinäres Polnisch. Sie kreischen. Sie sehen wie Nutten aus. Wenn sie nicht so kreischen, kann ich in Ruhe weinen.
Als jemand bei offenem Fenster Geige übte, giftete Katzenelson in seinem Tagebuch:
Falls die Mörder meiner Frau und meiner Söhne mich nicht umbringen – dann wird es diese Geige tun…
Man soll also nicht mutmaßen, Katzenelson sei ein Trauerkloß gewesen. Im Gegenteil, der Humor und die Selbstironie verließen ihn nie. Er munterte seine verzweifelten Freunde auf und war in all seiner Niedergeschlagenheit oft auch ausgelassen und übermütig und sang bei jeder Gelegenheit Lieder vor. Ohne Instrument, nicht grade bel canto, aber laut und mit Lust und Leidenschaft. Katzenelson hielt sich in Vittel streng abseits und verkehrte nur mit fünf, sechs zuverlässigen Freunden, unter ihnen Dr. Nathan Eck aus Lodsch und Myriam Novitsch, eine junge polnische Kommunistin, die sich als christliche Nichtjüdin ausgab. Eng freundete er sich im Lager auch mit einer Dresdener Jüdin an, die aus Nazideutschland nach Palästina entkommen war. Sie hatte aber den Fehler gemacht, mit ihrem britischen Palästina-Paß nochmal nach Frankreich zu reisen, und dort war sie von den Nazis gekascht worden. Ihr Name: Ruth Adler. Sie war blutjung, tief religiös und… verzaubert von Katzenelson. Er vertraute ihr, und sie rettete sein Poem durch alle Kontrollen und Fährnisse und überbrachte die fünfzehn Zettelchen und ein Testament der Familie des Dichters.
Ich fragte Ruth Adler:
Wie sah Katzenelson aus in Vittel? Die Tuschezeichnung aus dem Ghetto zeigt ihn wie einen verhungerten Totenkopf.
Sie sagte:
Er hat mir vorgelesen, seine neuen Gedichte, aber oft auch die Propheten. Er las den Hesekiel so wild, als hätte er es grade selbst geschrieben. Er war besessen, nahe am Verrücktwerden. Er hat geweint. Ich hab ihn gehalten. Er hat gelacht. Wie soll schon ein Dichter aussehn, der grade den Untergang seines Volkes erzählt…
Keiner durfte wissen, daß er heimlich schreibt. Er schloß das Zimmer ab, wenn er schrieb.
Mein Name und was ich getan hab, ist vergessen. Alle reden nur von Myriam Novitsch, weil sie das Museum in Lochameij Hagetaot aufgebaut hat. Sie reiste rum und erzählte Gott und der Welt ihre Geschichte mit den Flaschen, soll sie. Aber ich hab das Manuskript gerettet… aus deutschen Händen… und konnte dafür getötet werden. Myriam grub die Flaschen erst aus, als es nicht mehr gefährlich war…
Ich fragte Benni Katzenelson, der Myriam Novitsch gut kannte und Ruth Adler gut kennt. Er lachte mit seinem schiefen Zahn und mit seinen graden Augen und sagte:
Mensch! Natürlich war es auch eine Love-Story. Zwei sehr junge Frauen, die beide verliebt waren in einen reifen und verzweifelten Mann, der seiner ermordeten Frau und seinen Kindern wie im Wahnsinn nachtrauerte und seinem ganzen Volk. Und beide in aller Unschuld eifersüchtig aufeinander auch nach seinem Tod und bis in den Tod. Ich bezweifle sehr, daß mein Onkel mit den beiden Frauen was gemacht hat. Aber beide haben ganz bestimmt mit ihm was gemacht: sie retteten sein großes Gedicht, die eine mit den Flaschen, die andre mit dem Koffer. Ganz egal – beide weihten danach ihr Leben dieser begeisternden Begegnung. Ruth Adler, sie war religiös und mystisch veranlagt, lebte aber nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948, an dem sie teilnahm, ein normales Menschenleben und heiratete einen älteren Mann genau in Katzenelsons Alter.
Myriam Novitsch, ein rationaler Mensch, tatkräftig, antireligiös. Sie lebte im Kibbuz immer zusammen mit vielen Menschen und war im Kollektiv sehr einsam. Sie hatte sich als Kommunistin in der Resistance frische Blumen unter den weiten Rock gesteckt. Dann war sie zu einer Stelle gegangen, wo grade ein Märtyrer des Widerstands ermordet worden war, und ließ an der Stelle die Blumen fallen. Dabei wurde sie von der französischen Polizei erwischt und an die Deutschen ausgeliefert. So war sie ins Lager Vittel geraten. Dort versuchte sie, sich als fromme Christin zu retten. Die Begegnung mit Katzenelson hat aus ihr wieder eine jüdische Jüdin gemacht. In ihren Erinnerungen ist das schön beschrieben. Sie widmete ihr Leben dem Aufbau des Museums, das Katzenelsons Namen trägt. Und sie kümmerte sich unbeirrbar um die Verbreitung seines Werks. Beide Frauen entsprechen zwei Traditionen im Judentum: der aufklärerisch-sozialistischen, der rationalen Richtung – und der chassidisch-romantischen.
Katzenelson hatte, kaum im Lager Vittel angekommen, gleich wie besessen losgeschrieben: Er stürzte sich in ein Projekt, das ihn von dem Alptraum ablenken sollte, den er in Warschau erlebt hatte. Er schrieb drei Szenen für Hanibal, ein Theaterstück über den Untergang der Stadt Karthago. Aber dann schmiß er hin. Die Flucht in ein dermaßen abgelegenes Thema half ihm nicht. Er konnte den Monstern der Erinnerung und dem Schmerz um den Verlust seiner liebsten Menschen nicht entfliehn. Also stürzte er sich wieder in das Thema, das ihn sowieso nicht losließ, und schrieb seine qualvollen Erinnerungen im Tagebuch nieder.
Natürlich gab es immer Streit unter den Juden über die Frage, ob man sich assimilieren sollte oder lieber heute als morgen ins Gelobte Land übersiedeln. Katzenelson selbst, wie wir ja sahn, war in diesem Punkte nicht immer einer Meinung. Er schwankte schon in den 20iger und 30iger Jahren zwischen dem Wunsch, in Erez Israel zu leben und doch lieber in Polen in der vertrauten Welt sich zu bewähren. In seiner Wut auf die jüdischen Verfechter der „doigkeit“, also gegen die führenden Vertreter jener Konzeption, die für das Dableiben, für das Verharren in der Diaspora eintraten (do : da), notierte Katzenelson am 24. Juli ’43:
Hätte es Millionen Juden im Lande unserer Vorfahren gegeben, dann würden diese nicht nur dort am Leben geblieben sein… gerettet, sondern die verkommenen Bestien, diese Deutschen, hätten es nicht gewagt, nicht mal in der Diaspora, uns anzurühren. Weder das britische Ränkespiel, noch die Waffen der nazistischen Weltzerstörer hätten sich uns in den Weg gestellt. Ihr alleine seid es, wertlose, jämmerliche Lumpen, die unser Volk betrogen habt.
Starke Worte in der Wut geschrieben gegen Juden, die anders dachten als Katzenelson, die aber genauso ins Verderben gerieten und schon ermordet waren.
Ihn lähmte und stachelte zugleich die Angst, daß wenn er als einer der wenigen Überlebenden es nicht aufschriebe, später kein Mensch, auch kein Jude in Amerika, die Wahrheit über den perfekten Völkermord glauben würde. Am 20. August ’43 schrieb er:
Wer wird um uns trauern? Wer wird für uns ein Denkmal errichten?
Seine Grundhaltung hatte sich in einem wichtigen Punkt geändert. Er dachte und fühlte nicht mehr nur nach dem jüdischen Grundsatz der Heiligkeit des Lebens um jeden Preis (Kiddusch ha Chaim), sondern nun auch nach dem Gesetz der Heiligkeit des Märtyrertodes (Kiddusch ha Schem). Wenn schon sterben, dann mit Würde und Stolz und Trotz.
Weder sein lebensfrohes Temperament noch seine früheren romantischen Gedichte und Lieder über die Liebe und das Licht und seine gereimten Schwärmereien über irgendwelche allerschönsten Nächte im verheißenen Lande Kanaan, und schon gar nicht seine drolligen Kinderlieder prädestinierten ihn eigentlich als Autor für den Großen Gesang vom Untergang des jüdischen Volkes. Von ihm konnte man ein Glas frisches Wasser erwarten, ein Fäßchen Kinderbrause, ein Kübelchen Kwaß oder einen Kasten Sekt, aber nicht den schmerzaufreißenden Bittersaft aus Galle und Haß und Herzblut und Tränen. Dennoch wurde genau dies seine Bestimmung. Und ich weiß auch genau warum: Zwei Tage nach dem jüdischen Neujahrsfest (Rosch ha-Schana), also am 3. Oktober 1943, schnarchte Gott im Himmel. Aber um die Mittagszeit riß ihn ein Höllenschreck aus dem Schlaf. Nachdem er über 5711 Menschenjahre (das sind fünf Götterminuten) in einem Nickerchen vor sich hingedöst hatte, wachte er röchelnd auf. Ein Brechreiz würgte ihn. Der, dessen Name nicht genannt werden darf, der Schreckliche, der König der Weltzeiten, der Unvergängliche, der Alleinige, der Lebendige, der grausame Vater des auserwählten Volkes, der Einzige und Einige, der Eifrige und der Eifernde, der Barmherzige und der Rachsüchtige – soll er genannt sein, wie er will –, er hustete sich jedenfalls die Seele aus dem Hals. Dem Gott Israels war nämlich plötzlich ein ätzender, ein ekelhaft süßlicher Rauch in die Lunge geraten. Ein millionenfaches Menschenopfer stieg stinkend von der Erde hoch, der Qualm verpestete ihm seine hinteren Himmelsgemächer. Gott sprang auf, rieb sich die brennenden Augen und starrte herunter auf die Menschenwelt. Da dämmerte ihm, was mit seinem auserwählten Volk geschehen war. Er traute seinen Augen nicht, denn er erkannte – deutlich wie auf einem Photo der alliierten Luftaufklärung – die geometrische Struktur der Barackenstadt Birkenau, also das Lager Auschwitz II. Er sah die qualmenden Schornsteine der Krematorien. Als er tiefer gesunken war, entdeckte er sogar die Eisenbahngleise, die an der Rampe endeten. Er sah den Stacheldraht auf den Porzellanknöpfen. Gott hörte die Lagerkapelle den Todestango aus dem JANOWSKA-Lager spielen. Dann sah er mit eigenen Augen, wie grade ein Transport Juden aus Lemberg ankam, danach ein Transport aus Lublin. Man brach grade die Plomben der Verschlußriegel weg, die Schiebetüren der Waggons wurden aufgerissen. Kadavergestank stieg ihm in die Nase, der Kot quoll mit den Menschen und Erbrochenem auf die Rampe. Über tausend Menschen taumelten unter Schlägen, Gebrüll und Hundegebell aus den Ladeluken herunter auf den Bahnsteig. Sie waren über den Rand eines wahnsinnigen Durstes in eine apathische Vernünftigkeit gekippt. Verwirrt stellten sie sich, nach Geschlechtern getrennt, in Reihen auf zur Selektion. Jeder zehnte wurde zur Arbeit ausgewählt, die anderen tappten zu den Duschräumen ohne Duschen.
