Gerd Forsters Gedicht „Der Wind, das himmlische Kind“

GERD FORSTER

Der Wind, das himmlische Kind

schlägt eine Tür an
irgendwo im Haus.

Bleibe aber sitzen,
als sei außer mir
noch jemand da

und träte gleich
hinter meinen Sessel:

– Dieser Duft
der herabrieselnden Haare,
wie er mich einhüllt!

1990er Jahre

aus: Gerd Forster: Fliehende Felder. Edition Schrittmacher. Rhein-Mosel-Verlag, Zell/Mosel 2006

 

Konnotation

Es ist eine überlebensnotwendige List, mit der einst das legendäre Geschwisterpaar Hänsel und Gretel im Märchen der Brüder Grimm auf den Zuruf der heimtückischen Hexe reagierte. Auf die Frage, wer denn am Hexenhäuschen knabbere, antworten die Kinder: „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind“. Im Gedicht des Schriftstellers Gerd Forster (geb. 1935) wird diese Märchenformel zur großen Verheißung.
In seiner diskreten lyrischen Art vergegenwärtigt Forster den Augenblick eines Liebeswunsches. Ein offenbar einsames Ich lauscht den Geräuschen, die von draußen oder aus unmittelbarer Nähe in sein Refugium dringen. Und da ist die Hoffnung, dieses Geräusch kündige die Zuwendung eines geliebten Menschen an. Diese kleine lyrische Momentaufnahme Forsters steht in einem Kontext von ruhigen Erzählgedichten, die um die Erfahrungen von Vergänglichkeit und Zeitvergehen kreisen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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