HANS CARL ARTMANN
ICH BIN DIE LIEBE MUMIE
und aus ägypten kumm i e,
o kindlein treibt es nicht zu arg,
sonst steig ich aus dem sarkopharg,
hol euch ins pyramidenland,
elf meter unterm wüstensand,
da habe ich mein trautes heim,
es ist mir süß wie honigseim, dort,
unter heißen winden,
wird keiner euch mehr finden.
o lauschet nur, mit trip und trap
husch ich die treppen auf und ab,
und hört ihrs einmal pochen,
so ists mein daumenknochen
an eurer zimmertür –
o kindlein, seht euch für!
1967
aus: H.C. Artmann: Sämtliche Gedichte. Hrsg. v. Klaus Reichert. Jung und Jung, Salzburg 2003
Als „Wilderer der Literatur“ durchstreifte er die entlegensten Sprachen Europas, um sein eigenes poetisches „Jägerlatein“ daraus zu formen: H.C. Artmann (1921–2000), der österreichische Wortzauberer und „surreale Romantiker“, hat aus den unterschiedlichsten Quellen geschöpft: aus dem Wiener Vorstadtdialekt ebenso wie aus der barocken Schäferpoesie oder der orientalischen Liebeslyrik. Wie seine eigenwilligen Kinderreime des 1967 ursprünglich als Liebhaberausgabe publizierten Bandes Allerleirausch zeigen, fand er auch in Horrorfilmen, Detektivheftchen und Comic Strips seine Motive.
Artmanns Kinderreim kokettiert mit Motiven und Drohgebärden, die einem Klassiker des Horror-Genres entnommen sind. Dieser oft variierte Horror-Film aus den 1930er Jahren handelt vom furchtbaren Erwachen einer Mumie, die nach einer frevelhaften Graböffnung durch englische Archäologen zu neuem Leben erweckt wird. Solche Kinderreime aktivieren keine tröstenden Schutzgeister oder Kobolde mehr, sondern spielen mit dem Unheimlichen, das aber nicht allzu ernst genommen wird.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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