Ron Winklers Gedicht „Der Sachverhalt Regen“

RON WINKLER

Der Sachverhalt Regen

wir betrachteten das fragmentierte Gewässer als Erscheinung
zwischen den Adjektiven leicht und stürmisch.

es regnete nie nur einmal pro Regen.

manchmal empfanden wir, Hormone steuerten auf uns zu.

manchmal: handfeste Antonyme von Wüste.

wir empfanden den Regen als das trinkbarste Wetter.

als Hydrogenität.

es regnete meistens vom Universum weg.

und auf das Universum zu.

Ozeane zogen über unsere Köpfe hinweg. Kapseln,
mit sich selbst gefüllt.

und den Daten der ersten Stunde.

2005

aus: Ron Winkler: Fragmentierte Gewässer. Berlin Verlag, Berlin 2007

 

Konnotation

Der 1973 geborene Berliner Bewusstseinspoet Ron Winkler ist ein gewiefter „Terminologien-Mischer“ (F.J. Czernin). In seinen Gedichten zelebriert er genüsslich die ironische Entzauberung romantischer Naturpoesie, indem er den alten Naturstoff mit Fachsprachen vor allem aus der digitalen Welt konfrontiert. Die lyrische Aura von altehrwürdigen Wörtern wie „Regen“, „Vogel“ oder „Schnee“ zitiert er in fast jedem seiner Gedichte – aber nur, um sie dann mit wissenschaftlichen Vokabel-Registern zu konterkarieren.
„Fragmentiert“ werden in der Regel nur Computer-Festplatten, keine geheimnisvollen „Gewässer“. „Der Regen“ wiederum, der in der Geschichte der Lyrik traditionell zu den Ingredienzien der Melancholie gehört, schrumpft bei Winkler zum positivistisch registrierten „Sachverhalt Regen“, dem in hübscher Tautologie auch noch „Hydrogenität“ attestiert wird. Naturdichtung wird hier also zur tendenziell heiteren Sprachreflexion.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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