CHRISTA REINIG
Der Henker
er hat den kragen freigemacht
und stellt sich selbst auf das gerüst
sein wächter hat ihm schnaps gebracht
weil er sonst nichts zu wünschen wüßt
und der gehilfe legt den strick
dem meister sorgsam um den hals
und knotet ihn mit viel geschick
der meister sagt ihm allenfalls:
sieh zu daß du mich gut vertrittst
und achte – eh du dich entfernt hast
daß mir der knoten richtig sitzt
und zeig was du gelernt hast
1960er Jahre
aus: Christa Reinig: Sämtliche Gedichte. Eremiten-Presse, Düsseldorf 1984
Wer im Auftrag des Staates tötet, hat die Gefühle unter strenger Kontrolle. Auch wenn das Handwerk des Tötens an ihm selbst exekutiert wird, verliert der Henker nicht die Contenance. Die makabre Szene einer Hinrichtung des Henkers stammt aus dem Frühwerk der 1926 geborenen Christa Reinig.
Die Fabrikarbeiterin und gelernte Blumenbinderin Christa Reinig entschloss sich um 1950, an der neu eröffneten Arbeiter-und-Bauern-Fakultät in Berlin/Ost ihr Abitur nachzuholen. Damals entstanden ihre ersten Gedichte, die wie „Der Henker“ in sarkastischer Weise Motive von Krieg, Gewalt und Vernichtung aufnehmen. Die deprimierende Botschaft des Gedichts: Das Töten im höheren Auftrag wird bis auf weiteres fortgesetzt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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