LUTZ SEILER
sonntags dachte ich an gott
sonntags dachte ich an gott wenn wir
mit dem autobus die stadt bereisten.
am löschteich an der strasse stand
ein trafohaus & drei & vierzig
kabel kamen aus der luft in dieses
haus aus hart gebrannten ziegelsteinen; dort
im trafo an der strasse wohnte gott. Ich sah
wie er in seinem nest aus kabel enden
hockte zwischen seinen ziegelwänden
ohne fenster dort am grund
im dunkel an der strasse hinter
einer tür aus stahl
sass der liebe gott; er war
unendlich klein & lachte
oder schlief
1996/97
aus: Lutz Seiler: sonntags dachte ich an gott. Aufsätze. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2004
Es scheint ein sehr säkularer Gott zu sein, der in diesem Gedicht Lutz Seilers eine Trafostation bewohnt: Sein Himmelreich ist ein fensterloser Ort. Vermutlich ist dieser Gott die stärkste technische Gewalt seit der Erfindung des Feuers: die Elektrizität. Von diesem profanen Gott geht jedenfalls eine starke Kraft aus, sie schlägt das lyrische Ich des 1996/97 entstandenen Gedichts in ihren Bann.
In einem Essay zu diesem Text hat der 1963 geborene Autor drei Geschichten erzählt, die in die narrative Struktur des Gedichts eingeflossen sind und sich dort überlagern. Die Geschichte vom „Werkkundemann“, der seinen Schülern Angst einflößte vor der Elektrizität, verbindet sich mit der Erinnerung an die Sonntage, in denen das Ich als Jugendlicher gemeinsam mit seinem Vater in einem fast rituellen Akt an seinem Moped bastelte. Am Ende steht eine Szene des Schreckens, in dem ein Mann auf einer Hebebühne das Opfer eines Stromschlags wird. Im Gedicht sind all diese Erfahrungen verwandelt und aufgehoben in einer eigentümlichen Vision göttlicher Präsenz.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
‘ Gott*in?
*
Als ich noch klein&armselig war, Frühjahr 45
Als ich noch klein ware, geborgen in einem Keller,
hinter Rüben und Kartoffolen,
gewärmt von Sackeinw in einer Kiste,
und meinen Schwestern, die in einem Pippigläschen
mir die Kuhmilch erwärmten,
einen Sauger überzogen und mit nährten –
als eine Panzeegrante in unser Bauernhäuschen verflogen,
hatte die Borke iner UraltLinde durchschlagen,
dann die Hauswand; später zu besichtigen –
und an einer Zimmerecke abklatschte,
ohne zu explodieren:
des Vormittags –
Da wartete meine Mutter,
des Vaters ledig, darauf,
dass einer ihre großen Kinder aus der Schule zurückkam,
es ware Fränzi –
Sie packten die Granate
zogen vor Haus,
in der Lehmgrube lagerte sie das Geschoss:
Damals,
war es eine Göttin,
die mich bewahrte:
meine Mutter.