Christian Morgensterns Gedicht „Das Grammophon“

CHRISTIAN MORGENSTERN

Das Grammophon

Der Teufel kam hinauf zu Gott
und brachte ihm sein Grammophon
und sprach zu ihm, nicht ohne Spott:
„Hier bring ich dir der Sphären Ton.“

Der Herr behorchte das Gequiek
und schien im Augenblick erbaut:
Es ward fürwahr die Welt-Musik
vor seinem Ohr gespenstisch laut.

Doch kaum er dreimal sie gehört,
da war sie ihm zum Ekel schon, –
und höllwärts warf er, tief empört,
den Satan samt dem Grammophon.

um 1910

 

Konnotation

Der „Satan“, ursprünglich ein gefallener Engel, der den „Teufel“ verkörpert, agiert in den biblischen Geschichten immer als gefährlicher Verführer, der mit grandiosen Glücksversprechen die Frommen von ihrem Wege abbringen will. Auch Gott selbst ist starken Versuchungen ausgesetzt. Mit dem neuen technischen Wunderwerk Grammophon (das erst 1887 erfunden wurde) kann der „Teufel“ jedoch bei seinem Rivalen nicht punkten. So kommt es in Christian Morgensterns (1871–1914) posthum (1919) veröffentlichtem Gedicht zu einem komischen Desaster für das Böse.
Am Ende muss der „Herr der Finsternis“ nach seiner üblen Blamage wieder zurück in seine Unterwelt. Was als „Welt-Musik“ annonciert war, erwies sich als peinliches „Gequick“. Es sind solche theologischen und metaphysischen Pointen in parodistischem Gewand, mit denen Morgenstern seine Leser überraschte. Der Meister der Groteske erfand immer wieder Texte, welche die Grenze zwischen philosophischer Emphase und Heiterkeit offen halten.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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