KONRAD VON WÜRZBURG
Swâ tac er- schînen sol zwein liuten
die ver- borgen inne liebe stunde müezen tragen,
dâ mac ver- swînen wol ein triuten.
nie der morgen minne- diese kunde büezen klagen.
er lêret ougen weinen trîben:
sinnen wil er wünne selten borgen.
swer m ret tougen reinen wîben
minnen spil, der künne schelten morgen.
Wo der Tag zwei Menschen erscheinen wird,
die verborgen die Stunde der Liebe verbringen müssen,
da muß das Umarmen ein Ende haben:
Niemals konnte der Morgen heimlich Liebende vor Klage bewahren.
Er lehrt die Augen, Tränen hervorzubringen:
den Sinnen kann er keine Freude mehr leihen.
Wer mit vortrefflichen Frauen heimlich
das Liebesspiel treibt, der weiß zu Recht den Morgen zu beschimpfen.
(Übersetzung Ulrich Müller / Gerlinde Weiss)
um 1260
Die Mediävistik preist Konrad von Würzburg (ca. 1225–1287) als vielseitigsten Dichter der höfischen Literatur des 13. Jahrhunderts, als „einen Herrscher über Sprache und Vers“. Nach seiner Zeit als fahrender Sänger agierte Konrad als Berufsdichter im Auftrag geistlicher und bürgerlicher Mäzene in Basel. Als eins seiner Hauptwerke gilt Die goldene Schmiede, eine Verherrlichung der Jungfrau Maria, in der er „den Glanz seiner Diktion, die Fülle seiner Rede, den Schimmer seiner Bilder“ – so die Forschung – entfaltet hat. Dieses Gedicht preist in traditioneller Weise durch Schmuck- und Blumenmetaphorik das Wesen der Gottesmutter.
Da Konrad in seinen Minneliedern, Sangsprüchen, Legenden und den sogenannten „Leichs“, den Gesangsstücken, stets einen Gottesbezug sucht und die Heilsgeschichten des Erlösers Jesus Christus ins Zentrum seiner Texte stellt, muss man sich im vorliegenden Gedicht nicht über die Belehrung der „heimlich Liebenden“ wundern. Im Original ist der Text streng gereimt, aber selbst in der Prosa-Übersetzung ist der Tadel an die „heimlich Liebenden“ noch hörbar.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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