In Panik raste Gott nun durch ganz Europa. Und als er sah, daß nichts mehr zu retten war, suchte er wenigstens nach einem sprachmächtigen Chronisten für diese Katastrophe… So fand er unter den lebenden Dichtern nur noch Katzenelson, der ganz und gar kein eifernder, geifernder Poet des Zionismus war, sondern ein liebenswürdiger Sonne-Mond-und-Sterne-Dichter. Der saß da gefangen hinter Stacheldraht in einem Jugendstilpalast in Vittel. Halb verhungert und ganz verzweifelt schrieb er in diesem idyllischen Kurbad am Fuße der Vogesen gegen seine Verzweiflung an.
Wie sollte aber ein Talent, das ursprünglich nur Kinder wie Blumen und Blumen wie Kinder besang, wie konnte ein viel zu gutmütiger Mensch diese zynische Tragödie in Worte fassen? Katzenelson war einfach nicht gemacht für dieses Schmerzgebrüll. Für diesen Cante Jondo, der jedes menschliche Maß sprengt, war Katzenelson nicht der geborene Sänger. Und so donnerte Gott dem Poeten eine technische Schreibanweisung über den kahlen Schädel, die eigentlich aus einem zarten sephardischen Liebeslied stammt:
Der Himmel sei dein Blatt Papier
Als Tinte nimm die schwarze See
Als Feder greif dir einen Baum
Schreib auf, schreib nieder all das Weh.
Katzenelson nahm daraufhin die Seiten eines DIN A 5 Schulheftes mit Rechenkaros, hockte sich an den Tisch in seinem Zimmer Nummer 107, und er schrieb mit seiner feinen Winzschrift von rechts nach links alles auf und schrieb alles nieder.
Seit jenem 3. Oktober 1943 bewegte sich Katzenelson nur noch in den 225 Strophen seines großen Gedichts. Am 18. Januar 1944 war er mit den 15 Gesängen fertig. In diesen drei Monaten las er seinen Freunden die frischen Verse vor, eine kleine Gütekontrolle unter Tränen und Lachen und wieder Tränen. Die Seelenökonomie all dieser Menschen war schon lange nicht mehr ausgeglichen und gelassen. Wer in solchen Zeiten normal bleibt, der war immer ein Idiot. Der Leser weiß schon aus der Einleitung, daß der Dichter die wahrscheinlich erste Fassung seines Großen Gesangs in den drei Flaschen vergrub. Wie das im Kurpark von Vittel, der ja zum Lagerterrain gehörte, gelang, beschreibt Myriam Novitsch:
Der Dichter steckte die Manuskripte in drei kleine Flaschen. Ich hatte ein Messer besorgt und eine Art kleine Feuerschaufel. Wir wählten einen Fichtenbaum aus, der einen Riß hatte, genau der sechste in einer Reihe von sechs Fichten, nahe einem Fußballplatz. Katzenelson stand Schmiere, während ich die Erde aushob. Sobald sich jemand näherte, gab er mir ein Zeichen, worauf ich meinen Mantel über das Loch warf, das ich gemacht hatte. Wir beide setzten uns dann auf eine Bank und taten so, als würden wir die Zeitung lesen. Auf diese Art war es mir möglich, die Flaschen tief in der Erde zu verstecken, unter den Wurzeln der Fichte. Nachdem, ich die Erde wieder in das Loch geschaufelt hatte, verteilte ich ein paar trockene Blätter über die Oberfläche. So ein bißchen dachte ich daran, daß der Tag kommen und ich die Schätze ausgraben würde.
Nach dem Abzug der Nazis grub sie die Flaschen aus und schaffte das Manuskript nach Paris zu Katzenelsons Freund Nathan Eck.
Ich hielt die heiliggehüteten Blätter im Museum der Warschauer Ghettokämpfer nun in der Hand und sah die vielen Korrekturen. Ganze Strophen waren durchgestrichen, ein Arbeitsmanuskript. Der Dichter wußte offenbar genau, was er da zustandegebracht hatte, denn er sorgte dafür, daß insgesamt sechs Fassungen des Poems an verschiednen Orten deponiert wurden. Wie sollten wir diesen Aufwand anders verstehn als die Hoffnung, daß er mit „Dos lied vunem ojsgehargetn jidischn volk“ doch noch Menschen erreicht. Was für ein ungebrochenes Pathos der Aufklärung mitten im Weltuntergang! Ich fuhr nun nach Vittel und ließ mich wie ein Tourist von meiner Frau Pamela vor dem Hotel Providence fotografieren, unter einer Gedenktafel, die auf Initiative von Myriam Novitsch angebracht wurde. Ich traf eine alte Frau, die dort ein Beerdigungsinstitut betreibt. Sie hatte als junges Mädchen erlebt, daß es einzelnen Häftlingen sehr wohl gelang, zu fliehn. Katzenelson hätte also aus dem Lager entkommen können. Ich besuchte in Vittel auch einen alten Mann, Pierre Rothiot, der als Offizier in der Resistance gekämpft hat. Es stimmt: die französische Widerstandsbewegung hatte Katzenelson sogar eine vage Hilfe bei der Flucht angeboten. Aber wo hätte einer wie er sich dann verstecken können? Katzenelson sprach Polnisch, Russisch, Hebräisch, Jiddisch und genügend Englisch und ausgezeichnet Deutsch – aber eben nicht Französisch. Er hatte kein Geld. Und da es in diesem Land mehr Feiglinge und Kollaborateure als Widerstandskämpfer gab und keinen vertrauten Freund, war Katzenelson davon überzeugt, daß es für seinen Sohn Zvi und für ihn selbst keine Chance gab im besetzten Frankreich. Der Poet kämpfte bis zuletzt kaum um sein Leben. Aber für das dichterische Werk mobilisierte er unglaubliche Energien. Katzenelson war nicht angetreten, der klassische jüdische Dichter zu werden, etwa ein Bialik oder ein Saul Tschernichowski – aber mit seinem Poem wurde er es. Als er damit fertig war, ließ er sich – erschöpft – in ein hebräisches Projekt fallen. Er versuchte sich an einer Satire über das Führerhauptquartier, in der er die Nazigrößen verspotten wollte. Aber nach zwei Szenen gab er es auf.
Natürlich wußte die Gestapo, daß die schönen Pässe aus dem Hotel Polski alle falsch waren. Man hätte aber diese paar polnischen Juden gern ausgetauscht gegen internierte Deutsche im Ausland. Die traurige Wahrheit: die lateinamerikanischen Staaten weigerten sich, ihre illegal-legalen Landeskinder ins Land zu lassen. Und als das klar geworden war, hatten diese Juden als Tauschobjekt für Hitlers Geschäfte keinen Wert mehr.
Am 18. April ’44 wurde das Hotel Beausite, in das die polnischen Juden hatten plötzlich umziehn müssen, von SS umstellt. Zwei, drei Häftlingen glückte noch die Flucht, an die zwanzig versuchten, sich umzubringen, nur vier schafften es.
Auf der kurzen Fahrt von Vittel in das zentrale Sammel- und Internierungslager Drancy gelang es dem dürren und gelenkigen Dr. Nathan Eck, sich durch einen Fensterspalt aus dem Waggon nach draußen zu quetschen. Seine üppige Frau kam nicht durch. Sie sagte ihrem Mann:
Gehe wenigstens du, denn unsere Tochter lebt noch, du mußt sie finden.
Nathan Eck kam durch, er fand Freunde in Paris, die ihn versteckten und fand seine Tochter.
Jizchak Katzenelson und sein Sohn gehörten zu den 173 falschen „Lateinamerikanern“, die dann am 29. April vom Deportationszentrum Drancy bei Paris in Richtung Osten auf Transport gingen. Am 1. Mai kamen diese 1.004 Häftlinge auf der Rampe in Auschwitz an.
1983, zum 40. Jahrestag des Aufstandes, veröffentlichte der Verlag der Ghettokämpfer in Israel eine französische Ausgabe des Poems. Myriam Novitsch schrieb darin ein Vorwort, dessen letzte Sätze mich verblüfften und faszinierten:
Am 12. September 1944 wurde das Lager Vittel von alliierten Armeen befreit, aber nur noch wenige polnische Juden waren da, um die Befreier zu begrüßen. Ich habe mich sofort nach den letzten Spuren des Dichters auf die Suche gemacht, aber ohne Ergebnis.
Jahre später, während des zweiten Auschwitzprozesses in Frankfurt, wo unter anderen kriminellen SS-Leuten auch Hustek-Herber verurteilt wurde, der im Frühling 1944 damit beauftragt war, die Züge der Deportierten zu ,empfangen‘, erzählten Zeugen und auch der Angeklagte selber, daß der Transport, in dem Katzenelson sich befand, sich zur Wehr gesetzt hat und daß man Waffen einsetzte, um die Revolte der Gefangenen niederzuschlagen.
Als ich das las, elektrisierte mich ein rabenschwarzes Glücksgefühl: einmal, daß überhaupt solch eine Rebellion auf der Rampe stattfand und zum anderen, daß es kein anderer als der Dichter war. Mein wunderbarer Katzenelson hatte also diesen letzten Aufstand gewagt. Er starb also nicht in der Gaskammer, sondern im Kampf. Es paßte so gut zu dem Bild, das ich von ihm habe, und es paßte so herzzerreißend schön zur Haltung, die er im Großen Gesang ja am Schluß feierte: den Widerstand.
Ich konnte mir nur nicht vorstellen, wie so etwas psychisch und physisch und vor allem logistisch möglich sein könnte. Denn die Menschen, nachdem sie viele Tage lang zusammengepfercht und ohne einen Schluck Wasser, isoliert in Waggons, den langen Weg nach Auschwitz hinter sich hatten, waren doch kaputt! Die mußten doch verwirrt und demoralisiert sein. Diese Juden aus Frankreich wußten weder, wo die Reise hingeht, noch wo sie mit dem Zug grad waren, wenn er mal wieder hielt.
Wer sollte also, rechnete ich mir aus, in diesem Moment die Nerven und die Kraft gehabt haben, sich zu wehren, geschweige denn einigermaßen organisiert gegen die SS vorzugehen. Für die Wahrscheinlichkeit dieser unglaublichen Geschichte sprach allerdings, daß Katzenelson und seine Freunde wissen mußten, wohin die Reise geht. Er und die andern Warschauer aus Vittel hatten gewiß keine Illusionen mehr.
