Peter Maiwalds Gedicht „Schneewittchen“

GOTTFRIED KELLER

PETER MAIWALD

Schneewittchen

hinter den sieben Bergen
betrügt mich
mit sieben Zwergen
die dumme Liese
braucht sieben Berge
braucht sieben Zwerge
Ich war ihr Riese.

1987

aus: Peter Maiwald: Guter Dinge. Deutsche Verlags-Anstalt. München 1987

 

Konnotation

Im berühmten Märchen der Gebrüder Grimm ist die hübsche Tochter der Königin ohne Makel: „so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, und so schwarzhaarig wie Ebenholz“. Peter Maiwald, 1946 in Grötzingen/Kreis Esslingen geboren, hat der alten Geschichte um Schönheit und Eifersucht, Lust und Mordlust neuen Schwung verliehen.
In seiner kunstvollen Einfachheit orientiert Maiwald sich an seinem Vorbild Bertolt Brecht. Der Dichter entnimmt der Schneewittchen-Geschichte die zentralen Elemente, würfelt sie heftig-satirisch durcheinander und komprimiert sie schließlich in einem turbulenten Siebenzeiler, der mit der magischen Zahl Sieben im Märchen korrespondiert. Das bei den Gebrüdern Grimm so wunderschön-unschuldige Schneewittchen erscheint hier als tumbe Nymphomanin mit beträchtlichem erotischen Appetit. Auch das lyrische Ich macht als „Riese“ eine eher klägliche Figur. Maiwalds heiteres Poem ist in den achtziger Jahren entstanden.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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