JAKOB VAN HODDIS
Weh mir, dem Gott die nackten Sonnen wies
Und fahler Höllenstädte grelles Leid.
Und Donner, Licht und Meere reden hieß.
Er höhnt mich nur in meiner Einsamkeit.
Ich kann den Tag nicht lieben, den ich schuf,
Und jene dunklen Wolken, die ihn kränzen.
Zwar ist er milde, keines Feindes Ruf
Dröhnt an sein Tor, ganz blasse Blumen glänzen –
nach 1912
aus: Jakob van Hoddis: Dichtungen und Briefe, hrsg. v. Regina Nörtemann. Wallstein Verlag, Göttingen 2007
Eine ungeheuerliche Gottesvision zermartert das lyrische Subjekt dieses Gedichts. Die schockhafte Begegnung mit den Dämonen der Hölle und den bedrohlichen Naturmächten lässt das Ich in einer Untergangserwartung verharren. Im Nachlass des unglücklichen expressionistischen Dichters Jakob van Hoddis (1887–1942) finden sich mehrere solcher Poeme, die in der Zeit seiner „Konversionskrise“ zwischen Ende 1912 und Anfang 1913 entstanden sind.
Noch nicht einmal zwei Jahre vor der Niederschrift dieses finsteren Gedichts hatte die literarische Welt einen ganz anderen Jakob van Hoddis kennengelernt. Er schrieb zunächst Gedichte, die souverän mit Ironie und dem Prinzip des „Simultaneismus“ kokettierten. In dieser Vision eines Gehetzten und Einsamen ist alle Ironie verschwunden. Im Frühjahr 1912 hatte sich van Hoddis von der drogenabhängigen Diseuse und Dichterin Emmy Hennings (1885–1948) in katholische Kreise einführen lassen. Er überließ sich immer häufiger Ätherräuschen – mit halluzinatorischen Ergebnissen, die sich dann auch in seinen Gedichten manifestierten.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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