Harald Kruses Gedicht „Anmeldung“

HARALD KRUSE

Anmeldung

Und dann gehst du da rein
Und dann bist du da drin
Und dann sagst du hier bin ich
Und hier will ich erstmal bleiben
Und – wie war doch die Miete? –
Hier ist das Geld für den ersten Tag
Und dann mustert sie dich
Und nimmt den Schlüssel vom Brett
Und sagt komm mit
Und dann gehst du mit
Und sie zeigt dir das Zimmer
Und du setzt dich auf deinen Arbeitsplatz
Mit dem Rücken zum Spiegel
Und dann bist du da drin
Und dann bleibst du da drin.
So einfach ist das.

1975

aus: Neue Expeditionen. Deutsche Lyrik von 1960–1975. Hrsg. v. Wolfgang Weyrauch. Paul List Verlag, München 1975

 

Konnotation

In welche Lebensumstände ist der lyrische Protagonist des Dichters Harald Kruse (geb. 1945) hier hineingeraten? Welches neue Leben beginnt hier mit der bürokratischen Formalie einer „Anmeldung“? Was ist überhaupt der Schauplatz des Gedichts? Ein Hotelzimmer? Eine Einzimmerwohnung? Der neue Lebenszusammenhang, der in lapidarer Kürze protokolliert wird, hat jedenfalls etwas Unentrinnbares. Nun ist Handeln gefragt – die Zeit der Wünsche und Utopien ist vorbei.
Harald Kruses Gedicht ist in den 1970er Jahren entstanden, einem Jahrzehnt, in dem die Poesie wieder die direkte Verbindung zur unprätentiösen Umgangssprache suchte. Von der großen Schwäche der damaligen „Neuen Subjektivität“, dem privatistischen Notieren von alltäglichen Belanglosigkeiten, ist Harald Kruses Gedicht nicht infiziert. Denn es bleibt entgegen der Gebärde von Klarheit und Transparenz ein geheimnisvoller Rest. Die Beunruhigung des Textes liegt darin, dass offen bleibt, vor welcher Herausforderung das lyrische Subjekt steht.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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