Arno Holz’ Gedicht „Selbstporträt“

ARNO HOLZ

Selbstporträt

Nur Wenigen bin ich sympathisch,
Denn ach, mein Blut rollt demokratisch
Und meine Flagge wallt und weht:
Ich bin nur ein Tendenzpoet!

Auf Reime bin ich wie versessen,
Drum lob ich plötzlich die Tscherkessen
Und wüst durch mein Gehirn scherwenzen
Verrückt gewordene Sentenzen.

Mein Blut rollt schwarz, mein Herz schlägt matt,
Mein Hirn hat noch nicht ausgegoren,
Denn meine gute Mutter hat
Mich hundert Jahr zu früh geboren!

1885

 

Konnotation

Wozu noch der Reim?“, hat der Naturalist Arno Holz (1863–1929) in einem seiner provozierenden poetologischen Manifeste gefragt – und eine schroffe Antwort gegeben: „Der erste, der – vor Jahrhunderten! – auf Sonne Wonne reimte, auf Herz Schmerz und auf Brust Lust, war ein Genie; der tausendste, vorausgesetzt, daß ihn diese Folge nicht bereits genierte, ein Kretin.“ Bevor er sich jedoch 1899 in seiner „Revolution der Lyrik“ vom Reim abwandte, hatte Holz in seiner politisch angriffslustigen Schrift Das Buch der Zeit (von 1885) auf das alte Kunstmittel noch zurückgegriffen.
Angesichts solcher Verse urteilte Holz’ Kollege Detlev von Liliencron: „Arno Holz ist ja wüster, rothester Socialdemokrat“. Tatsächlich hat sich der Dichter auf der äußersten Linken positioniert; seine politische Überzeugung fasste er an anderer Stelle in zwei Zeilen zusammen: „Für mich ist jener Rabbi Jesus Christ / nichts weiter, als – der erste Sozialist!“ Seine unkorrumpierbare Passion für den Sozialismus zahlte sich erwartungsgemäß nicht aus: 1929 starb der Dichter so bettelarm, wie er 1875 nach Berlin gekommen war.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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