Ich forschte nach, in den Protokollen der Auschwitzprozesse, aber ich fand keinen SS-Mann mit dem Namen Hustek-Herber. Und ich fand keine Zeugenaussagen über irgendeinen letzten Kampf auf der Rampe. Auch in Danuta Czechs Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945 fand ich keinen Hinweis auf solch einen Tod meines Helden. Dort steht unter dem Datum des 1. Mai 1944 in knappem Buchhalter-Deutsch:
Mit dem 72. Transport des RSHA aus Frankreich sind 1.004 jüdische Männer und Frauen und Kinder aus dem Lager Drancy eingetroffen. Nach der Selektion werden 48 Männer, die mit den Nummern 186596 bis 186643 gekennzeichnet werden, und 91 Frauen, die die Nummern 80569 bis 80695 erhalten, als Häftlinge ins Lager eingewiesen. Die übrigen 865 Menschen werden in den Gaskammern getötet.
Gut, wir brauchen diese romantische Geschichte vom Widerstand auf der Rampe nicht, denn wir haben das Große Gedicht. Am Ende bleibt eine Frage: Wozu eine so genaue Chronik über all das Vergangene? Katzenelsons Lieblingsgoj, Goethe, formulierte die glänzende Antwort:
Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist.
Das ist wahr. Im Streit um die Vergangenheiten werden ja immer die gegenwärtigen Menschenfeinde attackiert. Im Gezerre um versunkene Fakten, beim Rumschnüffeln im Leben der Toten hadern wir mit den Lebenden. Und so konnte ich mich nicht damit abfinden, daß die Geschichte vom Widerstand auf der Rampe am 1. Mai 1944 in Auschwitz Birkenau nur die verklärende Legende eines alten Mädchen sein sollte, das dem Schwarm ihrer Jugend im Nachhinein eine heroische Schlußapotheose andichtet.
Von Amos Oz lernte ich mal eine Technik der Ohrmuschelvergrößerung. Wir waren vom Städtchen Arad aus ein paar hundert Meter in die Wüste geschlendert, Richtung Massada und Totes Meer. Am östlichen Horizont die Bergrücken des Königreichs Jordanien. Wir waren noch gar nicht so weit gegangen in dieser biblischen Landschaft, da blieb mein Freund stehn und sagte:
Höre mal! Höre mal diese absolute Stille! Das isses… genau das.
Ich hörte und schloß die Augen. Mir wurde so angenehm schwindelig. Mein Kopf taumelte ein bißchen, aber ich hielt mich aufrecht. So standen wir beide ein kleine Ewigkeit. Und nun merkte ich, wie mir die Ohren wuchsen. Erst Hasenohren, dann Elephantenohren, dann Radarschirmohren. Ich schielte zu ihm rüber und sah, daß auch ihm schon gewaltig aufgespannte Lauscher gewachsen waren. Die Ohren wuchsen so riesig, daß mein Ohrläppchen in das Tote Meer lappte. Und da flüsterte Amos: „Hörst Du jetzt?“ – „Nein, was denn?“ – „Höre doch das Echo vom Echo vom Echo vom Echo vom Echo von vor dreitausend Jahren. Wenn Du ganz fein hinhörst, dann hörst Du das Echo von Jakobs Stimme. Hier war es ja, hier in Erez Israel. Hier stritt Stammvater Jakob, der Sohn Isaaks und Enkel des Abraham, mit dem Engel des Herrn. Jakob brüllte damals als erster Mensch wie ein Tier sein Menschsein dem Gott ins Gesicht.“ –
Nun stülpte ich meine Ohren noch ein bißchen mehr aus und hörte tatsächlich Jakobs Schrei. Ich hörte den Vater der zwölf Stämme des Volkes Israel. Ich hörte an Ort und Stelle im Heiligen Land den großen Hinker, der auch Fersenhalter und Überlister und Gottes-Kämpfer genannt wird. Ich hörte das Echo vom Echo vom Echo und verstand das trotzigstolze Wort aus seinem Mund:
Ich bin ein Mensch!
Nun sitze ich wieder im schönen Altona an der Elbe. Und was ich in der Negev-Wüste gelernt habe, gelingt mir gelegentlich auch hier im üppigsten Grün. Wenn ich tiefer lausche, stört mich nicht einmal der Geräuschpegel, wie er vom Containerhafen am Athabaska-Kai bei Südwestwind herüberweht. Das Echo vom Echo vom Echo, nach welchem ich nun meine Ohren spitzte, war kinderleicht zu hören. Zumindest für einen, der das wesentlich leisere, das ur-uralte Echo von Jakobs Stimme schon mal herausgelauscht hatte, war es ein Klacks. Was ich unbedingt mit eigenen Ohren hören wollte, war ja erst grad eben passiert, an jenem 1. Mai 1944.
Ich vernahm das Gebrüll von der Rampe, mit dem sich die ankommenden Juden des Transports Nummer 72 aus Frankreich auf die SS-Leute in Auschwitz stürzten. Ich vernahm, so nennen es die Jidden, ein Balagán, ein wüstes Durcheinander. Befehle, Hundegebell, Gekreisch und Schüsse.
Es war nicht ein Ringen auf Leben und Tod mit dem Engel Gottes. Es war ein aussichtsloser Kampf auf Tod und Tod mit den schwarzen SS-Engeln der Hölle. Ich hörte das Echo der Salven aus einem Maschinengewehr vom Wachturm. Und dann hörte ich die Stimme meines Dichters. Ja, ich hörte Jizchak Katzenelson schrein und will sein letztes Wort bezeugen:
Ich bin ein Mensch!
Wolf Biermann, Nachwort
Mitten im Sommer 1993 saß ich mitten in der Negev-Wüste, also mitten in Israel, in der heißen Mitte eines heißen Tages, mitten in der kleinen Stadt Arad, mitten im kühlen Schatten eines blühenden kleinen Gartens hinter dem Haus von Amos Oz. Wir tranken Tee und lösten mal wieder endgültig die letzten Probleme der Menschheit. Wir staken mitten in dem heillosen Dauerthema Juden und Araber.
– Die Araber und die Juden, klärte Amos, sollen sich ja nicht lieben, sie sollen nicht mal dicke Freunde sein, ja nicht mal besonders nette Nachbarn – sie sollen einfach und erstmal lernen, nebeneinander ohne Krieg zu leben… Erstmal Distanz nach all dem. Zwei Staaten. Dann sieht man weiter und kommt sich vielleicht und sehr langsam näher.
– Dann wäre es ja, sagte ich, ein bühnenblutiger Blödsinn, daß mein Freund Eran Baniel am Khan-Theater in Jerusalem nun so symbolträchtig Shakespeares Romeo und Julia in jüdisch-arabischer Besetzung auf die Bühne bringen will.
– Stimmt, sagte Amos Oz, der arabische Romeo und die jüdische Julia sollen weder in ein gemeinsames Bett noch in ein gemeinsames Grab. Sie sollen… – er unterbrach das Gespräch und sagte: Hör mal das jetzt!
„Aaalte saaaa-chn!! aaalte schiiiii-ech!!! – Was ist das? Wer ist das? Was ruft der da?
„Aaalte saaaa-chn!! aaalte schiiiii-ech!!! – das ist ein Beduine, sagt Amos Oz, der sammelt Lumpen. Verstehst Du die Worte? – Nein. – Keiner hier, aber ich weiß was es bedeutet. Es ist jiddisch: alte sachn, alte schiéch. –
Ist das nicht irre? Hier mitten in der Negev-Wüste in Israel läuft ein Araber durch die Straßen und redet jiddisch. „Alte Sachen, alte Schuhe“ ruft er aus. Er tut es in einer Sprache, die kein Aas in Arad versteht und er selber schon gar nicht. Sein Urgroßvater hat diesen Ausruf von einem jiddischen Kleiderhändler abgelernt. Aber die Kinder jenes alten Jidden verstehn kein Jiddisch mehr, sie sprechen Iwrith. Alle wissen, was gemeint ist: Der israelische Araber sammelt Lumpen bei den jüdischen Israelis. Das blieb übrig von der jiddischen Sprache.
Für das Land Israel ist dieses traurige Wort wahr. Von der jiddischen Sprache blieben dort nur noch ein paar ausgelatschte Schuhe und ein mottenzerfressenes und zerschlissenes Wortgelumpe übrig. Allerdings gibt es in Jerusalem einen Stadtteil, in den sich nur wenige Touristen verirren, er heißt Mea Scharim, zu deutsch: Hundert Tore. Dort leben orthodoxe Juden unter sich. Sie sprechen jiddisch. Sie lernen Talmud, sie treiben Kleinhandel mit jüdischen Devotionalien, sie lernen, schneiden Gebetsriemen, lernen wieder, verfertigen Mesuses, lernen und lernen, schreiben Thorarollen, lernen, machen acht bis zehn Kinder, lehren die Kinder das Lernen und sterben als Jidden.
Sie tragen ihre orthodoxen Kostüme, geschneidert nach den Modellen der alten Jidden-Zeit in Galizien, Odessa und Litauen. Der feine feste Stoff ist ihnen schon in die bleiche Haut eingewachsen. Die Mames mit den rasierten Schädeln unter dem Kopftuch, die bleichen ernsten Jeschiwa-Bucherim, die Jingeles mit den hübschen Peijes, den traditionellen Schläfenlocken. Viele von ihnen weigern sich, auch nur ein Wort Iwrith zu kennen.
Eine Gruppe unter ihnen nennt sich die Wächter der Stadt (aramäisch: Naturej Karta). Sie verachten Israel, sie respektieren den Staat nicht, in dem sie leben und von dem sie leben. Sie beziehen ihren Lebensunterhalt hauptsächlich aus dem großzügigen Kindergeld, das der Judenstaat kinderreichen Familien zahlt. Diese Regelung stammt aus den Pioniertagen des Zionismus, man wollte eben, daß die viel zu wenigen Juden in Palästina möglichst viele Kinder kriegen.
Es ist eine Ironie der Geschichte, daß nun hauptsächlich diese ultraorthodoxen Juden sich dieses Kindergeld er-kindern. Sie wollen nicht – denn aus religösen Gründen dürfen sie den Staat Israel nicht anerkennen. Nach ihrer Doktrin kann ein neues Israel nur vom Messias begründet werden, wenn also der Langersehnte endlich kommt und dafür sorgt, daß alle Juden fromm nach den halachischen Gesetzen leben. Und dieser Erlöser wird jiddisch reden, das ist – nebbich – klar. Bis der Messias endlich kommt, mickert diese jiddische Enklave vor sich hin, feindselig geduldet von den säkularen Juden, die Steuern zahlen müssen und ihren Armeedienst abreißen.
