PETER RÜHMKORF
Geschlossene Anstalt
Also – gut, du willst den Dichter geben.
Praktisch von den eigenen Seufzern leben,
dem Gefühl, daß du nicht hergehörst:
Sitzenbleiber oder Eckensteher:
Mitempfindende, ich bitte euch, rückt näher,
ladies first –
Ungesegnet in die Zeit hinein zu handeln,
Wörter, die sich noch im Mund verwandeln,
bis sich alles schließlich widerspricht –
Keine Schwerter schmieden,
keine Körner mahlen –
Heavens, wer gewinnt die nächsten Wahlen?
Nichts von alledem – bis daß die Muse spricht:
Feierabend!
Das Gedicht ist dicht.
vor 2008
aus: Peter Rühmkorf: Paradiesvogelschiß. Gedichte. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008
In seinen späten Gedichten erteilte sich der „Elbromantiker“ Peter Rühmkorf (1929–2008) die Lizenz, den Triumph der Kunst über zunehmend widrige Lebensumstände in kalauernder Heiterkeit zu zelebrieren. Der Leidensmann, dem der Krebs allen Lebensgenuss zu zerstören drohte, trat auf als Frohnatur. Der Dichter als alter Knacker, der augenzwinkernd seine Rest-Vitalität vorführt – diesen selbstironischen Gestus hat kein lyrischer Zeitgenosse so artistisch in Poesie verwandelt wie eben Rühmkorf.
Der Dichter als einzelgängerischer Selbstdarsteller und Artist der Widersprüche: Mit diesem ironischen Porträt des Schriftstellers, der sich mehr mit der Verwandlungsfähigkeit der Wörter als mit politischem Aktivismus beschäftigt, hat sich Rühmkorf einen Traum erfüllt, der ihn an einen Vorzugplatz befördern soll: Denn er wünschte sich stets „im Himmel einen Platz / neben Bellman, Benn und Ringelnatz“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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