ADELE SCHOPENHAUER
Dein Wille geschehe – Doch was ist dein Wille?
Dein Wille geschehe! – Doch was ist dein Wille?
Dein heilig Reich komme – doch wo naht es sich?
Ich ruf’s durch die Welt; doch in ewiger Stille
Verbreitet sich Schweigen und Grausen um mich.
Dich such’ ich im Himmel, auf Erden, im Herzen,
Doch Vater, Allew’ger, ach wo find’ ich Licht?
Dich faßt’ ich in Wonnen, Dich faßt’ ich in Schmerzen,
Nun irr’ ich im Dunkel und fasse Dich nicht.
Und bin ich ein Geist denn, und hat ewig Leben
Dein Athem dem Kind in die Seele gehaucht,
So muß deine Liebe dort Antwort mir geben,
Weil hier meine Liebe die Antwort gebraucht.
nach 1830
In einem späten Brief an ihren berühmten Bruder, den Philosophen Arthur Schopenhauer, hat die Dichterin und Scherenschnitt-Künstlerin Adele Schopenhauer (1797–1849) das Drama ihres Lebens ausgesprochen: „Ich lebe ungern, scheue das Alter, scheue die mir gewiß bestimmte Lebenseinsamkeit. Ich bin stark genug um diese Öde zu ertragen, aber ich wäre der Cholera herzlich dankbar, wenn sie mich ohne heftige Schmerzen der ganzen Historie enthöbe.“
Innerhalb der Weimarer Salon-Kultur spielte Adele Schopenhauer eine zentrale Rolle. Goethe entwickelte ein väterliches Verhältnis zu der unglücklichen „Adelsmuse“ (Thomas Mann), die in ihren Texten stets „das eigene Weh“ in Sichtweite hat. Das Gefühl absoluter Verlassenheit wird in diesem nach 1830 entstandenen Gedicht zur Anlass einer hochpathetischen Klage: Religion und Gottesglaube bieten hier keinen Trost mehr, sondern verschärfen noch die Empfindung des Ausgesetztseins.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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