Der Schulkamerad
Wer ist er,
der alte Mann
im Garten?
Gräbt die Erde
um, jetzt
im frühen März.
Trug er nicht
die schwarze Uniform
mit Orden, Runen
und dem Totenkopf?
Er reckt sich,
lächelt,
weil er mich
erkennt.
Un ich, der
sich erinnert,
hebe schwer
die Hand
zum Gruß.
um 1970
aus: Nachkrieg und Unfrieden. Gedichte als Index 1945–1995. Hrsg. von Hilde Domin und Clemens Greve. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M. 1995
Sein „kunstloses Gedicht“ bedürfe kaum einer Interpretation, meint der 1919 geborene Erzähler, Anthologist und Lyriker Hans Bender. Tatsächlich ist der zeitgeschichtliche Hintergrund des um 1970 entstandenen Textes deutlich markiert. Eine Begegnung mit einem alten Schulkameraden genügt, um die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus wachzurufen.
Wie sein Schulfreund verlebte Bender eine weitgehend unbeschwerte Kindheit und Jugend im „Dritten Reich“: nach seiner Soldatenzeit (ab 1942) und seiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft verarbeitete er als Schriftsteller seine Erfahrungen mit Krieg, Gefangenschaft, Rückkehr und Neuanfang in exemplarischen Erzählungen, die zu Lesebuchklassikern wurden. Die Schrecken der deutschen Vergangenheit werden darin in lakonischen Beobachtungen vergegenwärtigt – wie auch im Gedicht, in dem die Erinnerung an einen SS-Mann mit dem „Heben“ der Hand zum (deutschen?) Gruß verbunden wird.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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