Ein wirklich unbekümmertes normales Menschenleben als Jid kann man heute vielleicht noch in Brooklyn, New York leben. Dort kommt man mit jiddisch durchs ganze Leben, von der Beschneidung über die Bar-Mitzwa bis zur Beerdigung. Man kann in Jiddisch Abitur machen und studieren. Und wenn man im eigenen Stadtteil bleibt, kann man sich sogar ohne ein einziges Wort Englisch durchs Leben schlagen, genauso wie im Chinesenviertel oder im spanischen Teil der großen Stadt hinter dem breiten Rücken der Freiheitsstatue.
In Israel aber wurde die jiddische Sprache im Kulturkampf für das Hebräische verächtlich gemacht, verdrängt, verboten und vergessen. Die jiddische Sprache wurde als Jargon des unterdrückten und feigen Ghettojuden abgelehnt. Alles was mit Diaspora zu tun hatte, stank nach Schwäche, nach Knoblauch und Zwiebeln und Angst. Der linke Zionismus war eine Rebellion gegen die jiddische Sklavensprache, gegen das gedrückte Leben in der Diaspora und gegen einen hilflosen Gott. Jetzt, wo der Sprachenkrieg endgültig entschieden ist, kommt eine kleine nostalgische jiddische Welle. Alte Leute, die es sich selbst ein Leben lang versagt hatten, im jiddischen „Jargon“ zu sprechen, reden nun, vor dem Tode, wieder ungeniert in der Sprache ihrer frühen Jugend. Der Kreis hat sich geschlossen. Aber auch einige jüngere Intellektuelle versuchen, den jiddischen Faden wieder aufzunehmen. Dieses Jahr traf ich den Dramatiker Sobol in Tel-Aviv, den Autor des „Ghetto“-Stücks.
– Woran arbeiten Sie?
– Ich schreibe ein jiddisches Stück.
– In jiddisch??
– Ja, warum nicht…
– Aber können Sie denn überhaupt jiddisch?
– Ja, das heißt nein. Meine Großmutter sprach mit mir jiddisch.
– Gut, aber reicht das Kinderzeitjiddisch von der Großmutter überhaupt aus für ’n ganzes Theaterstück?
– Wir werden sehn.
Der Leser weiß inzwischen, daß Jizchak Katzenelson vor den Deutschen Truppen in Lodz nach Warschau floh und so in das Ghettoleben geriet. Jeglicher Schulunterricht war den Juden verboten. Aber heimlich wurde gelehrt und gelernt. Die DROR-Leute und die Chaluzzim organisierten illegale Seminare und Vorträge. Katzenelsons Körper wurde immer magerer, aber seine Seele blühte auf. Im Ghetto gab es in der ersten Zeit sogar Konzerte und Theater-Aufführungen. Katzenelson schrieb für die Ghettobewohner Stücke, er verfaßte Hunger-Gedichte und Kälte-Lieder, die heimlich im Ghetto vervielfältigt wurden.
Er unterrichtete, wie immer schon, wieder Hebräisch, er lehrte die biblischen Geschichten und bildete Lehrer aus. Ein junges Mädchen, das bei ihm damals lernte, hat überlebt. Ich traf sie im Kibbuz Revivim, im Süden der Negev-Wüste. Yonath Sened ist inzwischen eine bekannte Schrifstellerin in Israel, und sie erinnert sich lebendig an ihren legendären Lehrer.
Seine romantische Ader, seine Freude an singbaren Texten, drängten Jizchak Katzenelson zu den Gedichten von Heinrich Heine. (1924 war ein Bändchen mit Heineversen in Katzenelsons Hebräisch erschienen.) Wie zerrissen aber Katzenelsons Liebe zu Heine war, spürte ich, als mir Yonath Sened eine Episode aus dem Warschauer Ghetto erzählte.
Ich fragte sie die Kinderfrage: Wie war Katzenelson?
Yonath Sened lächelte: Wunderbar. Enthusiastisch war er, meistens – und manchmal niedergeschlagen. Und immer wollte er was erzählen, was erklären, was zeigen.
Katzenelson analysierte uns in der Bibelstunde ein kleines und berühmtes Gedicht aus dem Buch der Lieder. Die Liebesgeschichte vom nördlichen Fichtenbaum, der sich nach einer südlichen Palme sehnt. Kannste Dir wohl denken, das leuchtete uns in diesem kalten Polen sofort ein.
Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh.
Ihn schläfert: mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.
Er träumt von einer Palme,
Die, fern im Morgenland,
Einsam und schweigend trauert
Auf brennender Felsenwand.
Plötzlich unterbrach Katzenelson seinen Unterricht und klagte:
Dieser Heine! Dieser große wunderbare Dichter! Dieser Idiot! Er hätte wahrlich mehr für sich getan und mehr für die Juden und für die ganze Menschheit, wenn er… lieber gleich Hebräisch geschrieben hätte und nicht in der verfluchten Sprache des Mördervolkes…
Als ihm die Schüler widersprachen, fluchte Katzenelson, er beharrte auf seiner Meinung. Dieser Streit muß eine absurde Szene gewesen sein, denn Katzenelson wechselte nun in der Wut – und merkte es gar nicht – vom Hebräischen rüber ins Jiddische. Überhaupt schrieb er nun mehr und mehr in der mame-loschn. Der hebräische Dichter übersetzte im Ghetto sogar das Buch HIOB ins Jiddische.
Myriam Novitsch überlieferte uns einen bedenkenswerten Satz des Dichters aus der Zeit in Vittel, als er an seinem Großen Gesang saß:
Wie soll man Sachen beschreiben, die die Menschheit noch nie erlebt hat – man müßte sich ja eine spezielle Sprache dafür ausdenken!
Auf dem Hintergrund des langandauernden Ringens um die Wiedergeburt der hebräischen Sprache ist dies ein irres Wort.
Leute, die es tiefer und genauer wissen, sollten mal darüber nachdenken und es uns womöglich erklären, warum Katzenelson zur Beschreibung dieses Unsagbaren, dieser nie dagewesenen Ungeheuerlichkeiten sich nicht nur keine neue Sprache ausdachte, etwa wie Ben Jehuda ein neues modernes Hebräisch, sondern sich in den Schoß der jiddischen mame-loschn zurückzog. War es ein konventioneller Schwächeanfall, oder war der Rückfall in die frühe Muttersprache eine wiedergewonnene Stärke? Galt hier vielleicht Heinrich Heines Vers über Anthäus, den Sohn der Göttin Hera?
Der Riese hat wieder die Mutter berührt
Und es wuchsen ihm neu die Kräfte…
Hatte Katzenelson die Hoffnung auf ein Volk verloren, das dermaleinst lebendig in der hebräischen Sprache leben wird? Oder verschlug ihm der millionenfache jiddische Schrei der Toten seine hebräische Sprache? Und was ist mit seinem Vorwurf gegen Heine, der doch lieber hätte Hebräisch schreiben sollen…? Ein psychologisches und linguistisches und ein poetologisches Rätsel, das ich nicht lösen kann.
Als ich ihn im Kibbuz Shefaim in seinem Häuschen nach all dem ausfragte, sprach Katzenelsons Neffe schön anschaulich über das Sprachenproblem seines berühmten Onkels:
Wenn Katzenelson im reißenden Strome schwamm und Angst vorm Ertrinken hatte, dann redete er jiddisch. Aber wenn er im Boot über den Fluß paddelte, sprach er Hebräisch. Im Hebräischen war Katzenelson mehr romantisch, da war er mehr ,Heine‘. Aber in Jiddisch war er mehr realistisch, mehr ,Goethe‘. Heine war für ihn die Sprache des Geistes und des Herzens und der Hoffnung. Goethe war das richtige und praktische Leben.
Ich will den Leser nicht mit einer gelehrten Abhandlung über die Geschichte der jiddischen Sprache langweilen, die findet sich besser in jedem gediegenen Fachbuch. Aber ein paar Beobachtungen, die ich beim Übersetzen aus dem Jiddischen machte, mögen von Interesse sein.
Ein jiddisches Gedicht oder Lied gut ins Deutsche rüberzuziehn, das ist nicht so einfach, wie ich dachte. Und manche, die weder Jiddisch noch Deutsch können, raunen bedeutungswabernd: das ist unmöglich!
Der Laie weiß immerhin, daß die Basis der jiddischen Sprache ein viele hundert Jahre alter deutscher Dialekt ist. Als die aschkenasischen Juden vertrieben wurden, hauptsächlich aus dem Rheinland, da siedelten sie sich im Osten an, die meisten in Polen, in Litauen und in Weißrußland.
Die großen Pogrome und Vertreibungen begannen im zwölften Jahrhundert, sie wiederholten sich im fünfzehnten und sechzehnten. Martin Luther verstand in seiner Jugend sehr gut, daß die Juden nicht zum verrotteten katholischen Glauben konvertieren wollten. Er schrieb sogar eine Schrift mit dem Titel: Daß unser Herr Jesus Christus ein geborener Jude ist (1523). Als der große Reformator aber merkte, daß das verstockte Volk der Juden auch sein protestantisch gesäubertes Christentum ablehnte, da forderte er hemmungslos zum Massenmord an den Juden auf. Im neunzehnten Jahrhundert gab es noch einmal einen Schub in östlicher Richtung. Und weil diese Völkerwanderungen die allermeisten Juden in slawisches Sprachgebiet verschlugen, mischten sich in ihr Tajtsch polnische, russische und ukrainische Sprachelemente. Regional sickerten auch baltische und sogar ungarische Wörter in das mitgeschleppte rheinländische Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch. Das Jiddische ist wie ein Mädchen, das auf der Flucht in jedem neuen Land mit dem fremden Sprachschatz ins Bett mußte.
Ihr „Tajtsch“, wie es die verjagten Juden im Gepäck hatten, war von Anfang an tief durchwachsen von hebräischen Elementen, denn die hohe, die heilige alte Sprache der Juden blieb in verwertbaren Brocken immer lebendig in diesem Volk. Die Gebildeten unter den Juden sprachen etwa so hebräisch wie die Christen Latein. Wobei Jiddisch ihre Muttersprache war und Hebräisch Vatersprache.
So besteht also das Ostjiddische aus vielleicht zwei Dritteln deutsch und zu einem Drittel ist es ein hebräisch und slawisch.
Dabei habe ich die Beobachtung gemacht, daß klar abzugrenzende Segmente dieser Sprache deutsch, hebräisch oder slawisch geprägt sind. Fast alles, was mit Arbeit zu tun hat, also insbesondere mit Handwerksarbeit, ist slawisch. Kein Wunder, denn wenn man auswandert, dann muß man in der Fremde erstmal die Worte lernen, die man braucht, um sich dort in den Arbeitsprozeß einfügen zu können. Wer nicht weiß, was Sichel und Hammer heißt, kriegt eben womöglich eine Ohrfeige. Alles was mit der jüdischen Gemeinde und mit höheren geistig-religiösen Dingen zu tun hat, stammt natürlich aus dem Hebräischen. Und alles privat Familiäre blieb „Tajtsch“.
