Karl Krolows Gedicht „Es ist einfach“

KARL KROLOW

Es ist einfach

Du bist sanft. Es ist so: ich höre dich sagen:
Dieser Tag, er war schön, und ich möchte so leben
mit dir. Es ist einfach. Ein Licht fällt seit Tagen
auf uns. Ich bin wie immer am Leben.

Du bist jung. Es ist einfach. Du sagst nur: ich glühe.
Du lachst dabei. Du erfindest Geschichten.
Aus Papier drehst du Spielzeug und erzählst in der Frühe
Noch einmal die Nacht wie aus Liebesgedichten.

Du bist da. Du bist leicht. Ich sehe dich winken
beim Abschied. So war es, ganz einfach, noch neben
mir, einen Augenblick lang. Dann dieses Versinken
in nichts. Du bist noch immer am Leben.

1970er Jahre

aus: Karl Krolow: Gesammelte Gedichte III. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1985

 

Konnotation

Ob elegischer Langvers oder Lakonismus, ob lyrisches Parlando oder hermetische Chiffre, ob Reimvers oder offenes Gedicht: Karl Krolow (1915–1999) beherrschte alle Sprechweisen und Artikulationsformen der modernen Lyrik mit großer Leichtigkeit und Grazie.
Souverän spielte er mit Sonetten und Terzinen, jonglierte mit Kreuz- und Binnenreimen und verfiel in einen lässigen kolloquialen Ton, wenn es sein poetischer Stoff so erforderte. Vor allem war Krolow aber ein Meister des Liebesgedichts.

In den 1970er Jahren entstand das so anrührende wie luftig-leichte Liebesgedicht, das von der emphatischen „Du“-Anrede wie von der Beschwörung eines euphorischen Zustands lebt. Bedrückung und Zweifel sind von den Liebenden abgefallen und ein helles Licht scheint auf ihrem mühelosen Beisammensein zu liegen. Doch in der letzten Strophe verdunkelt sich das Liebesglück, die eben noch symbiotische Verbundenheit wird ernüchtert durch die Erfahrung des Abschieds.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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