PAULA LUDWIG
IMMER WENN DU ZURÜCKKOMMST
ist mirs
als sähe ich dich zum erstenmale:
Silbern stäubt es aus meiner Seele
wie aus den Weidenkätzchen
wenn der Frühlingswind
sie zum erstenmale berührt
um 1930
aus: Paula Ludwig: Dem dunklen Gott. Ein Jahresgedicht der Liebe. Verlag Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 1974
Etwas anschauen können wie zum ersten Mal: Das kennt die Literatur als elementaren poetischen Augenblick, als Epiphanie oder auch – theologisch – als Momentum der Offenbarung oder Erleuchtung. Der Blick des Subjekts trifft auf ein Gegenüber oder ein Objekt – und es kommt zur Sekunde der „wahren Empfindung“ (Peter Handke), einer Wahrnehmung, die über die alltägliche Erfahrung weit hinausreicht. Die österreichische Dichterin und Malerin Paula Ludwig (1900–1974) hat so einen Augenblick der Liebe festgehalten.
Es liegt nahe, diese schöne kleine Miniatur, die den Augenblick des liebenden Erkennens analog zur einer Naturwahrnehmung setzt, mit der unglücklichen Verbindung Paula Ludwigs zu dem Dichter Yvan Goll (1891–1950) in Verbindung zu bringen. Neun Jahre lang währte die glücklose Passion zwischen Goll (der mit Claire Goll verheiratet war) und Paula Ludwig – dieser Liebe verdanken wir ergreifende poetische Wechselgesänge, wie z.B. Ludwigs Gedichtband Dem dunklen Gott von 1932.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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