Die Jidden nennen ihre Sprache mame-loschn – zu deutsch: Muttersprache. Das deutsche Wort Mutter ist verkoppelt mit dem hebräischen „Laschon“ = deutsch: Zunge, Sprache.
Es gibt Worte mit einem deutschen Stamm und hebräischer Endung und es gibt umgekehrt hebräische Worte, die mit deutschen Präfixen oder Suffixen behandelt sind, als wären es deutsche Worte. Schon im Titel dieses Poems ist gleich so ein Beispiel „ojsgeharget“. Das Wort „hargenen“ kommt aus dem Hebräischen und heißt töten. Das jiddische Wort „Harige“ bedeutet Massaker. Mit der deutschen Vorsilbe „ojs“ – also: „aus-getötet“ wird das hebräische Wort dramatisch verstärkt, verschlimmert. Das Wort „ojsgeharget“ übersetzt sich dann mit aus-gelöscht, aus-gemerzt, aus-gerottet, ab-geschlachtet, hin-gemetzelt, um-gebracht, vernichtet, ermordet.
Ich beobachtete das Gesicht von Yonath Sened, als sie an diesem Wort kaute. Das Echo eines Schauders, der Abglanz eines apokalyptischen Horrors ging über ihr Warschauer-Ghetto-Gesicht. „,ojs-gehar-get‘ – das ist so schrecklich, das kann man gar nicht übersetzen, in keine Sprache, auch nicht ins Iwrith“, sagte sie.
Der Leser soll wissen, daß ich im Laufe der letzten dreißig Jahre allerhand Lieder und Gedichte aus dem Russischen, aus dem Schwedischen, aus dem Englischen und Spanischen und Französischen und sogar Hebräischen in mein Deutsch gebracht habe. Natürlich verstehe ich all diese Sprachen nicht, oder bei weitem nicht so gut, wie der wohlmeinende Dilettant vermuten könnte.
Ob ich ein Shakespeare-Sonett ins Deutsche bringen kann, das hängt absolut nicht davon ab, ob ich das Englische so fluently spreche wie die Engländer.
Ich will es kurz und provokant sagen: Man muß kein einziges Wort einer Sprache verstehen, aus der man ein Gedicht oder ein Lied nachdichtet. Wer Ahnung hat, der weiß es aus eigener Erfahrung: Es gibt bei solcher Arbeit als poetischer ,Transportarbeiter‘ nur eine einzige Schwierigkeit, an der denn auch die allermeisten scheitern: die eigene Sprache.
Dabei ist klar, daß man sich helfen lassen muß, ja sogar dann, wenn man Englisch fast wie ein native speaker oder fließend Russisch spricht. Was heißt schon „sehr gut“… Man findet immer jemanden, der beide Sprachen als Muttersprache spricht und alles tiefer und komplexer und raffinierter versteht. Wenn man sich aber die Sprachelemente von solch einem lyrischen ,Hilfsarbeiter‘ heranschleppen läßt, so wie ein guter Baumeister die Steine, den Mörtel und die Balken, na dann kommt es nur noch darauf an, ob man in der eigenen Sprache ein Haus baun kann, in dem es sich gut wohnen läßt. Der Nachdichter muß Verse fügen wie ein Zimmermann die Balken, Zeilen wie der Maurer eine Reihe Ziegelsteine. Und bei jeder Kelle Mörtel muß der Dichter das ganze, das fertige Haus im Hinterkopf haben, auch wenn er es dann doch noch anders als geplant baut: Man kann nur einen Plan verlassen, den man hat. Katzenelsons geliebtem Goethe war dieses Produktionsprinzip natürlich klar:
Bei jedem Kunstwerk, groß oder klein, bis ins kleinste kommt alles auf die Konzeption an.
Ich habe 1972 ein ganzes Buch (Berichte aus dem sozialistischen Lager) mit russischen Gedichten des Juden Julij Daniel in mein Deutsch gebracht. Schrecklich schöne Gedichte eines Mannes, der fünf Jahre unter verschärften Bedingungen im mordowinischen GULAG litt und… dort eigentlich zum Dichter wurde.
Die Baumaterialien für meine Übersetzung aus dem Russischen schaffte mir damals in Ostberlin heimlich ein deutscher DDR-Jude ins deutsche Sprachenland, ein Sprachengenie, dessen Namen ich damals nicht nennen durfte: Ilja Moser. Seine Eltern hatten ihn in der Emigration geboren. Natürlich wurden sie unter Stalin beide in der Sowjetunion bei den „Säuberungen“ liquidiert, denn sie waren ehrliche Kommunisten. Und so wuchs der Junge in sowjetischen Waisenhäusern auf. Ein feiner, kluger, lebenserfahrener und hochgebildeter Mensch. Zu jedem russischen Wort konnte er mir nicht nur die verschiedensten Bedeutungen liefern, sondern auch die Assoziationen, die beim russischen Leser provoziert werden, also: literarische oder historische. Mein Zuarbeiter konnte mir sagen, ob dieses Wort einen Bedeutungswandel durchgemacht hatte, er wußte, ob irgendeine Redewendung zur Hochsprache gehört oder zum Jargon, er konnte mir als Anmerkung notieren, ob ein bestimmtes Wort in der Sprachgeschichte auf- oder abgestiegen war – etwa aus dem Jargon der Gebildeten in den Jargon der Gosse. Wenn ich all diese Informationen habe, dann habe ich im Sinne der semantischen Information fast alles – aber im Sinne eines guten Gedichtes noch gar nichts. Nun aber, mit dem Jiddischen des Jizchak Katzenelson, erging es mir noch anders. Die wirklich fremden Sprachelemente aus dem Hebräischen und Slawischen ließen sich nach bewährter Methode übersetzten. Ich brauchte dazu nur den polnischen Juden Arno Lustiger in Frankfurt, denn er spricht perfekt Iwrith, glänzend Polnisch, hervorragend Jiddisch, gut genug Russisch und ausgezeichnet Deutsch, und die westeuropäischen Dialekte Französisch und Englisch kennt er sowieso. Was will man mehr von einem Freund verlangen, der sich großzügig und geduldig als Transport-Hilfsarbeiter für eine solche niedere Arbeit zur Verfügung stellt. Er schleppte mir die tajtschen Steine ran, die hebräischen Balken und den slawischen Mörtel. Die ersten Gesänge hat er mir Wort für Wort roh übersetzt, aber dann hatte ich mich ins Jiddische eingearbeitet. Ich ging alleine weiter und half mir selbst. Schwierig und gradezu tückisch bei dieser Übersetzerei erwies sich das viele vertraute Deutsch im Jiddischen. Man könnte ja flott und falsch sagen: Das Jiddische ist schon eine Art Deutsch, ein deutscher Jargon, und also darf man es eigentlich gar nicht ins Deutsche übersetzen wollen, denn man tötet nur allen Charme dieser schönen Sprache. Ein Jude in Prag, Herr Franz Kafka, dachte so.
Aber das Problem für den Deutschen sind grade die deutschen Worte, die er alle versteht und dabei fast alle falsch. Für uns wimmelt es im Jiddischen von „faux amis“. So nennen die Übersetzer fremde Wörter, die meistens aus einem gleichen Stamm gewachsen sind und die man in der eigenen Sprache wiedererkennt und deshalb zu erkennen glaubt. Es sind aber Wörter, die im anderen Sprachkoordinatensystem einen anderen Stellenwert haben, inhaltlich oder emotional. Ein immer wieder zitiertes Beispiel: „a schmejchl“ ist im Jiddischen kein Geschmeichel, sondern – englisch: smile – ein Lächeln. So stolpert man von einer Falle in die andere. Man macht vieles falsch und merkt es nicht, weil es ja oft nur ein bißchen falsch ist. Aber dicht daneben ist eben auch vorbei.
Es gibt übrigens auch zwischen dem modernen Iwrith und dem Jiddischen solche „false friends“, weil viele hebräische Worte im Jiddischen längst etwas anderes bedeuten als im Iwrith.
Wenn ich es mal springreiterisch verklaren darf: Der deutsche Reiter springt beim Übersetzen über die hebräischen und slawischen Worte, denn sie bilden die normale Sprachbarriere. Aber dahinter lauert ein verdeckter, tiefer tejtscher Graben. Und wer da nicht reinpurzeln will und sich das Genick brechen, der muß eben ein geflügeltes Pferd reiten. Wenn der Pegasus über dem Holzhindernis die Flügel ausbreitet, dann gleitet er noch ein paar Meterchen weiter und elegant über den Abgrund der sprachlichen Mißverständnisse weg.
Die deutschen Worte im Jiddischen haben sich in Jahrhunderten mit dem Deutsch in Deutschland auseinandergelebt. Selbst im gegenwärtigen Alltagsdeutsch wandeln sich verwirrend schnell die Bedeutungen mancher Worte. Mein Sohn findet den Computer „geil“, und ich werde mich hüten ihm einen dummklugen Sermon darüber zu halten, daß er dieses Wort falsch verwendet. In seinem Munde ist es ja goldrichtig.
Der Leser hat längst kapiert, und ich kann es kurz machen: La propre langue – that’s the main problem. Ich muß an den lebendigen Bruchstellen meiner eigenen Sprache leben, dort wo sie abstirbt und immer neugeboren wird. Das ist alles – fast alles. Und wen außerdem die launischen Musen küssen, der könnte dann was Brauchbares zustandebringen.
Schon, wenn ich das erste Wort in der Titelzeile bei Jizchak Katzenelson lese und das folgende Poem bedenke, eine Art Epos, dann muß ich eben spüren, merken, wissen, daß jiddisch „dos lied“ nicht deutsch mit „Lied“ übersetzt werden darf. Gewiß, wir haben das Nibelungen-Lied, aber das ist lange her. Im heutigen Deutsch bedeutet „Lied“ hauptsächlich das, was die Franzosen nicht Chanson nennen, sondern „Le lied“, also Franz Schubert – Schumann – Carl Loewe, womöglich noch Carl Friedrich Zelter, an dessen Liedertafel Goethe so gern Sauerkraut mit Männerchorwürstchen aß. Auch das deutsche Volkslied aus des Knaben Wunderhorn ist Lied, und Lied wäre auch das tiefbetroffene Geheul eines Liedermachers. Aber was Katzenelson schrieb und meinte, das ist eine Dichtung, ein Gesang, der nicht gesungen wird. Ich nenne „Dos lied vunem ojsgehargetn jidischn volk“ einen Canto General, einen Großen Gesang. Man könnte es sogar einen cante jondo nennen, denn so heißt bei Garcia Lorca ein „Gesang von tief innen“. Und wer Katzenelson ins Amerikanische übersetzt, der könnte sein Klagelied vielleicht The Great jiddish Blues nennen – was geht ’s mich an! Die eigene Sprache ist immer die höchste Hürde.
