Karoline von Günderrodes Gedicht „LIEBST DU DAS DUNKEL…“

KAROLINE VON GÜNDERRODE

LIEBST DU DAS DUNKEL
Tauigter Nächte
Graut dir der Morgen
Starrst du ins Spatrot
Seufzest beim Mahle
Stößest den Becher
Weg von den Lippen
Liebst du nicht Jagdlust
Reizet dich Ruhm nicht
Schlachtengetümmel
Welken dir Blumen
Schneller am Busen
Als sie sonst welkten
Drängt sich das Blut dir
Pochend zum Herzen.

um 1805

 

Konnotation

Schon oft hatte ich den unweiblichen Wunsch, mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu werfen, zu sterben. Warum ward ich kein Mann! Ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglükseeligkeit. Nur das Wilde, Große, Glänzende gefällt mir.“ Wer das Lebensbild der romantischen Dichterin Karoline von Günderrode (1780–1806) nur unter Hinweis auf ihre tragische Liebe zum Altphilologen Friedrich Creuzer (1771–1858) entwerfen will, verfehlt doch manche Nuance ihres Werks und ihrer Biografie. Das Bekenntnis zum „Schlachtgetümmel“, das sie in einem Brief an Gunda Brentano (1769–1863) formulierte, taucht auch – in Frageform – in einem anrührenden Gedicht aus dem Nachlass auf.
Da sind sie wieder, die Phantasien vom aufgewühlten, handlungshungrigen, kampfeslustigen Zustand der weiblichen Dichterseele. Hier findet jedenfalls das Selbstgespräch eines schlaflosen, in jeder Hinsicht mit dem Bestehenden unzufriedenen Subjekts statt, das von Unruhe zerfressen wird. Das Gedicht entstand als „mündliche Improvisation“ und wurde von Günderrodes Seelenfreundin Bettina Brentano (1785–1859) aufgezeichnet.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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