Mirko Bonné Gedicht „Die Bachstraße“

MIRKO BONNÉ

Die Bachstraße

Als ich die Kälte der Jahre fühlte
und auf der Ausklappcouch schlief
unter der Decke mit Fabelwesen,
irrte ich in langen Träumen tief
durch einen Wald, von dessen
Bäumen ich keinen irgendwo sah.
Beim Aufwachen war da Wind,
Regen, die Bachstraße. Alles war
ein Morgenkuss und ich ein Kind,
das mit den Silberfischen spielte.

2006/07

aus: Mirko Bonné: Die Republik der Silberfische. Schöffling & Co., Frankfurt a.M. 2008

 

Konnotation

Die Kindheit ist ein Zustand, in dem die Tagvernunft und der Traum noch ungeschieden sind, noch befreit von den Zwängen eines zweckrationalen Handelns. Hier kehrt nun das lyrische Ich des Lyrikers und Erzählers Mirko Bonné (geb. 1965) für einen Augenblick in diese Sphäre des Ungeschiedenen zurück, traumverloren und zugleich geschützt an einem Ort der Verlässlichkeit.
In einer poetologischen Notiz hat Bonné einmal von Dichtung als einer „Durchfahrtsstraße für alle Ideen und Phänomene“ und als chemischem Cluster gesprochen, das mit allem nur kurzzeitige Verbindungen eingeht. So entfalten sich seine Gedichte als transitorische Momente und Augenblicksbilder der Erfahrung, die einer geschichtlichen Konstellation einen nur in diesem Phantasieren versunkene Kind wächst noch unbedroht in die Welt hinein – die Gegenstände und Lebewesen seiner Lebenswelt sind noch Verbündete, denen man vertrauen kann.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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