Zur deutschen Übersetzung, die es schon gab, will ich und darf ich kein Wort sagen. In der sogenannten Kunst gibt es wohl Haß und Liebe, es gibt Kunsturteile und Geschmacksurteile, es gibt wechselnde Moden, denen keiner ganz entgeht – aber es gibt keine nettgemeinten Artigkeiten. Es war ohne allen Zweifel ein großen Verdienst von Hermann Adler in Basel, daß er Katzenelsons Poem ins Deutsche brachte. Trotzdem wird Arno Lustiger gewußt haben, warum er mich in dieses Werk von Katzenelson reinzog, und das mag genügen. Zur englischen, französischen, polnischen und hebräischen Übersetzung will ich ein paar Anmerkungen machen.
Die französische Version ist unvollständig, es fehlen einige Gesänge ganz. Darüber hinaus ist „le chant du peuple juif massacré“ kein französisches Gedicht geworden. Das Wortmaterial wurde ohne Vers, ohne Rhythmus, ohne Reim lieblos und talentlos ins Französische rübergeschmissen, so, als würde ein Computer ein französisches Kochbuch in den Nadeldrucker diktieren: Man nehme sechs Pfund Judenfleisch und zwei Liter Tränen, drei Paar SS-Stiefel, hundert Meter Stacheldraht und fünf polnische Eierhandgranaten – und fertig ist der Fraß. Die englische Übersetzung ist schön korrekt – aber sie ist leider so heartrending wie ein Telefonbuch.
Die polnische Übersetzung aber, das hörte ich nicht nur von Yonat Sened, sondern auch von Arno Lustiger und von meinem polnischen Freund Andrzej Szpilman, die Nachdichtung von Jerzy Ficowski, soll genial sein. Sowas höre ich sehr, sehr gern. Jeder Übersetzer auch der bescheidenste, muß den Ehrgeiz haben, es wenigstens besser zu machen als das – Original!!
Yonat Sened – Katzenelsons Schülerin aus dem Warschauer Ghetto – ist eine Frau, die ja in der polnischen Sprache aufwuchs. Sie erzählte mir von Ficowski, dem polnischen Dichter. Er hat, sagte sie, Katzenelsons Poem so großartig als polnisches Gedicht geschaffen, wie Katzenelson es vielleicht in Ruhe nach 1945 geschrieben hätte, wenn er den Mördern entkommen wäre. „Ich war“, sagte Yonat Sened, „als ich Katzenelsons Gedicht nach dem Krieg zum ersten mal las, ein bißchen enttäuscht. Versteh mich nicht falsch – es ist tief und wahr und ist ein bedeutendes Werk und vielleicht das Beste, was wir überhaupt haben. Aber manche Passagen waren mir damals doch ein bißchen zu pathetisch, ein bißchen zu rhetorisch, es gab zu viele poetisch nicht bewältigte Gefühlsexplosionen.“
Ich sagte ihr:
Kunststück, im Winter! Katzenelson schrieb in Todesangst und in panischer Eile, denn er rechnete jeden Tag mit dem Ende. Außerdem war er krank, halb verhungert und vor allem im Kern seines Wesens zu Tode verwundet durch den Tod seiner allerliebsten Menschen. Natürlich könnte man genausogut den Spieß umdrehn und behaupten: ohne diese höllischen Umstände hätte dieser liebenswürdige und sanfte Mensch niemals ein so geniales und tragisches Werk zustandegebracht…
„Ja, ja“, sagte Yonat Sened,
das ist alles wahr und ich weiß es selber. Aber trotzdem war ich damals ein bißchen enttäuscht, denn das Thema war so grauenhaft modern – und die Sprache irgend wie… out of fashion. Und unsre hebräische Übersetzung – die kannste ganz und gar vergessen. Die liest keiner, die erreicht keinen hier in Israel und unsere Jugend schon gar nicht. Das Iwrith dieser Übersetzung ist eben leider in Schlips-Hebräisch geschrieben – so nennen wir das alte tote Hebräisch.
Der Leser erinnert sich an den Neffen des Dichters Benjamin „Benni“ Katzenelson. Als ich ihn im Kibbuz Shefaim besuchte, fragte ich ihn auch danach, wie eigentlich die hebräische Übersetzung von Moische Wolfowski damals zustandekam.
Salman Schneur ist ein großer Dichter, er sollte es eigentlich machen, sagte Benni Katzenelson. „Aber es wurde nichts draus, leider leider!“ Katzenelsons Neffe bewegt sich in der Lebensgeschichte seines berühmten Onkels mit einer heiterironischen Mischung aus liebevollster Familien-Vertrautheit und wissenschaftlicher Distanz.
Der berühmte Schneúr war also damals aus New York zu Besuch in Israel. Katzenelsons Cousin Tabenkin bekniete ihn bei dieser guten Gelegenheit mit der Bitte, dieses wichtige Werk aus dem verpönten Jiddisch zu übersetzen. Schneúr lieferte zur Probe zwei, drei hebräische Strophen, er machte es wunderbar. Aber der Amerikaner verlangte soviel Honorar, daß der Verlag der linken Kibbuzim es nicht zahlen wollte.
Daraufhin bat Tabenkin den Wissenschaftler Moische Wolfowski. Der war gewiß ein kluger Mann, aber eben kein Dichter. Sein bedeutendes Werk: Geschichte der Arbeiterbewegung in Israel (PaIästina) war nicht grade ein gutes Training für eine Katzenelson-Nachdichtung. Menachem Dorman, der Jekke und legendäre Leiter des Kibbuz-Verlages, gab dann diesem Wolfowski wohl oder übel den Auftrag. Wolfowski übersetzte treu, aber nicht schön.
Dabei hatte Wolfowski – außer mit den Musen, die ihn nicht küßten – auch noch mit dem alten Hebräisch und dem jungen Iwrith zu kämpfen. Das Hebräisch der damaligen Zeit war noch allzusehr ein abgehobenes Talmud-Hebräisch. Und der ordinäre aramäische Slang von vor 3000 Jahren, stand Wolfowski schon gar nicht zu Gebote. Der Reiz des jiddischen Originals aber liegt ja grade in der Mischung der Sprachebenen. Das jiddische Original wechselt zwischen der erhabenen heiligen Hochsprache aus den Büchern der Propheten und dem Jargon der Straße und der Küche.
Ein starker Dichter kann sowas schaffen. Er bewegt sich zwischen Hochsprache und Alltagssprache so traumwandlerisch sicher, als wäre es eine einzige homogene Ebene. Diese starke Amplitude im Wortmaterial und im Duktus ist sowieso schon heikel genug zu händeln. Aber aussichtslos ist alle Anstrengung, wenn der Nachdichter diese zweite, die modernere und womöglich „primitivere“ Alltags-Sprache gar nicht zur Verfügung hat. Dabei soll angemerkt sein, daß es nach 1945 natürlich schon Elemente einer solchen neuen Sprache gab, aber der alte Wolfowski war ihrer nicht mächtig.
Eine gelungene Übersetzung ist wie eine Quadratur des Kreises, denn sie soll alles zugleich sein: schön und treu, nah am Originaltext und absolut frei, also: autark und authentisch. Der Übersetzer soll sich nicht vordrängeln, aber zugleich soll er mit der ganzen ungebrochenen Kraft eines originalen Dichters schreiben. Ich will dem gewieften Leser nicht den Einfaltspinsel vorgaukeln. Natürlich bin ich der Meinung, daß mir meine Nachdichtung gelungen ist. Ohne diesen holden Wahn würde ich nicht kostbares Papier bedrucken lassen und nicht gutgläubige Menschen dazu verführen, fünfzig Mark für einen zusammengestoppelten Schund rauszuschmeißen.
Mein neuer Freund Katzenelson kannte so gut wie ich einen Dichter aus Weimar, dem wir beide nicht das Wasser reichen und dessen gewaltige Überlegenheit nur durch Liebe zu ertragen ist. Er schrieb:
Bescheiden sind nur die Lumpen.
Wolf Biermann, Nachwort
so schreibt Wolf Biermann in seiner Einleitung zu diesem denkwürdigen Buch, „lebe ich mit dem Dichter Jizchak Katzenelson. Kurz bevor der in Auschwitz ermordet wurde, heute vor 50 Jahren, schrieb er sein großes Poem vom Sterben der Juden im Holocaust und vom großen Sterben der jüdischen Kämpfer beim Aufstand im Warschauer Ghetto. Ich habe die vielen Verse nun in ein Deutsch gebracht, und beim Schreiben an all diesen schwarzen Strophen kam es mir allen Ernstes so vor, als hätte ich nur 30 Jahre ein bißchen meine Kräfte geübt, um nun endlich dieses Werk lebendig ans deutsche Land zu ziehen.“
Und in der Tat – durch Wolf Biermanns Übersetzung wird dem deutschsprachigen Leser ein einzigartiges literarisches Werk und ein großer Dichter nahegebracht: Katezenelson, der jüdische Dichter in Polen, floh nach dem Einmarsch der Deutsch von Lodz nach Warschau und geriet dort mit allen anderen Juden ins Ghetto. Als der Aufstand am 19. April ’43 losbrach, gehörte er zu den Kämpfern. Er war damals 57 Jahre alt. Seine Freunde, in Angesicht ihres sicheren Todes, beschlossen, den Dichter zu retten. So wurde er über geheime Schlupflöcher herausgeschleust und landete in einem Sonder-KZ in Vittel, wo er in jiddischer Sprache seinen Großen Gesang schrieb, ein einzigartiges Zeugnis vom Leidensweg und Widerstand seines Volks.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Klappentext, 1994
Es gibt Wahrheiten, die alle Grenzen unseres Verstandes überschreiten und vielleicht nur noch von der Sprachmacht eines großen Künstlers gegriffen werden können. Drei Flaschen vergraben unter den Wurzeln eines Baumes Im französischen Vittel oder der Ledergriff elnes Reisekoffers genügen schon, um einen solchen für die Menschheit wohl unersetzlichen Erfahrungsschatz zu bergen. So überlebte Der Große Gesang vom augerotteten jüdischen Volk, während sein Verfasser vor 50 Jahren den Öfen von Auschwitz nicht zu entrinnen vermochte.
