JOACHIM RINGELNATZ
Im dunklen Erdteil Afrika
Im dunklen Erdteil Afrika
Starb eine Ziehharmonika.
Sie wurde mit Musik begraben.
Am Grabe sassen zwanzig Raben.
Der Rabe Num’ro einundzwanzig
Fuhr mit dem Segelschiff nach Danzig
Und gründete dort etwas später
Ein Heim für kinderlose Väter.
Und die Moral von der Geschicht? –
Die weiss ich leider selber nicht.
1912
Als Leichtmatrose hatte er die Weltmeere bereist, bevor er ab 1909 als schlagfertiger Seemann Kuttel Daddeldu die Schwabinger Künstlerkneipen und das legendäre Kabarett Simplicissimus eroberte: Joachim Ringelnatz (1883–1934), als Hans Bötticher in Wurzen geboren, war ein ungeheuer vielseitiges Talent. Der Maler, Werbetexter, Filmemacher, Kabarettist und Dichter hatte sein Faible für humoristische Reime von seinem Vater geerbt und nutzte diese Kunstfertigkeit zu manch heiterem „Stumpfsinn in versen“, den sein Gedichtbuch Die Schnupftabaksdose von 1912 ankündigte.
Zwischen Kinderreim, Nonsens-Vers und absurdem Märchen bewegen sich viele Gedichte des Reimkünstlers. Im Fall des vorliegenden Gedichts vom „dunklen Erdteil Afrika“ und einem hyperaktiven Raben ist der Reim der dominierende Akteur – denn er erzwingt die paradoxen Pointen und lenkt das Gedicht auf seine schräge Bahn. Auf tiefere Sinngebung hat Ringelnatz hier dankbar verzichtet.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
Schreibe einen Kommentar