Friedrich Schillers Gedicht „Punschlied“

FRIEDRICH SCHILLER

Punschlied

Vier Elemente,
Innig gesellt,
Bilden das Leben,
Bauen die Welt.

Preßt der Zitrone
Saftigen Stern!
Herb ist des Lebens
Innerster Kern.

Jetzt mit des Zuckers
Linderndem Saft
Zähmet die herbe
Brennende Kraft!

Gießet des Wassers
Sprudelnden Schwall
Wasser umfänget
Ruhig das All.

Tropfen des Geistes
Gießet hinein!
Leben dem Leben
Gibt er allein.

Eh es verdüftet
Schöpfet es schnell!
Nur wenn er glühet,
Labet der Quell.

1803

 

Konnotation

Ist es nur ein in Reime gefasstes Rezept für ein alkoholisches Heißgetränk oder doch eher eine alchemistische Weltformel? Zweifellos hat Friedrich Schiller (1759–1805) mit diesen sechs Strophen mit jeweils vier Zeilen sein „schmalstes Gedicht“ geschrieben, wie sein Interpret Peter von Matt bewundernd vermerkt. Die vier Elemente des Mythos – Wasser, Feuer, Erde Luft – werden in diesem 1803 entstandenen Lied parallel gesetzt zu den vier Grundkräften des Lebens und den vier Bestandteilen des Punsches.
Aber lässt sich die Welt stets in eine Konstellation von vier Elementen übersetzen? Obwohl nicht das klassisch Beständige angepriesen wird, sondern eher das Flüchtige, hat Schiller für sein „Punschlied“ eine absolut symmetrische Form gefunden. Die Typografie des Gedichts gleicht einem schlanken, in die Senkrechte gebauten Pfeiler. Die Begeisterung für die formale Symmetrie kann auch der Einwand des Schiller-Exegeten von Matt nicht dämpfen, der darauf hingewiesen hat, dass Schiller mogelt: Denn der Punsch besteht eigentlich aus fünf Zutaten.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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