Von den Nazis deportiert Jizchak Katzenelson hieß er, geboren in Weißrußland. Gründer einer jüdischen Schule in Lodz, Poet und Übersetzer von Heinrich Heine. 1940 waren er und seine Familie nach Warschau geflohen. Zwei Jahre später deportierten die Nazis seine Frau und die beiden jüngsten Söhne nach Treblinka während Katzenelson und sein Sohn Zvi am Ghetto-Aufstand teilnahmen. Die beiden waren von Freunden mit gefälschten honduranischen Pässen herausgeschleust worden und landeten in einem Sonder-KZ in Vittel, wo die Nazis Geiseln für einen Austausch bereithielten. Dort verfaßte Katzenelson sein großartiges Poem, das Wolf Biermann jetzt in zweijähriger Arbeit aus dem jiddischen ins Deutsche übersetzte. In winzig kleiner Schrift hat Katzenelson die Verse aneinandergesetzt, die dann nach dem Krieg von Myriam Nowitsch ausgegraben und nach Paris zur Übertragung ins Hebräische gebracht wurden. Die Kofferversion schmuggelte Rutli Adler aus dem Lager, und mit ihr nahm Biermann dann in Israel Kontakt auf. Liest man heute diese abwechselnd von Empörung und Verzweiflung getragenen Zeilen, dann überträgt sich sogleich die fieberhafte, gehetzte Stimmung, mit der Katzenelson noch einmal alles Erlebte festhalten möchte. Denn er mußte jeden Moment damit rechnen, daß Ihn seine Bewacher in die Waggons sperrten, deren aufgerissene Mäuler in jenen Jahren scheinbar unersättlich menschliche Existenzen in sich verschlangen. „Sing diesem Europa noch den großen Abgesang von seinem allerletzten lid“, heißt es gleich im ersten Vers und an dieses Europa, das damals eines seiner Völker verlor, ist denn auch der „Gesang von ganz tief innen“ gerichtet. Direkt aus dem Inferno spricht diese vor Zorn glühende Stimme zu uns. Ein Zorn, der auch das Unvorstellbare nicht ungesagt läßt, wenn es da heißt:
Mama mit dein Kindchen aufm Schoß
Nun seid Ihr Dünger, Knochenmehl und Seifenstück.
Katzenelson war denn auch einer der wenigen, die genau wußten, was mit ihnen geschah, als er in Auschwitz ankam. So schildert „Das Lied“ noch einmal das Leben Im Ghetto, erzählt von den mageren Kindern mit den großen Augen, deren Elend so groß ist, daß sie längst das Weinen verlernt haben. Für uns ist heute nicht zuletzt von Bedeutung, wie überzeugend Katzenelson jene Verwüstungen der Seele beschreibt, die erlittene Gewalt in den Menschen anrichtet. Und natürlich gilt seine ganze Verachtung den Tätern und Handlangern, den grinsenden deutschen Soldaten und den Juden, die Tag für Tag ihr Kontingent an Landsleuten dem Feind ans Messer lieferten. Das Bild vom Juden hinter all diesen Klagen steht eben auch der Kampf gegen das Bild vom Juden, der kein besseres Schicksal verdient hat, weil er sich nicht zu wehren vermochte. Ein altes Thema, das ja schon im Buch Hiob verhandelt wird. Biermann weist jedoch in seinem Begleittext ganz richtig darauf hin, daß Katzenelsons Hadern mit dem Gott der Juden nicht mit Hiobs Dilemma vergleichbar ist. Denn dessen Geschichte endete versöhnlich, wenn von ihm gesagt wird, „er starb alt und lebenssatt“. Katzenelson schildert detailliert den Kampf der Ghettobewohner, die letztlich zur Waffe greifen. Es ist kaum bekannt, daß dieser von Zeitzeugen als freundlicher, stets lebenshungriger Mann beschriebene Dichter, auch jenes Lied „Dona, Dona, Oona“ schrieb, mit dem sich die 68er Studentenschaft zum Klang der Gitarre von Joan Baez überall in der Welt gern im Kerzenlicht wiegte. Ein jüdisches Lied, das voll giftiger Ironie den Weg eines dummen Kälbchens zur Schlachtbank beschreibt. Wolf Biermann, der von sich behauptet, er hätte eigentlich 30 Jahre lang nichts anderes getan, als seine Kräfte zu üben, „um nun endlich dieses Werk lebendig ans deutsche Land zu ziehen“, ist tatsächlich eine wundervolle Nachdichtung gelungen. Beständig baut er an einem sprachlichen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die verwandte Sprache Immerhin gehört das Jiddische Ja zu den schönsten Verwandten der deutschen Sprachfamilie. Gesprochen von den askenasischen Juden, die vom Rheinland nach Osten siedelten, vermischte sich das Mittelhochdeutsche später mit den slawischen Sprachen. „Das Jiddische ist wie ein Mädchen“, sagt Biermann, „das auf der Flucht in jedem neuen Land mit dem fremden Sprachschatz Ins Bett mußte“. So hat Biermann uns doch ein großartiges Werk jüdischer Kultur geborgen, das in seinem schrecklichen Zeugnis gleichfalls ein wichtiger Trost ist. Denn der Untergang dieser Kultur, und das heißt, die Auslöschung unzähliger Lebensgeschichten ist nur diesem Epos ein Stück weit dem Vergessen entzogen worden.
– Wolf Biermann übersetzt Jizchak Katzenelsons Poem. –
In Wolf Biermanns Autobiografie Warte nicht auf bessre Zeiten! gibt es ein Foto aus dem Jahr 1994.1 Es wurde aufgenommen, nachdem Biermann seine Übertragung von Jizchak Katzenelsons Poem „Dos lied vunem ojsgehargetn jidischn volk“ am Hamburger Schauspielhaus gelesen hatte. Aber was heißt hier gelesen! Wolf Biermann schluchzte, er schrie, er flüsterte, er sang, er ließ lange schwarze Pausen – er brach das Tabu, nach dem über diesen Völkermord, den Mord an den europäischen Juden, nur kalt, nur im Tonfall äußerster Objektivität gesprochen werden darf, als seien Emotionen irgendwie unangemessen oder gar verboten.
Mit Biermann sind noch ein paar andere Leute auf dem Foto. Etwa: der Historiker Arno Lustiger – selbst ein Überlebender, der sich nach dem Krieg in Frankfurt am Main niedergelassen hatte. Oder Uri Aloni vom Kibbuz der Warschauer Ghettokämpfer – ein Jude aus Essen, dessen Eltern es nicht mehr geschafft hatten, aus Deutschland zu fliehen. Dann war da Ruth Adler, die Katzenelsons Poem – versteckt im Griff ihres Koffers – quer durch alle Fronten des Zweiten Weltkrieges bis nach Jerusalem geschmuggelt hatte. Last but not least: Benny Katzenelson, der Enkel des Dichters, der im Kibbuz Scheffayim lebte, eine knappe Autostunde nördlich von Tel Aviv. (Später an diesem Abend fiel Benny bei der kleinen Nach-Premieren-Feier in Biermanns Haus in Ohnmacht. Es war alles ein bisschen too much für ihn: die Aufregung, das Blitzlichtgewitter, die vielen Leute… Er war, glaube ich, noch nie vorher in Deutschland gewesen.)
Ich erinnere mich nur undeutlich an diesen Abend. Richard von Weizsäcker – war er noch Bundespräsident oder schon im Ruhestand? – hielt eine Rede, von der ich nichts behalten habe. Aber ich erinnere noch ganz genau das Schweigen. Das große Schweigen danach. So etwas habe ich nie vorher oder nachher je erlebt. Das Poem von Jizchak Katzenelson kulminiert in einer Beschreibung des Aufstandes im Warschauer Ghetto, eines Aufstandes, den die verbleibenden Juden, die noch nicht nach Treblinka deportiert worden waren, nicht gewinnen konnten. Und den sie trotzdem wagten, damit nachher kein Mensch (und kein Schwein) sagen konnte, die Juden hätten sich nicht gewehrt. Dann kommt das Ende. Katzenelsons episches Gedicht mündet in einen Fluch von biblischen Proportionen – in Wolf Biermanns Übertragung klingt er so:
Weh mir, da ist nicht keiner mehr…
Und war mal’n Volk.
Vorbei!
Und ausgelöscht…
ein ganzes Volk.
Uns gibt es nun nicht mehr
Verflucht,
was für’n Geschichtchen!
Mit ’nem Bibelehen begann’s
Von Moses steht’s geschrieben
– schönes Märchen,
traurig, aber wahr –
Vom Kampf am Sinai
mit Amalek
bis hin zu unserm ärgsten Feind.
Dem Deutschen.
Gott! O weite Himmel,
breite Erde, o gewaltig Meer
Vernichtet all die Schlechten…
nicht auf dieser Erde!
Lasst sie machen, denn
Sie selber werden sich vernichten
Alle.
Und für immerdar.
Das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg war proppenvoll. Als Biermann die letzten Verse gesprochen hatte (natürlich schrie er die Worte „Vernichtet all die Schlechten“, natürlich sagte er alles, was danach kam, sehr klar, sehr sachlich, sehr bestimmt), blieb alles ruhig. Zehn Sekunden. Dreißig Sekunden. Eine Minute; in einem voll besetzten Theater fühlt sich das an wie eine Ewigkeit. Nach einer Minute fing irgendwo ein Grüpplein an zu klatschen, aber es hörte bald wieder auf. Schweigen, Schweigen. Kein ergriffenes Schweigen wie in einer Kirche – es war ein niedergeschmettertes Schweigen. Noch ein Applausversuch, der im Nichts endete. Schweigend ging die Menge am Schluss auseinander. Wie gesagt: Nie habe ich so etwas erlebt.
Noch ein Wort zu dem erwähnten Foto: Alle, die ich oben aufgezählt habe – Arno Lustiger, Uri Aloni, Benny Katzenelson, Ruth Adler –, sind tot. Ich werde noch darauf zurückkommen, was das bedeutet.
Arno Lustiger war schuld, dass Biermann Katzenelsons Poem aus dem Jiddischen ins Deutsche übersetzte. Lustiger, 1924 in Będzin in Polen geboren, hatte mehrere KZs überlebt – und ärgerte sich nicht über die Behauptung, die Juden hätten sich „wie Lämmer zur Schlachtbank“ führen lassen. Nein, er grämte sich ganz tief darüber; er empfand diese Behauptung wie eine persönliche Beleidigung. Also suchte er nach Beispielen, dass Juden sich sehr wohl gegen die Nazis gewehrt hatten.
Lustiger und Biermann lernten einander kennen, weil Lustiger ein Buch mit dem Titel Schalom Libertad! geschrieben hatte – über Juden, die im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft hatten. Das musste Wolf Biermann interessieren. Schließlich war er unter Spanienkämpfern aufgewachsen. Sein Vater, der in Auschwitz ermordet wurde, hatte dem Völkerbund Informationen über die Waffenschiffe geschickt, die Hitler nach Spanien sandte. Die Freundschaft zwischen Biermann und Lustiger, die mit jenem Buch begann, wurde noch enger, als Saddam Hussein im Ersten Golfkrieg Israel mit deutschem Giftgas bedrohte. Wolf Biermann stellte sich damals wütend und verzweifelt an die Seite des jüdischen Staates. Das kostete ihn ein paar Sympathien – und brachte ihm anderswo Sympathien ein.
Es muss um 1990 gewesen sein, da bestellte Arno Lustiger bei seinem Hamburger Freund eine Übersetzung von ein paar Strophen des Katzenelson-Poems. Es gab zwar schon eine Übersetzung – sie stammte von dem deutsch-jüdischen Dichter Hermann Adler –, aber diese Übersetzung passte Lustiger nicht. Aus einem ganz unliterarischen Grund: In Adlers Version wird das jüdische Leid immer wieder christianisiert. Ungefähr: Die „Endlösung“ als Golgatha, die ermordeten Juden als Gekreuzigte. (Bei Katzenelson gibt es eine einzige Stelle, wo von der Kreuzigung die Rede ist – nicht die stärkste; in Adlers Nachdichtung wird daraus der Dreh- und Angelpunkt des Poems.) Lustiger aber wünschte sich eine Nachdichtung, die dem jüdischen Geist des Originals treu blieb. Eine Nachdichtung, die nicht kitschig wurde, die den Schrecken nicht durch eine Weichzeichnerlinse betrachtete.
Biermann lieferte die bestellten Strophen. Aber dann fing er an, sich für das gesamte Werk von Katzenelson zu interessieren. Lustiger fertigte ihm eine Umschrift aus dem Jiddischen an (das ja in hebräischen Buchstaben geschrieben wird); Biermann beugte sich – bewaffnet mit einem jiddisch-deutschen Lexikon – darüber und machte sich Notizen zu einzelnen Wörtern, zu Redewendungen, zum sprachgeschichtlichen Hintergrund. Außerdem tat er etwas, was er bisher bei keinem einzigen seiner poetischen Projekte getan hatte: Er recherchierte. Er flog nach Israel und freundete sich mit Benny Katzenelson an, dem letzten Überlebenden aus Jitzchak Katzenelsons Familie. Benny war ein Sozialist, ein alter Kibbuznik, der den Idealen seiner Jugend treu geblieben war – und der den Lehrer, der er bis zu seiner Pensionierung gewesen war, nie verleugnen konnte. (Sein Lieblingswort auf Englisch war look; meistens folgte dann eine fundierte Ad-hoc-Vorlesung, etwa über die Geschichte des Zionismus oder der israelischen Gewerkschaftsbewegung.) Biermann ließ sich durch das Museum von Lochamej HaGeta’ot führen – damals fing der Kibbuz der Warschauer Ghettokämpfer gerade an, Deutsche als Besucher zu dulden. Biermann las sich in die Geschichte des Warschauer Ghettos ein. Er wollte nicht nur Katzenelsons Poem übersetzen, sondern jedes Detail so genau wie möglich wissen: Was für ein Mensch war dieser Jizchak Katzenelson? Aus was für einer Welt kam er? Was für ein Leben lebte er vor dem Krieg? Wie ging es im „Vorzugs-KZ“ in Vittel zu, wo Katzenelson am Fuß der Vogesen sein Poem schrieb, ehe er mit seinem Sohn in die Gaskammer nach Auschwitz deportiert wurde?
Dann wagte sich Biermann an die Arbeit. Ich durfte ihm dabei über die Schulter schauen und kann bezeugen, dass er es sich nicht leicht gemacht hat. Eine erste Fassung entstand relativ schnell (wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, brauchte er ungefähr zwei Monate), aber natürlich war diese erste Fassung nur das Fundament, auf dem dann das Haus hochgezogen wurde. Es gab noch eine zweite, dritte, eine fünfte und sechste Fassung. Immer wieder das schon Gebaute einreißen. Immer wieder neue Ziegelsteine setzen. Ich spielte dabei die Rolle des Miesepeters, der ständig Nein sagt. Nein, das kannst du nicht machen. Nein, das hier ist zu flapsig. Nein, dieses Reimwort dort wirkt zu gesucht. Nein, das holpert.
Das Grundproblem beim literarischen Übersetzen ist immer dasselbe: Am Ende muss ein Werk dastehen, bei dem jeder komplett vergisst, dass es je ein Original in einer anderen Sprache gegeben hat. Dieses Werk muss ganz und gar autark sein, es muss seine Daseinsberechtigung in sich selbst tragen. Gleichzeitig muss dieses Werk aber immer noch eine Übersetzung sein. Es muss also authentisch den Sinn des Originals transportieren. Weniger kompliziert ausgedrückt: Der Dichter muss beim Übersetzen ein völlig neues Gedicht schreiben – ist aber beim Verseschmieden immer eingepfercht in das, was das Original ihm vorgibt; eigentlich eine unlösbare Aufgabe. Lange kann man grübeln, ob es nun hilft oder eher stört, wenn die Originalsprache der Übersetzungssprache so nahe ist wie das Jiddische dem Deutschen. Schließlich handelt es sich beim Jiddischen im Wesentlichen um jenes Mittelhochdeutsch, das die Juden, die aus Westeuropa nach Polen-Litauen vertrieben worden waren, im Handgepäck mitnahmen – angereichert durch hebräische und slawische Elemente. Vielleicht wäre es auf vertrackte Weise einfacher, aus dem Jiddischen ins (sagen wir) Chinesische zu übersetzen.
Ganz sicher half Biermann beim Übersetzen aber eine Qualität von Katzenelsons Poem, die seinem eigenen Wesen entgegenkam: die große emotionale Amplitude. Zarteste lyrische Passagen stehen hier unverbunden neben Grobianismen. Hochgemut Kämpferisches neben kleinlaut Verzweifeltem. Biblisches neben Alltäglichem im Weltuntergang. Das hier ist Katzenelson:
Ch’hob lieb dich ruf bei dein nomen,
ch’hob lieb arojs’sogn ihm: Chanele! ch’hob lieb
zu dir sich wendn noch dein awekgenumn wern
mit mein volk, du entferst mir, du schenkst
dein blick von deine ojgn mir…
Aber das hier ist ebenfalls Katzenelson:
Sej hobn mit gewusst, sich nit gericht
,die Juden schießen!‘ ich hob gehert dem ojswurf’s ekldike stim
ejder noch die unreine neschome s’is arojs
s’is nit gewejn keen ojsruf, nor a bejs wunder – s’teitsch?
Bei Biermann wird daraus:
Ich mag so gern dein’ Namen rufen und ich hab es gern
Ihn auszusprechen: Chanele. Du gibst mir Seelenbrot
Wenn ich mich zu dir wende, und auch jetzt, nachdem
Du weggerissen bist, wie unser Volk. Mir ist es lieb
Wenn grade du mir eine Antwort gibst, du schenkst
Mir dieses Lächeln…
Aber auch:
Das hat den Deutschen überrumpelt, schwer verwirrt
„Die Juden schießen ja!“ – er röchelte dies deutsche Wort
Als unrein seine schwarze Seele aus dem Körper wich
Böses Erwachen, reichlich spät im letzten Sterbehauch
Und mit der Kugel hat ein Staunen da den Deutschen kalt erwischt…
Vor dem Krieg war Katzenelson Lehrer. Hätte die Weltgeschichte eine andere Wendung genommen als jene via Auschwitz – wäre der Völkermord an den Juden nie passiert –, hätte er vielleicht als Lehrer weitergemacht und nebenbei ein paar lustige Kinderbücher geschrieben. Auf Hebräisch oder Polnisch. Vielleicht wären sie heute ins Englische und Deutsche übersetzt. Vielleicht würden sie heute als Klassiker der Kinderliteratur gelten. In der historischen Wirklichkeit hat Katzenelson noch im Warschauer Ghetto Kinder unterrichtet (heimlich, versteht sich). Er war außerdem Familienvater – Jizchak und Chana Katzenelson hatten drei Söhne: Zwi, Ben-Zion und Ben-Jomin. Als er sein Poem niederschrieb, waren Katzenelsons Frau und zwei seiner Söhne schon weg, tot, vergast in Treblinka. Sein erwachsener Sohn Zwi war bis zum Schluss bei ihm. Am unerträglichsten und schönsten sind darum jene Passagen seines langen Gedichts, wo er von den Kindern spricht. Den Kindern, die jenem Genozid zum Opfer fielen. In einer Passage erzählt Katzenelson von einem Waisenhaus, wo sich halbnackte jüdische Kinderchen vor einem Koksofen drängeln; von einem kleinen Jungen, der halb auf Hebräisch und halb auf Jiddisch eine Predigt hält, die den Propheten Jesaja beschämt hätte. Aber natürlich ist dieses Genrebild nicht das Ende. In vier beinahe brutalen Versen schiebt Katzenelson die Pointe nach (und sein Übersetzer Biermann folgt ihm):
Sie warn als erste dran. Die Judenkinder kamen alle um, die allermeisten da
Vater- und mutterlos, gefressen wurden sie von Kälte, Hunger, von die Läus
Erlöser warn die Kleinen, leidgeheiligt, Gott, für wessen Schuld? Die mussten ja
Im Untergang als erste zahln, wofür? Und warum diesen höchsten Preis?
Wer angesichts gewisser Tatsachen nicht den Verstand verliert, schrieb Hegel, der hat keinen mehr zu verlieren.
Ich komme nun auf das Foto in Wolf Biermanns Autobiografie zurück – jenes Foto, das an dem denkwürdigen Abend im Hamburger Schauspielhaus aufgenommen wurde. Benny Katzenelson starb viel zu früh nur sechs Jahre danach. Arno Lustiger starb 2021. Auch Uri Aloni und Ruth Adler leben nicht mehr. Und Wolf Biermann – damals noch keine 60 – ist heute ein blutjunger Greis von 86 Jahren. Und sehr bald wird Folgendes passieren: In einem Altersheim in Haifa oder New York oder Buenos Aires wird das Lebenslicht des oder der Letzten verlöschen. Des letzten Menschen, der die „Endlösung der Judenfrage“ überlebt hat. Dann wird eine neue Epoche beginnen, deren Konturen wir nur ahnen, aber noch nicht erkennen können: die Post-Post-Auschwitz-Ära.
Vielleicht wird die neue Epoche dadurch gezeichnet sein, dass sich der vertraute Antisemitismus wiederherstellt (das, was die Juden in der Nazizeit mit traurigem Spott „die gute alte Risches von 1920“ nannten). Vielleicht werden die Kinder in der Schule lernen, dass die „Endlösung“ nur ein Schrecken unter vielen war, eine weitere Variante des Kolonialismus, eine rassistische Schandtat, nicht besser, aber auch nicht teuflischer als der transatlantische Sklavenhandel. Vielleicht werden sich in einem halben Jahrhundert überhaupt nur noch zwei Völker an Auschwitz, Treblinka, ans Warschauer Ghetto erinnern: die Deutschen und die Juden. Vielleicht – verhüte Gott – wird es zu einem noch schlimmeren, noch radikaleren Genozid kommen, hinter dem dann die „Endlösung“ verschwindet, so wie der Erste Weltkrieg hinter dem Zweiten Weltkrieg verschwunden ist.
Aber was auch immer geschieht – ich glaube, dass Jizchak Katzenelsons „lied vunem ojsgehargetn jidischn volk“ den Wechsel der Zeiten überdauern wird. Dank Wolf Biermann auch auf Deutsch.2
Hannes Stein, aus Dorlis Blume, Monika Boll, Raphal Gross (Hrsg.): Wolf Biermann: Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland. Ch. Links Verlag, 2023
Der Fall Biermann – die Geschichte von Wolf Biermann und der DDR.
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